laut.de-Kritik
Schattenseiten und Folgen eines jahrelangen Hypes.
Review von Magnus FranzDas lange erwartete sechste Angels & Airwaves-Album ist ein Paradebeispiel für die Schattenseite eines immensen Hypes. Das heißt nicht, dass die LP des ehemaligen Blink-182-Mitglieds Tom DeLonge und seinen Bandkollegen David Kennedy, Ilan Rubin und Matthew Rubando eine große Enttäuschung geworden ist. Es ist vielmehr eine Frage des Blickwinkels.
Auf musikalischer Ebene ist "Lifeforms" in weiten Teilen mitreißend und im Kosmos der Kalifornier sogar eines ihrer bisher besten Outputs. Gerade im Vergleich mit der letzten Platte "The Dream Walker", die inzwischen ganze sieben Jahre zurückliegt, zeichnet sich ein deutlicher Aufwärtstrend ab.
Was bombastische Track angeht, liefern DeLonge und Co. mitunter Karrierebestleistungen ab. Gerade "Losing My Mind" überzeugt in dieser Hinsicht mit leidenschaftlicher und verzweifelter Intensität ("The devil ain't retired, he's just thinking out loud / Everyone is crazy and it's freaking me out") samt Gitarrenmassaker im Chorus. "Euphoria" und der Closer "Kiss & Tell" entladen ihre fesselnde Wirkung ebenfalls mit einer Kombination aus mitreißenden Gitarren-Licks und einem hochmotivierten DeLonge am Mikrofon.
"Automatic" klingt mit charakteristischen Akustikgitarren und subtilen Pop-Punk-Elementen hingegen wie ein verloren gegangenes Stück aus Blink-182s "Neighborhoods"-Ära und entwickelt sich mit jedem Hördurchgang mehr zu einem Highlight. Die wenigen Ausreißer wie der Opener "Timebomb" oder "Restless Souls", die im Vergleich mit den wirklich starken Songs der Platte etwas generisch und uninspiriert klingen, bleiben deutlich in der Unterzahl.
Das Problem ist, dass sieben Singles im Vorfeld bereits veröffentlicht wurden und zu Promo-Zwecken in größenwahnsinniger Hollywood-Manier sogar eine Raumkapsel ins All geschossen wurde. Nun erscheint nach schier endlosen sieben Jahren ein Album, das gerade einmal zehn Songs listet und somit kaum etwas Neues beinhaltet. Die Pandemie mag hier auch eine Rolle gespielt haben, trotzdem kommt man nicht um den Gedanken herum, dass hier Einiges nicht sonderlich smooth koordiniert wurde. An dieser Stelle müsste nun die Band das Ruder herumreißen, doch trotz guter Ansätze gelingt AVA dies nur bedingt.
Es ist einerseits bewundernswert, dass DeLonge selbst nach über 20 Jahren neben seinen klassischen Rockwurzeln neue Dinge ausprobiert und sein Songwriting in verschiedene Richtungen bewegt. Mit dem aus Synth-Pop und New Wave fusionierten "Spellbound", genauso wie mit dem punkigen und für AVA-Verhältnisse experimentellen "No More Guns", beweist DeLonge sowohl sich selbst als auch seinen Fans, dass er immer noch die ein oder andere Überraschung aus dem Hut zaubern kann.
Im Gegenzug stehen sich er und seine Schöpfungen aber auch teilweise selbst im Weg. Dies ist dem Umstand geschuldet, dass "Lifeforms" zwar solide Tracks aus der Feder eines erfahrenen Songwriters auffährt, aber keine Einheit bildet und nicht so recht weiß, was es überhaupt sein will. Es entsteht der Eindruck, dass DeLonge von Themen wie Liebe über Establishment-Kritik bis hin zu außerirdischem Leben und Verlust nach jahrelanger Album-Abstinenz so viel zu sagen hat und alles in unterschiedliche musikalische Gewänder packen will, dass es den Rahmen von zehn Tracks und gerade mal 38 Minuten an allen Ecken und Enden sprengt.
Dabei bieten die lyrischen Darbietungen interessante Grundlagen für Themen, die nur danach betteln, tiefer ergründet zu werden. Wieso dann nicht einfach noch zwei oder drei Songs dranhängen, die diese Ideen weiter ausführen? Genug Zeit wäre gewesen, den einzigen neuen Songs "A Fire In A Nameless Town", "Automatic" und "No More Guns" ein paar weitere frische Eindrücke anzuhängen.
So entpuppt sich "Lifeforms" jedoch mehr als eine mit Chaos verbundene Kollektion aus zehn Singles und weniger als ein kohärentes Album im Stile von "Love" (2010). Die lange Wartezeit und die hohen Erwartungen erzeugen ein antiklimaktisches Ende, das dem einstigen Hype trotz guter musikalischer Ansätze nicht gerecht wird.
3 Kommentare
"Losing My Mind" & "Kiss & Tell" sind ma echt fett. Album ist wohl aber eher mau, so wie ich die anderen vorab-Singles noch im Kopf habe.
Tom DeLonge immer noch einer der kreativstens Köpfe des Biz, was der aus seinem eher beschränkten Skillevel zaubert verblüfft immer wieder.
Das Album ist leider ne relativ zusammenhanglose Aneinanderreihung von, teils aber wirklich guten, Singles.
das ist leider richtig. die kritikpunkte sind berechtigt! die erste single kam 2019, drei neue songs - geringe laufzeit und letztlich klingt es wie eine art single-collection. sind gute songs, aber kein wirkliches album irgendwie, und dass obwohl eigentlich sooo viele projekte angekündigt waren - und nichts kam.