laut.de-Kritik
Die perfekte Balance zwischen Introspektion und Esprit.
Review von Mirco LeierVertraut man den Inhalten ihrer Musik, so scheinen Rapper nicht zu altern. Future hat sechs Kinder, rappt aber bevorzugt über Double-Cups und Bad Bitches, und er wird das wahrscheinlich auch dann noch tun, wenn sechs weitere Sprösslinge durch seine Villa turnen und er besagte Double-Cups gegen Schnabeltassen getauscht hat. Wenn man sich anschaut, was passieren kann, wenn Rapper sich dazu entscheiden, ihr Erwachsenwerden auf Albumlänge breit zu treten, kann man diese Entscheidung durchaus nachvollziehen.
Dass ein Reifeprozess jedoch nicht zwangsweise so corny und lieblos aussehen muss wie auf Chances "Big Day", beweist Aminé mit seinem zweiten Studio-Album. Mimte er mit seinem durchwachsenen Debüt noch selbst den charismatischen, sorglosen Chance von damals, so findet er mit "Limbo" nicht nur seine eigene Stimme, sondern auch die perfekte Balance zwischen erwachsener Introspektion und jugendlichem Esprit.
Als einen der wichtigsten Auslöser für dieses emotionale Wachstum nennt der 26-Jährige den Tod der Basketball-Legende Kobe Bryant. Aminé bezeichnet den ehemaligen Lakers-Spieler gar als Vaterfigur. "You was like a dad to a nigga, so I'm sad my nigga / Had to get you tatted on me", rappt er auf "Woodlawn". Auf dem folgenden, nach "Kobe" benannten Interlude spricht Comedian Jak Knight: "It weirdly was one of those things where he died and I feel a lot of my innocence in being a young person, died with Kobe."
Das hört man. Aminé hängt, ähnlich wie sein Heimatland, in der Schwebe, "in limbo". Er reminisziert über Rückschläge, die er aufgrund seiner Hautfarbe tagtäglich erleben muss, über seinen schlagartigen Erfolg und die Probleme, die damit einhergehen, aber auch über scheinbar banale Dinge wie verflossene Liebeleien und seine familiäre Zukunft. Diese Ambiguität vertont der Rapper aus Portland entsprechend versatil.
Ohne seinem Sound eine Generalüberholung zu verpassen, markiert "Limbo" zweifellos Aminés bisher reifste, fokussierteste und vielseitigste Arbeit. Noch großzügiger als zuvor greift der Rapper in die Trickkiste und bedient sich an einem breiten Spektrum an Klängen, die von Boom-Bap, über HyPhy bis hin zu Trap und R'n'B reichen. Am besten zusammenfassen lässt sich, was Aminé hier vom Band lässt, wohl unter dem vagen Schlagwort "modern".
Selbst wenn es sich der Westküstler auf dem angestaubten Instrumental von "Burden" bequem macht, das sehr an die jüngste Arbeit Alchemists erinnert, klingt er mehr nach Pusha T als nach 90s-Boom-Bap. "Beat so cold, it make Aminé wanna open up", rappt er.
Neben dem dominierenden Rassismus in seiner Heimat thematisiert er auch seine psychische Gesundheit. Wo er aber auf "Dr. Whoever", dem Opener seines letzten Mixtapes, noch seine seelischen Wunden aufriss, blitzt nun zwischen all der Melancholie eine frohsinnige Dankbarkeit durch. Er richtet den Blick nach vorne: "God gave me them blessings, time's of the essence."
Nach dem sorglosen Flöten-Banger "Woodlawn" lädt "Roots" wenig später zum Gospel ein. Der von Injury Reserves Parkey Corey produzierte Track besticht mit einem wunderschönen laid-back Soul-Instrumental, das den perfekten Backdrop für Charlie Wilsons himmlische Vocals liefert.
"This a black album like Shawn Carter", rappte Aminé kurz zuvor im Intro, und kein Song wird diesem Statement mehr gerecht als "Roots". Zusammen mit J.I.D sinniert der Sohn äthiopischer Einwanderer in zwei großartigen Verses über seine afrikanische Herkunft, seine titelgebenden Wurzeln. Seine Delivery switcht, wie es auf "Limbo" oft der Fall ist, mühelos zwischen nachdenklich und humorvoll und trifft dennoch immer den richtigen Ton. "Eritrea, Ethiopia, Habesha utopia", spricht Aminé. "She likes my third eye, she loves my third leg", ergänzt J.I.D.
Im Mittelteil widmet sich der XXL-Freshman von 2017 nicht nur inhaltlich den etwas zugänglicheren Aspekten seines Privatlebens. Der Boom-Bap weicht dem Pop-Rap, der Soul dem Trap, und auch wenn Aminé weniger über Politik und mehr über sein Liebesleben rappt, macht es die Songs nicht weniger interessant. Besonders "Compensating" und "Pressure In My Palms" sind als Album-Highlights zu erwähnen.
Im erstgenannten Young Thug-Duett zeigt sich Aminé von seiner poppigsten Seite. Über ein verspielt vor sich blubberndes Instrumental von T-Minus switcht er mühelos zwischen Stimmlagen und Flows und macht sogar einem in Sachen Exzentrik normalerweise unerreichten Young Thug Konkurrenz.
Der Posse-Cut "Pressure In My Palms" ist neben dem ODB-interpolierenden "Shimmy" der größte Banger des Albums. Beide Songs laden zum Kopfnicken im Moshpit ein und stellen einmal mehr Aminés Versatilität unter Beweis. Aggressiv und gewitzt wirft er seine Konkurrenz unter die Räder. "Shimmy Shimmy ya, ya’ll niggas get no applause", rappt er.
Die frühere Black Eyed Peas-Frontfrau Fergie nimmt er gleich zwei Mal ins Visier. Dabei steht ihm die rücksichtslose Attitüde nicht nur außerordentlich gut, Lines wie "You thought you made you an anthem, but you just sang you a Fergie" und "Man, this like when Fergie peed her pants, that's when Honey used to dance" sind auch schlichtweg zum Schreien komisch.
Nach "Riri" und "Easy", den wohl schwächsten Songs des Albums, ändert "Limbo" ein letztes Mal den die Schlagrichtung. Aminé richtet den Fokus auf seine Familie, seine Freundin und den gemeinsam Nachwuchs. Das kann schnell corny werden (again: Looking at you, Chance!), stellt aber tatsächlich den wohl stärksten Stretch des Albums dar. Aminés erwachsener Umgang mit der Thematik trägt ebenso dazu bei wie die erneut vom Soul durchzogenen, gefühlvollen Produktionen von Pasqué, Vinylz und Maneesh.
"Mama" macht den Anfang. Es gehört ja mittlerweile fast zum guten Ton des Rapgames, irgendwann im Laufe der Karriere einen Song über das liebe Muttchen zu schreiben. Aminés zuckersüße Huldigung reiht sich aber auf Anhieb neben Kanyes und Tupacs "Dear Mama" in die oberste Riege der Mutti-Hymnen ein. "And it's you that I'm missin' / Every time I needed someone, you would listen / I'ma write you a song to put on everyday / So the times that I'm gone, you could smile when it plays", wem das nicht mindestens ein Lächeln ins Gesicht zaubert, der geht auch zum Lachen in den Keller.
Eben noch die Mama in den siebten Himmel gelobt, rückt die eröffnende Line von "Becky" sie in ein anderes Licht. "Mama said, never bring a white girl home to me", singt Aminé. Die euphorische Stimmung weicht einer deprimierenden. "And your parents, your parents / They don't know about me / I say 'Let's leave town', but I feel like I'd get shot down / And I'm tired, so this ain't worth the risk": Auch vor seiner Beziehung macht der Rassismus, der immer wieder auf "Limbo" zum Thema wird, keinen Halt. Das Bild, das der Rapper aus Portland malt, ist ausnahmsweise nicht lustig und hoffnungsvoll, sondern trostlos und traurig.
Der emotionalste Moment der LP folgt allerdings erst noch, und er gehört nicht Aminé selbst. Auf "Fetus" zweifelt er an, ob er ein Kind in diese kaputte Welt setzen will. Seine Bars über Waffengewalt und Armut sind mitnichten leichte Kost, aber wenn Injury Reserves Steppa J. Groggs, der im Juli verstorben ist, über seine sechsjährige Tochter rappt, brechen alle Dämme. "Hope I can be half the father that my mama was", rappt er und verleiht seinem ohnehin viel zu frühen Ableben eine noch größere Tragik. Eine Tragik, über die auch Jak Knights großartiges Interlude, das den Song beendet, nicht hinwegtrösten kann.
Doch "Limbo" endet nicht auf solch einer vernichtenden Note. Stattdessen knüpft "My Reality" an "Burden" an. Mit dem Boom-Bap kommen Hoffnung und Humor zurück. Zusammen mit Überraschungsgast Daniel Caesar schwingt sich Aminé zu Kanye-esken Höhen auf und zelebriert entsprechend selbstsicher und charismatisch die Wirklichkeit, die er mittlerweile seinen Alltag nennt. "As I sit here and stare at my things / The glass half-full from the joy that they bring / Livin' out the words that I used to say / We all dream, but to live this way": Viel erwachsener kann man ein Album wie dieses nicht beenden.
3 Kommentare
Na endlich, hatte sehr auf eine Rezi gehofft. Geil geworden!
Besser spät als nie. Super Album. Eines meiner Favoriten heuer.
Kann es sein, dass diese generischen Kasper alle komplett identisch "flowen"?