laut.de-Kritik
Soul-Gefühl und Handwerk aus einem Guss.
Review von Philipp KauseAl Green trägt das Etikett des "Priesters in der Musik". Doch er ging erst ins Plattenstudio und wurde später Prediger, woran dieser Überblick über seine interessantesten Jahre, 1969 bis '79 erinnert. "Greatest Hits" und "Best Of" kursieren von Al Green in Breite, Fülle und Vielfalt. Jetzt liegt ein weiteres vor: "The Hi Records Singles Collection". Nicht 'hit', sondern 'Hi', wegen der Plattenfirma. Stax, das Label, das die Rassentrennung hinter sich brachte, war nicht sein Label – Al ging zur Konkurrenz: Hi-Records, ebenfalls in Memphis, Tennessee, Südstaaten.
Neben Hits (von denen Al einige hatte) tauchen in diesem 57-Tracks-Stapel durchaus recht unbekannte Nummern auf. Dem Auswahlkriterium entsprechend gingen sie alle einst als Singles auf den Markt. Je tiefer die Selection in die 70er reicht, desto öfter mischen sich softe Liebessongs, Funk ("Let It Shine"), auch Gospel-Soul ("What Is This Feeling") in die Sammlung. Die Grundlagen von Al Greens Musik finden sich dagegen stets in Blues, R & B und Soul, auch härterem, rauen Soul - Stilen, die hier hauptsächlich vertreten sind.
Dennoch: Memphis und Stax, für Funkmusik legten ein paar Leute hier die Grundsteine. Duck Dunn etwa, Bassist von Booker T & The MG's und Haus-Musiker jenes großen Labels, schob unter viele Sounds den schweren Mississippi-Groove, der immer etwas schwitzig klingt. Al Green schließlich profitierte vom Funk vor seiner Haustüre, sonst wäre seine Karriere bei Hi wohl ein ganzes Stück kürzer gewesen und dieses Box-Set keine drei Scheiben stark.
Nicht alle Tracks in der Sammlung überzeugen. Kaum zu erkennen im Blues-Gewand und auch kein großer Wurf ist etwa die Coverversion von The Beatles, "I Want To Hold Your Hand". "One Woman" steuert Charlie Chalmers bei - Hit-Lieferant unter anderen für Dusty Springfield ("Son Of A Preacherman") -, doch Hits klingen entschlossener. Chalmers spielt später Saxophon auf "Let's Stay Together" von Al Green, Willie Mitchell ist Ko-Autor des Hits. Natürlich gehört auch dieser Song zum Box-Set, auch ist er einer der Höhepunkte. Das Intro zählt zu den besten Song-Einleitungen aller Zeiten, legt es doch erst einen rauen, jazzigen Titel nahe, wobei dann die eingängige Melodie den anrührenden Text über ewige Partnerschaft oder Gemeinschaft, übers Zusammenhalten pusht.
Seinen ersten wirklich großen Hit aber schreibt Al ganz alleine, und vom Alleinsein handelt er: "Tired Of Being Alone", 1971. Aus dem zugehörigen starken Album "Al Green Gets Next To You" sind hier gleich acht Tracks versammelt. Denn so viel Output brachte es in die R'n'B-Charts, darunter sticht das harte, Dixieland nahe kommende "I'm A Ram" hervor. Zudem enthält die Sammlung das damals entstandene "Gotta Find A New World", das es nie aufs Album schaffte, eine sehr gute B-Seite. Der Track beginnt mit Spoken Word, liefert unglaublich geniale Bläser-Riffs. Sie tragen den Song rhythmisch. Mitsamt dem Text übers menschliche Zusammenleben und der weiblichen Backgroundsängerin, die zur Call- & Response-Stichwortgeberin und schließlich zur Duettpartnerin wird, steckt in diesen 2 Minuten 22 ein enormes Ausmaß an Emotion und Empowerment.
1973 klingt der Sound dagegen bereits erdiger, der Gesang sexueller. Die Zeile "Come and take / take me by the hand" aus dem Song "Here I Am" läuft bereits auf genau dem Akkordmuster und Riff, das für "Take Me To The River" bald darauf Pate steht. Diesen Song, bei Al mitunter heraus geschrieen, covern die Talking Heads erfolgreich. Beide Tracks, "Here I Am" und "Take Me To The River" schrauben sich mit ihrer Schärfe in Ohren und Beine. Der Funk zieht hier in Al Greens Musik ein, der Bass in "Here I Am" drückt sich bis an den Randbereich menschlicher Frequenzwahrnehmung.
Dann kommt der Bruch in seinem Leben, seine Freundin attackiert ihn schwer, Al Green wird Opfer häuslicher Gewalt. Sie bringt sich um, während er noch im Krankenhaus gerettet wird. Der Sänger wendet sich Gott zu, schlägt die weitere Laufbahn als Geistlicher ein, eine erste "Greatest Hits"-LP zieht Bilanz. Doch er nimmt eine Reihe weiterer Alben auf, die sich schrittweise dem Gospel annähern. Stets handelt es sich um Inhouse-Produktionen (aus dem Hause Hi), wie man heute sagen würde. Der Labelchef komponiert mit, die drei Hodges-Brüder von der hauseigenen Rhythm Section und ein Drummer, der immer in diesem Studio sitzt, Howard Grimes, setzen einen prachtvollen Sound zusammen.
"Glory Glory" ist so eine Single, die wie Broadway, wie Soundtrack-Musik klingt, groß, Räume öffnend. Intros wie zum Hit "Let's Stay Together“ zeichnen viele der Songs in "The Hi Records Singles Collection" aus. Highlight ist das elegische "Something" von 1976, ein Song so bittersüß und voller Ebenen wie geschmolzene Zartbitterschokolade auf Vanilleeis mit Kiwischeiben.
Die Schlussphase beim Hi-Label prägen dann längere Songs, gerne sieben Minuten. Sie fehlen hier, denn als Singles nahm man kürzere Stücke. Auch das Hi Records-Team fehlt. Al Green greift zur E-Gitarre, was der zunehmenden Süßlichkeit des Sounds keinen echten Kontrapunkt setzt. Zwei Coverversionen bestechen am Ende der Compilation, "How Can You Mend A Broken Heart", die Bee Gees mal anders gespielt, und "The Letter" (die Zeile "I've got a ticket for an aeroplane") aus dem Jahr 1969, erste Fassung von den Box Tops.
Auch wenn viel später mit "Love Is A Beautiful Thing" eher Seichtes aus dem Green-Universum erklang: Auf "The Hi Records Singles Collection" lässt sich die gute alte Zeit des Memphis Soul nacherleben, ohne Stax-Wah-Wah-Gitarren, doch stets mit Soulmusik aus einem Guss.
1 Kommentar
Absolute Legende und interessante Review.
Aber dass "One Woman" kein Hit ist, dem kann ich nicht wirklich zustimmen. Vor allem in der Isaac Hayes Version ein genialer Soul-Song, der auch textlich eine eher genreuntypische Richtung einschlägt.