laut.de-Kritik
Wie eine Reise in Selig-ere Zeiten.
Review von Philipp GässleinVielen Fans dürfte das Herz geblutet haben, als sich Selig, seinerzeit die größte Hoffnung des Deutschrock, im Jahr 1999 trennten. Kaum einer Band gelang es, sich mit nur drei Alben derart tief ins kollektive Bewusstsein der Hörer zu graben wie dieser. Zwar brachte der Markt gerade in den letzten Jahren ordentlichen Ersatz hervor, aber wer einmal ernsthaft von Glückseligkeit angefixt wurde, auf den wirkt Tomte lediglich wie gestrecktes Methadon.
Doch was da aus den Boxen dringt, ruft Freudentränen hervor und lädt zu einer Reise zurück in die Zukunft ein: Zinoba rettet mit den eindringlichen, einfühlsamen Texten des Sängers Jan Plewka, der nach seinem Solodebüt wieder zu Rockwurzeln zurückgefunden hat, und Schlagzeuger Stephan Eggert die Innovation Seligs ins neue Jahrtausend. Mit Marco Schmedtje wurde ein mehr als würdiger Ersatz für "Kung Fu" Christian Neander gefunden, der den typischen textlichen Tiefgang mit herrlichem Bluesrock untermalt.
Gleich der erste Track "Seid Was Ihr Scheint" kann mit Allem aufwarten, was eine gute Singleauskopplung braucht: "Alles löst sich auf und auf nichts kommt's mehr an. Kein Wille geschieht und kein Wunsch geht in Erfüllung" klagt Plewka. Der Rhythmus geht unmittelbar in die Beine, die verzerrte Gitarre sorgt für die Untermauerung des tiefsinnigen Textes. Ob wie in "Ein Tag" die akustische Klampfe rausgeholt, in "Rand Der Zeit" die psychedelische Schiene gefahren oder in "Der Hype" an Soundgarden angelehnt wird - Zinoba gelingt es, auf der ganzen Bandbreite zu überzeugen.
"Warum sagst du ja, wenn du nein meinst. Wozu gibst du nach, wenn du's bereust, am Tag danach?" Wenn die erste Singleauskopplung "Hinterm Licht" es mit einem solchen Refraintext es tatsächlich in die Charts schaffen sollte, darf man vielleicht tatsächlich wieder etwas Hoffnung schöpfen. Zinoba zum Grand Prix! "Verschleppt Im All" hat mit stakkatohafter Instrumentalisierung das Zeug dazu, zum legitimen Nachfolger der Rockhymne "Ist Es Wichtig?" zu avancieren.
Zinoba lediglich auf die Selig-Aspekte zu beschränken, täte den drei Hamburgern Unrecht. Musikalisch wirken sie weiter entwickelt, grooven entweder mit Gitarrengewittern oder klingen besinnlich und melancholisch. Die Texte werden öfter im sozialkritischen und auch im philosophischen Bereich gesucht und gefunden. Frei nach Schopenhauer: "Du kannst tun, was du willst, wenn du willst, was du tust." Ihre sentimentale Seite zeigen die Hamburger in der Ballade "Wenn Liebe Käme", bevor das Album mit einem grandios verschrammelten Gitarrenpart und streicherartigem Keyboard in "Schein Schein" ausläuft.
Hier offenbart sich der einzige wirkliche Fehler des Albums: Es ist zu kurz. Zwar bringen Zinoba immerhin 45 Minuten tolle Rockmusik auf ihre Debüt-CD, der Drang danach, sich das Ding noch einmal zu Gemüte zu führen, ist allerdings schlichtweg überwältigend. Die Sucht eines echten Junkies lässt sich eben nicht so schnell stillen, auch wenn er gezwungenerweise eine halbe Dekade clean war ...
1 Kommentar
Aus der Rubrik Meisterwerke die "ueberraschenderweise" 5 Punkte bekamen und trotzdem kommentarlos und unbeachtet blieben. Heute : Zinoba.