laut.de-Kritik
Kleinstadtgeschichten zwischen Kammerfolk und Pop-Pathos.
Review von Alexander KrollAus der Kleinstadt auf die große Weltbühne: Sam und Casey Harris haben es geschafft. Aufgewachsen in der beschaulichen Universitätsstadt Ithaca in Upstate New York, stürmten die beiden Brüder mit ihrer Alt-Rockband X Ambassadors unaufhaltsam in die oberen Ränge des Pop-Zirkus.
Über Touren mit Imagine Dragons und Panic! At The Disco, einen WM-Werbespot für Dr. Dres Beats-Kopfhörer, Kollaborationen mit Eminem und Rihanna und Soundtrack-Beiträgen für Blockbuster wie "Aquaman And The Lost Kingdom" sammelten ihre Songs in wenigen Jahren viele Millionen Video-Klicks und mehr als eine Milliarde Musik-Streams.
Mit den Indie-Skizzen, die die Band zu Beginn der Karriere noch ohne das X vor dem Namen veröffentlichte, hätte das kaum geklappt. Stattdessen kam der große Erfolg mit dem Hang zu einem spektakulären, melodramatischen Genre-Mix. Mit polierten Sounds, Motivations-Slogans und jeder Menge hallender "Oh"s und "Hey"s machten X Ambassadors selbst den späten Bon Jovi deutlich Konkurrenz.
Mit ihrem vierten, selbst produzierten, Konzeptalbum "Townie" gehen Sänger Sam Harris, Keyboarder Casey Harris und Drummer Adam Levin, bewusst einen Schritt zurück. Mittlerweile nach Brooklyn übersiedelt, kehren die Musiker auf zwölf Tracks programmatisch heim nach Ithaca. Auf dem selbst produzierten Smalltown-Americana-Album klingen sie nahbarer und entschlackter. "Townie" könnte ihr "Nebraska" sein, oder zumindest ihr "Pressure Machine".
Tatsächlich weisen Folkpop-Kammerspiele zu Beginn des Albums in eine vielversprechende Richtung. Mit einsamer Akustikgitarre zeichnet "Sunoco" ein atmosphärisch dichtes Bild einer verlorenen Provinzjugend. Als biographischer Abschied von einem verstorbenen Mentor bewegt sich die Ballade "Your Town" waghalsig aber gekonnt im Spektrum zwischen geflüsterten Tönen und dem ganz großen Pathos.
Oft allerdings kippt der Rückblick vom Authentischen ins Sentimentale. Trotz guter, roher Ansätze neigen Singer-Songwriter-Geschichten wie "(First Dam)", "Fallout", "Women's Jeans" oder "Follow The Sound Of My Voice" dazu, besonders im Refrain, ins übermäßige Schmachten zu geraten. Das Piano-Stück "Half-Life" verzichtet gleich ganz auf irgendwelche Nuancen und schwelgt stattdessen im Lovesong-ABC eines James Blunt oder Lewis Capaldi.
Die schwächsten Momente durchleidet "Townie", wenn X Ambassadors kitschige Pannen mit ihrem üblichen Spektakel-Pop kreuzen. In "Rashad" überschlagen sich simple Lebensweisheiten mit abgestumpften Beats. "No Strings" verquirlt Genre-Elemente zwischen Dance und Hip-Hop bis es sämtlichen Algorithmen gerecht wird. Heraus kommt die erste Singleauskopplung des Albums und gleichzeitig dessen unangenehmstes Lied. "Townie" bleibt ein unentschiedenes Experiment.
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