laut.de-Kritik

Pubertäre Plattitüden stehen dem großen Wurf im Weg.

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Zavet bleibt sich treu. Schon auf ihrem Erstling "Husky Augen" hatte sie zwar eine arktische Atmosphäre in ihren Trap- und R'n'B-lastigen Songs kreiert, doch zugleich scheiterte sie völlig daran, sich als mehrdimensionale Person in Szene zu setzen. Ja, schlimmer noch, die 5.000 km von Berlin entfernt geborene Rapperin versteckte ihren Background eher noch verschämt. Es wäre interessant, zu wissen, ob sie sich nicht weiter entblättern möchte, sich dies nicht traut oder ein Label sie dazu anhält, nicht allzu tief in die eigene Biografie einzutauchen. "Etage 3" setzt die mutlose Linie weiter fort.

Mit kräftigem Hall und langgezogenen Schreien voller Pein schraubt sie in "Paradies" den Pathos bis zum ESC-Niveau hinauf, während sie textlich in stereotype Abgründe stürzt. "Tränen auf Asphalt so wie Regen. Hörst du über uns die Engel weinen?", fragt sie, als fungiere Kontra K als Ghostwriter hinter ihr. "Seelen brechen, aber meine Flügel nie. Sag mir, wie? Wie komm' ich von hier ins Paradies?" Ein hochnotpeinlicher Eissturm aus Klischees, in dem natürlich "Herzen aus Gold" sind und "Gitter sind aus Stahl". Wovor sie flieht? Weswegen sie fortwährend fällt? Sie liefert höchstens Andeutungen.

Im Titelsong stimmt sie einen juvenilen Klagegesang an. Das wäre bis zu einem gewissen Grad völlig in Ordnung, doch Zavet arbeitet sich geradezu mustergültig durch ihre Checkliste jugendlicher Erschwernisse. "Weiß noch nicht, wo ich hinpass'", stellt sie betrübt fest. "Wenn du dich nicht Zuhause fühlst, ja, dann weißt du, wie's mir geht." Das sind pubertäre Plattitüden, zugeschnitten auf eine verschüchterte Zielgruppe, der Flügelmann Bausa eine starke Schulter anbietet. "Alles, was du willst, geb' ich dir auch. Ich trag' diese Narben in mei'm Gesicht und meinem Bauch."

Und auch "Apricot" weist einen offenkundigen Mangel an Persönlichkeit auf, stellt es doch letztlich nur Zavets Variante von "Wildberry Lillet" dar. Es sind die naiven Wohlstandsträumereien à la Nina Chuba - nur mit weniger Star-Appeal und Selbstsicherheit. Statt nach Canapés verzehrt es die gebürtige Russin nach Surf and Turf. Und statt in eine Villa auf Sizilien träumt sie sich an die US-Westküste. "Haus in Beverly, weiß, ich werd' da einmal wohn'." Die "Glas"-Rapperin fühlt sich auf Dancehall wohler als auf Trap. Einem unbekümmerten Singsang bedienen sich beide Frauen.

Dabei liegt ein deutlich spannenderes Ergebnis in Griffweite. Anders als so viele Deutschrap-Akteure mit Autotune-Abhängigkeit steckt in Zavet eine durchaus passable Sängerin, die dank unterkühlter Trauer in der Stimme individueller ans Werk gehen könnte. Und auch bei der Produzentenauswahl beweist sie ein glückliches Händchen. LLUCID entzieht sich mit dem wohl ungewöhnlichsten Instrumental zu "Lügenmeer" dem Massengeschmack. Stattdessen lotet er eher unterschiedliche Tiefen aus, begleitet die Hauptdarstellerin mal tröpfelnd, mal als wuchtige Brandung.

Erst wenn sie "Zuhause" ankommt, gehen alle Bestandteile Hand in Hand. Zavet verdeutlicht, dass nicht nur die türkische Community darunter leidet, weder als Deutsche noch als Türken anerkannt zu werden. Das Almanci-Prinzip kennt sie auch als gebürtige Russin. "In der Heimat bin ich deutsch, hier ist Vater Staat enttäuscht", skizziert sie ihre Position zwischen den Stühlen - trotz regelmäßiger Zahlungen in die Rentenkasse. Dazu erklingt ein Trap-Instrumental, das Fewtile dezent mit russischen Elementen anreichert. Mit diesem Stil und Charakter sollte ein rundum gelungenes Album möglich sein.

Trackliste

  1. 1. Paradies
  2. 2. Etage 3 (mit Bausa)
  3. 3. Letztes Wort
  4. 4. Ohne Dich - без тебя
  5. 5. Lügenmeer
  6. 6. Weit weg - далеко (mit Bazu)
  7. 7. Apricot
  8. 8. Zuhause
  9. 9. Regentag
  10. 10. Blüten Am Block

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