laut.de-Kritik

Die entrückte Zauberin zwischen Guggenheim und Industrial.

Review von

Das von Frank Lloyd Wright in der Grundform einer Rotunde entworfene Solomon R. Guggenheim Museum in New York City war schon die Kulisse für manch besonderen Moment der Filmgeschichte. Es schmiegte sich in Woody Allens melancholische Schwarz-weiß-Hommage an sein persönliches "Manhattan". Will Smith jagte in "Men in Black" ein Alien dieselben Flure hinauf, die Jim Carrey Mr. Poppers Pinguine hinunter rutschen ließ. Kaum verwunderlich daher, dass der Zola Jesus-Auftritt vor Ort im Jahr 2012 besonders cineastisch ausgefallen ist.

Zwischen abstrakter Kunst, Impressionismus, Surrealismus und Expressionismus entstand eine besondere Chemie zwischen der Amerikanerin mit russischer Seele, dem sie an diesem Abend unterstützenden No Wave- und Post-Industrial-Urgestein James Geroge Thirmwell (Foetus) sowie dem Mivos Quartett. Wie die Gemälde ihre Leichtigkeit aus den hellen, fluoreszierenden Lampen des Gebäudes speisen, erhalten die aus den Alben "Stridulum II" und "Conatus" entliehenen Songs durch Thirlwells neue Arrangements eine eigentümliche Deutlichkeit und Intensität.

Mit "Versions" fängt Zola Jesus mit ihren Mitmusikern die Intimität des Guggenheim-Auftritts im Studio ein. Der Opener "Avalanche (Slow)" verdeutlicht die Wandlung. Von jedem vergänglichen Zeitgeist befreit, stellt er Nika Roza Danilovas Stimme in den Mittelpunkt. Nur vom Streicherquartett begleitetet und bis auf sein Konstrukt entblößt, offenbart sich die wahre Größe des Stücks. Das Versteckspiel ist vorbei. Kein Echo, kein Hall, keine Spielerei steht mehr zwischen dem Hörer und Zola Jesus. War sie eben noch eine entrückte Zauberin, steht sie nun splitterfasernackt und hauchnah vor ihren Anhängern.

Thirlwell exhumiert die Skizzen der einzelnen Lieder und fügt neue Spannungsbögen und Melodieverläufe hinzu. "Night" und "Run Me Out" trumpfen gegenüber den "Stridulum II"-Originalen mit tragischen Arrangements auf, bis die ersten unverhofften Bassschläge die Songs veredeln.

Denn so ganz mag die Sängerin nicht auf ihre Witch-House-Bindung verzichten. Der einzige neue Track "Fall Back" klingt wie eine altbekannte Seele. Die Geigen der Nachtmahr spielen auf Nervenfasern, bis sie schließlich Erlösung in einem elektrisierenden Beat und einem Schuss zu viel Pathos finden.

Wie bei Experimenten üblich, gelingt nicht jede Neuinterpretation. Das zwiegespaltene "Seekir" verliert sich ungeschickt zwischen Streichern und Elektroelementen. Anstatt eine Einheit zu bilden, galoppieren die einzelnen Bestandteile aneinander vorbei. "Hikikomori", das Menschen in Japan thematisiert, die sich einschließen und alle sozialen Kontakte abbrechen, wirkt in seiner neuen entschlackten Fassung wässrig und apathisch.

"Versions" rechnet mit den ersten Zola Jesus-Aufnahmen ab. Zeitgleich dokumentiert der Longplayer einen Moment des Lernens. Ein einschneidender Zwischenschritt an der Seite Thirlwells, der den Weg in die Zukunft der Sängerin deuten kann. Friss, Vogel, oder stirb. Nach diesem Abend im Guggenheim-Museum wird Zola Jesus nie mehr dieselbe sein.

Trackliste

  1. 1. Avalanche (Slow)
  2. 2. Fall Back
  3. 3. Hikikomori
  4. 4. In Your Nature
  5. 5. Seekir
  6. 6. Sea talk
  7. 7. Night
  8. 8. Run me out
  9. 9. Collapse

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