laut.de-Kritik
Lehmige Voodoostücke, deren Ehrlichkeit foltert und schmerzt.
Review von Sven KabelitzKrieg im Gaza-Streifen und in der Ukraine. Ebola in Westafrika. Rassenunruhen in Ferguson. ISIS köpft einen amerikanischen Journalisten. Aufkommender Hass und Antisemitismus auf den Straßen Deutschlands. Weltweit brodeln so viele Konflikte, dass wir nicht einmal alle auf dem Schirm haben. Sie warten nur darauf, vor unserer eigenen Haustür überzukochen.
Flüchtlingen, die auf ein sichereres Leben hoffen, machen sich auf überfüllten Nussschalen auf den Weg nach Lampedusa. Dabei vergessen wir in unseren Sofas, die Nachrichten verfolgend, dass wir alle in einem einzigen Boot sitzen, das uns gerade in letzter Zeit zeigt, wie sehr die See auf unserem Planeten stürmt und wie schnell unser Kahn kentern kann. Ein kurzer Blick in die Nachrichten gibt einem momentan das Gefühl, die Maya haben sich einfach nur um ein paar Jahre verrechnet.
Von all dem Leid unbeeindruckt dreht sich die Welt weiter und bietet in unseren Breiten den unbezahlbaren Luxus der Leichtigkeit. Die Heimeligkeit eines Spätsommerabends in einem Strandcafe. Panda-Drillinge in einem chinesischen Zoo geboren. Das Kult-Eis Dolomiti kehrt zurück in die Gefriertruhen. Wir sind Weltmeister. Dazu kommen die kleinen Gesten in dieser ohrenbetäubenden Welt, die noch an das Gute im Menschen glauben lassen. Und letztendlich die Musik, die all dies - das Leid, die Leichtfüßigkeit, sprich: das Leben - in einem kurzen Moment zusammenfassen kann.
Dieses Kunststück gelingt Y'akoto auf ihrem zweiten Album "Moody Blues" mehr als einmal. Anstatt ihre Welt in Schwarz und Weiß aufzuteilen, macht sie sich in ihren erdigen Liedern zwischen Folk, Soul, Pop und Jazz mit afrikanischen Einschlag auf die Suche nach einem Platz, der ihr gleichzeitig Geborgenheit und Freiheit bietet. Noch selbstsicherer, gezielter und stellenweise vielleicht gar etwas zu abgeklärt präsentiert die Sängerin nach ihrem Debüt "Babyblues" nun eine unberechenbare Mischung aus sonnigen Single-Nummern und düsteren Erzählungen. Aus Y'akoto ist eine Künstlerin und Person geworden, für die Vergleiche nunmehr unangebracht wären.
Gleich zu Beginn setzt sie sich mit Suizid auseinander, vereint in "Come Down To The River" Wehklagen mit einem Funken Hoffnung. In Zeiten, in denen der Selbstmord von Robin Williams die Schlagzeilen über Wochen bestimmt, nähert sie sich dem Thema verhalten und behutsam. Wird Y'akoto zuerst nur von einer Gitarre begleitet, setzen im späteren Verlauf Bass, Schlagzeug und Keyboards versöhnliche Akzente. Im von Ben Cullum produzierten "Forget" unterstreichen tragische Streicher die gedrückte Stimmung, die berührende Melancholie und die Tragik in ihrer Stimme.
Auf den ersten Wimpernschlag wischt die vordergründig beschwingt scheinende Pop-Soul-Single "Perfect Timing" den bedrückten Start hinweg. Hört man allerdings auf den Text, in dem sie vom Alkohol benebelt an der verflossenen Liebe und der Vergangenheit festhält, bleibt dieses Kartenhaus nicht lange bestehen. "Save You", ein weiterer unbeschwerter Gassenhauer, stacheln scharfkantige Gitarren und schnittige Bläsern an. "Don't Call" zeigt sich zwar minimalistischer, dafür erobernd basslastig, rhythmisch und zielgerichtet.
Doch erst in seinen stillen, lehmigen Voodoostücken entpuppt sich die Spannung von "Moody Blues". Über einem klassischen Oldschool-Groove und Casio-Beats wagt sich Y'akoto in "I Will Go Down" nochmals nach unten, diesmal aber nicht bis zum Fluss. Mit Vinyl-Knistern, Rauschen und splittriger Orgel erzählt sie im dämmrigen und rauen "Moodyman" davon, wie man alles für die launige Liebe aufgibt, nur um dann letztendlich von ihr abserviert zu werden. Mit "Carry This", das sich sehr langsam und ruhig erhebt, schafft sie sich ihre eigene Hymne, die an beste, ausufernde Motown-Platten der 1970er im Style von Marvin Gaye oder Isaac Hayes erinnert, ohne diese schlicht zu kopieren.
Doch erst das nochmals um einiges zurückhaltender arrangierte letzte Drittel krönt Y'akotos zweiten Longplayer. Das in diesem Umfeld fast schon optimistisch inszenierte "Come And Go" dient als einziger Hoffnungsschimmer in einer reduzierten Szenerie, in dem sich die Sängerin endgültig so frei von Marketingzwängen, Anbiederung und Kommerz zeigt, wie nur irgend möglich. Die Texte gewinnen nochmals an Deutlichkeit, ihre Ehrlichkeit foltert und schmerzt. In "Mother And Son" legt sich ihre Stimme, nur von einem Keyboard begleitet, mehrfach übereinander und erzählt von dem Sohn, der ohne Vater bei seiner alleinerziehenden Mutter aufwächst.
Zum Herzstück avanciert das bittere "Off The Boat", das von einem jungen Menschen handelt, der auf einem Boot seine Heimat und seine Liebe verlässt, um in weiter Ferne ein besseres Leben zu finden. Letztendlich stirbt er jedoch auf der Reise, seine Leiche wird ins offene Meer geworfen. Das Stück gleicht einer Meditation, nur rumpelnde Schläge und Percussion unterstützen Erzählung, Schreie und den trostlosen Gesang. Ein schmerzhafter Schlag, von dem sich jedes fühlende Herz nur langsam erholt. "We sang some songs / But we didn't mourn / We will never return to where we were born."
Dieser junge Kerl könnte jeder von uns sein. Wir sind alle betroffen. Wir alle kentern. Wir sollten aufeinander zugehen, uns helfen, anstatt uns abzuweisen und zu zerreißen. Stattdessen verweigern wir uns Hilfe, verschließen uns voreinander und stehen vor verschlossenen Türen. Wir gelten für unser Gegenüber mehr als Bedrohung für Land und Wohlstand denn als Lebewesen. Nur der Stärkste überlebt. Während unsere toten Körper langsam im Wasser versinken, tanzen auf Facebook Besserwisser, Hohlbirnen und Aluhutträger höhnisch auf unserem Gedenken Stepptanz. Bis auch sie die Realität einholt. "Physical battle, body and soul / We knew he would never reach heaven / We threw him off the boat / Around quarter past eleven."
3 Kommentare mit 3 Antworten
Ganz tolle Frau, tolles Debut und live ein absoluter Knaller, bin so gespannt auf ihren Zweitling.
Herr Kabelitz- eine sehr, sehr schöne Rezension, vor allem der letzte Absatz. Yakoto ist auch eine der Guten, Debut war ganz cool. Das neue habe ich nur bisschen durchgehört und fand es bisschen langweilig. Jetzt bin ich durch die Kritik auf die guten Texte aufmerksam geworden. Schade nur dass man Yakoto oder Nneka nur so wenige Menschen kennen und man in der USA lieber Beyonce, Ariana Grande uws als die Zukunft des Soul sehen. Das ist einfach nur traurig, für uns Musikliebhaber und die Gesellschaft.
Und dass hier nur ein einziger Kommentar neben meinem ist, spricht Bände. Vor allem wenn es hundert Kommentare zu Nickis Arsch gibt.
Also ich halt's doch für 'n Gerücht, dass jemand, der auch nur halbwegs an Musik interessiert ist, Beyoncé oder Ariana Grande für was anderes als purste Popprinzesschen hält.
Dann musst du dir mal die ganzen Kritiken von Arianas und Bey's neuen Album durchlesen, teilweise von Musikpresse. Und da war noch sowas wie White House Women of Soul Konzert, wo alle beide dabei sind.
blindluck: Kann nur unterstreichen was Du schreibst. Wobei ich das Debut besser als "ganz cool" fand.
Aber wenn man die Dame einmal live gesehen hat schwirrt einem eh für immer der Kopf und man findet alles toll! So eine wohlige Atmosphäre und Nähe zum Künstler habe ich selten erlebt. Ehrlich gesagt habe ich mich ein wenig in sie verliebt.
Bzgl. Nneka, die ich ebenso SEHR schätze, würde ich schon sagen, dass sie wesentlich bekannter ist als Yakoto - und auch schon wesentlich mehr Output und internationale Touren hinter sich hat. Die findet dann doch auch hier recht ordentlich statt und hat auch Fans hier.
Bei Ärschen kann man eben nicht viel falsch machen. Das zieht immer. Musik mit Anspruch und, Gott behüte, cleveren Texten...
Wirklich ein schönes Album und die Besprechung bringt es auf den Punkt.