laut.de-Kritik

Charakterstark der unsicheren Zukunft trotzen.

Review von

Wie stellt man sich einen musikalischen Sprössling von Alligatoah und Kraftklub vor? Vielleicht wie Yu, der mit seinem dritten Album "Please Hold The Line" frischen Wind in die deutschsprachige Musikszene bringt. Seine Kombination aus bissigen Texten, pointierter Gesellschaftskritik und genreübergreifenden Klängen macht ihn zu einer unverkennbaren Stimme der Gen Z. Produziert wurde das Album von Alligatoah selbst, der Yus Sound mit seinem Gespür für kreative Arrangements maßgeblich geprägt hat.

Das Album präsentiert sich wie ein kuratiertes Chaos, bei dem alles irgendwie zusammenpasst. Eingängige Melodien ziehen sich wie ein roter Faden durch die Tracks, die oft mit provokanten Punchlines und unerwarteten Perspektivwechseln überraschen. Yu macht die Wechselhaftigkeit seiner Generation auf musikalischer Ebene greifbar. Mal hört man ihn über pulsierende Indie-Beats reflektieren, mal experimentiert er mit Synthesizern und fast schon melancholischen Pop-Hooks. Trotzdem bleibt "Please Hold The Line" ein kohärentes Gesamtwerk.

Mit "Safe Psychopathen" liefert Yu einen kraftvollen, gitarrenlastigen Track, der direkt an Kraftklub erinnert – hymnische Energie trifft auf textliche Schärfe. Der Song fängt die Widersprüche eines Lebensgefühls ein, das zwischen jugendlichem Trotz und existenziellen Fragen schwankt. Dabei wirkt der Song wie ein vertonter Tagebucheintrag, was durch das Geräusch von kritzelnden Notizen im Hintergrund verstärkt wird. Yu singt "Ich bin erst zwanzig und schon hass' ich dieses Spiel / Leben macht uns krank, um uns dann zu therapier'n" und bringt damit die Erwartungen, die an junge Menschen gestellt werden, auf den Punkt. Wer mit Anfang 20 schon wissen soll, wer er ist und wohin er will, steht vor einer scheinbar unlösbaren Aufgabe. Wie soll man die Zukunft gestalten, wenn sie so unsicher ist?

Eine "Rosarote Brille" macht das auf jeden Fall einfacher. In dem Track thematisiert Yu auf zynische Weise das Ignorieren globaler Probleme. Während das Sprichwort normalerweise dafür verwendet wird, wenn man in einer Beziehung so blind vor Liebe ist, dass man alles Negative ausblendet, steht es hier für die Flucht in Selbsttäuschung, wenn es um soziale Ungerechtigkeit, Klimawandel und politisches Versagen geht. Ohne Scheu und voll Ironie packt der junge Sänger diese Thematik in seinen Songtext: "Ich marschiere durch ein Kriegsgebiet / Um mich rum liegt Dynamit / Auf mich wirkt das wie ein Spiel / Dank der rosaroten Brille."

Mit "Angst" zeigt sich der Sänger roh, ehrlich und bedrückend vertraut. Die Zeile "Jeden verdammten Abend / Habe ich Angst vor der Angst, Angst vor der Angst" mag auf den ersten Blick seltsam wirken, trifft jedoch für viele mitten ins Schwarze. Sie beschreibt ein Paradox, das überraschend nachvollziehbar ist: Man weiß genau, wovor man Angst hat, doch allein die Antizipation löst den nächsten Schub von Unsicherheit aus. Ein Teufelskreis, den Yu klar auf den Punkt bringt. Düstere Synths und zurückhaltende Beats erzeugen eine beklemmende Atmosphäre, die Raum für die Lyrics lässt. Der Song fühlt sich an wie ein enger Raum, aus dem man nicht entkommen kann – ein akustischer Spiegel für den Dauerzustand der Angst, den gesellschaftliche Erwartungen mit sich bringen. Doch im Refrain öffnet sich der Sound, und Yus Stimme breitet sich aus, was den Gefühlen einen Moment der Katharsis verschafft.

Was wohl Yus perfekte Date-Idee ist? Na, gegen rechts demonstrieren! In "Nazis Erschiessen" lässt Yu keine Frage offen, dass er sich von Alligatoah inspirieren lässt – er sampelt dessen 2013 Hit "Willst Du" im Refrain und dreht den Song zu seiner eigenen, provokanten Interpretation. Beide Tracks haben gemeinsam, dass sie ihre zentralen Themen unter dem Deckmantel eines Liebeslieds servieren. Somit wird aus "Willst du mit mir Drogen nehmen" zu "Willst du mit mir, willst du mit mir / Willst du mit mir Nazis erschießen?". Während Alligatoah den Drogenkonsum kritisiert, stellt Yu auf provokante Weise die Frage, wie weit antifaschistischer Widerstand gehen darf. Dabei positioniert sich der junge Sänger jedoch gegen jede Form von Rechtsextremismus.

Das ist in "Fick Dich" eindeutig zu hören. Der Song ist eine klare Hymne gegen Queerfeindlichkeit, Rassismus und Nationalismus und wird sicherlich bei Demos gegen Rechts zu hören sein. Provokativer und direkter kann sich Yu nicht ausdrücken. Zeilen wie "Du bist homophob? / Dann spring aus dem Fenster" und "Du bist ein Rassist? / Ramm dir 'nen Stift in deinen Kopf" sind nur einige Auszüge der lyrischen Wut, die Yu entfesselt. Um die Intensität noch zu steigern, geht der Song direkt in "Fick Dich Zum Quadrat" über. Der Text bleibt der gleiche, aber nun in doppelt so schneller Geschwindigkeit – was die Aggression und Energie noch weiter anheizt.

Trotz der unsicheren Zukunft nimmt Yu eine klare Haltung ein. Mit polarisierenden Texten und einer intensiven Ausdruckskraft formt er ein Manifest der Unzufriedenheit, das sowohl provoziert als auch zum Nachdenken anregt.

Trackliste

  1. 1. Skit
  2. 2. Safe Psychopathen
  3. 3. Sex Sells
  4. 4. Angst
  5. 5. Nazis Erschiessen
  6. 6. Danke Schule
  7. 7. Fick Dich
  8. 8. Fick Dich Zum Quadrat
  9. 9. Rosarote Brille
  10. 10. Nicht Krank
  11. 11. Freiheit
  12. 12. Gottlos Verliebt
  13. 13. Der, Der Dich Liebt
  14. 14. Not That Kinda Guy feat. Damona
  15. 15. Abwarten
  16. 16. Abwarten Outro

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