laut.de-Kritik
Der Teufel braucht keine Hörner.
Review von Emil DröllZurück in Schwarz. Zurück, weil sich AC/DC 1980 zum ersten Mal mit der Neubesetzung Brian Johnson präsentieren. In Schwarz deshalb, weil die Band noch immer trauert: um Bon Scott, den verlorenen Sohn des Rock'n'Roll, der im Februar 1980 tragisch verstarb. Ein Nachruf? Kaum. "Back In Black" ist ein "Rolling Thunder" der Auferstehung, ein Trauermarsch mit Gitarren statt Orgeln, ein Album, das "Highway To Hell" nicht nur beerbt, sondern auf den Schultern des Giganten noch höher klettert. Es wird der größte Rock-Meilenstein der 80er – und vielleicht überhaupt.
Denn was macht eine Band, wenn sie ihre Stimme verliert? Viele zerbrechen. AC/DC aber? Die erfinden sich neu – ohne sich zu verändern. "Back In Black" ist die paradoxeste Platte des Hardrock; revolutionär in ihrer Beständigkeit. Sie bewahrt den Dreck, die Riffs, die Sprücheklopferei – und hebt sie zugleich auf ein neues Level. Vielleicht gerade, weil AC/DC plötzlich mit dem Rücken zur Wand standen.
Mit Malcolm und Angus Young an Rhythmus- und Leadgitarre bleiben die treibenden Kräfte der Band erhalten – ein Glücksfall, denn ihr Zusammenspiel wirkt wie ein Uhrwerk. Gut, Scott und Angus Young waren einst das charismatische Zentrum auf der Bühne, doch mit Johnson verschob sich der Fokus: Aus dem Teufel mit Grinsen wurde der Teufel mit Schiebermütze. Und Angus Young – der ewige Schuljunge – stahl jetzt endgültig allen die Show.
Schon der Einstieg lässt keinen Zweifel. Vier Glockenschläge. Der Grabstein wird angeschlagen, die "Hells Bells" läuten – nicht das Ende, sondern den Aufstand. Dann dröhnt Angus' Leadgitarre, kurz darauf Malcolms unerschütterlicher Rhythmus. Aus Trauer wird Triumph. "Hells Bells" wächst langsam hervor, schleppend, unaufhaltsam. "I'm Rolling Thunder, Pouring Rain", röhrt Johnson – und man glaubt ihm sofort: Er IST dieser Sturm. Brian Johnson, vormals ein Bluesrocker bei Geordie, schüttelt seine Vergangenheit mit einem einzigen Atemzug ab. Fortan gehört seine Stimme dem Hardrock. Jeder Ton ein Hammerschlag gegen die Wand aus Zweifeln.
"Shoot To Thrill" ist danach fast ein Gegenentwurf – leichtfüßig, gefährlich, dreckig. Eine Explosion aus Adrenalin und Selbstbewusstsein. Der Song wirkt wie maßgeschneidert für Iron Man 2 – obwohl er 30 Jahre vor Tony Starks Leinwandauftritt entstand. Der Soundtrack eines Superhelden im Rausch.
Auch das folgende Dreierpack – "What Do You Do For Money Honey", "Giving The Dog A Bone", "Let Me Put My Love Into You" – hält das Niveau hoch. Die Texte drehen sich wie eh und je um Sex, Rock, Straße. AC/DC geben sich keine Mühe, intellektuell zu wirken. Müssen sie auch nicht. Der Groove, das Riff, die Attitüde sagen mehr als tausend Worte. Diese Songs scheren sich nicht um Tiefe – sie sind die Tiefe.
Dann der Knall: der Titeltrack "Back In Black" ist nicht nur ein Lied – es ist ein Manifest. Drei Akkorde, eine Wiedergeburt. Johnson schreit den Tod von der Bühne und das Leben in die Hallen. "I'm Back – Back In Black": Das ist keine Rückkehr. Das ist eine Invasion. Der Song wird zur Stadionhymne, zum Riff-Denkmal, zum Markenzeichen eines ganzen Genres. Angus' Solo schneidet sich so perfekt in den Track, als hätte es Jahrzehnte darauf gewartet, endlich freigelassen zu werden.
"You Shook Me All Night Long" folgt, die erste Single mit Johnson am Mikro. Wieder so eine AC/DC-Magie: Einfach, aber überirdisch. Die Riffs: auf den Punkt. Die Pausen: musikalisches Understatement. Der Refrain: fast poppig. Das Solo? So simpel, dass es göttlich wirkt. Angus Young ist nicht nur der wahrscheinlich ikonischste Gitarrist der Welt – auch vermutlich der gewiefteste. Niemand sonst versteht es so gut, Simplizität mit Genialität zu verkuppeln, dass Soli entstehen, die sich fast besser mitsingen lassen als die Vocals.
In der zweiten Hälfte: "Have A Drink On Me" und "Shake A Leg". Vielleicht keine Klassiker im engeren Sinne – aber solides Fundament für den Koloss, der hier gebaut wurde. Johnson zeigt sich variabel, mal röhrend, mal groovend, doch nie zahnlos.
Den Abschluss bildet "Rock And Roll Ain't Noise Pollution". Ein Statement, ein letzter Toast, ein mit Zigarettenrauch getränktes Blues-Monument. "Rock'N'Roll Is Just Rock'N'Roll." Punkt. Kein Genre, kein Konstrukt – ein Naturgesetz. Und das Wichtigste: "Rock'N'Roll Is Never Gonna Die".
"Back In Black" ist Trauerrede, Geburt und Welteroberung in einem. Eine Platte wie eine schwarze Gedenkkarte – aber auch ein Schlachtruf. Der Verlust von Bon Scott war nicht nur ein menschlicher, sondern ein mythologischer Einschnitt. AC/DC ohne Bon? Das klang nach Motörhead ohne Lemmy, Sabbath ohne Ozzy – nach dem Teufel ohne Hörner. Und doch bewiesen sie: Der Teufel braucht keine Hörner – nur Strom.
Zahllose Bands gingen den selben Weg: Black Sabbath, Sepultura, Linkin Park und viele mehr – alle durchlebten ihren Bruch, ihren Sängerwechsel. Alle wurden belächelt, bekämpft, bejubelt. Doch AC/DC zeigten am besten, dass Wandel nicht Aufgabe heißt. Dass Kritik nicht zum unbeschwerten Rock'n'Roll gehört. Und dass man ein perfektes Rezept nicht neu erfinden muss – man serviert es einfach immer wieder. Denn ja, man kann sagen, AC/DC hätten sich nie verändert. Dass sie seit Jahrzehnten das gleiche Album machen. Dass sie auf der Stelle treten. Aber "Back In Black" ist der Grund, warum genau das keine Schwäche ist – sondern ein Segen. Denn wenn du einen Moment der Perfektion erschaffen hast – dann darfst du ihn bis ans Ende aller Zeiten wiederholen.
In der Rubrik "Meilensteine" stellen wir Albumklassiker vor, die die Musikgeschichte oder zumindest unser Leben nachhaltig verändert haben. Unabhängig von Genre-Zuordnungen soll es sich um Platten handeln, die jeder Musikfan gehört haben muss.
5 Kommentare mit einer Antwort
Mögt ihr Sanchos in den Kommentarspalten? Denn so bekommt mensch Sanchos in die Kommtentarspalten.
"Zahllose Bands gingen den selben Weg: Black Sabbath, Sepultura, Linkin Park"
Wie kommt man denn bei so einer Auflistung zuerst auf den Namen Sepultura anstatt Van Halen oder Maiden?
Bestes Hard Rock Album aller Zeiten. Klingt auch nach 45 Jahren noch so, als wäre es gestern aufgenommen worden. Echt der Wahnsinn.
Im großen und ganzen DAS Album von den Stromleuten. Das Beste mit Brian J auf jeden Fall. So tight hat man sie vorher noch nicht gehört; dazu eine Produktion auf den Punkt. Vom Songwriting vergleichbar mit der Overkill von Motörhead, da sitzt auch jeder Song (bis auf Capricorn).
Hab nie gecheckt, warum Capricorn so häufig in deren Live Setlist zu finden war. Mir fällt spontan kein Motörhead Song ein, den ich weniger mag.
Definitiv eine der besten AC/DC-Platten, in jedem Fall die beste mit Brian Johnson. Abseits der Klassiker „Hells Bells“, „Back In Black“ und „You Shook Me…“ gefällt mir besonders „Have a Drink On Me“, das Bon Scott die letzte Ehre erweist, ohne dabei rührselig oder pathetisch daherzukommen.