laut.de-Kritik

Stuart Murdoch und Co. veröffentlichen ihr "ReLoad".

Review von

Wer sich weder weiter entwickelt noch neugierig bleibt, wer es nicht wenigstens trotz all der Hindernisse, die das Gehirn in den Weg legt, versucht, bleibt im Leben schnell zurück. Die Welt wartet nicht auf dich. Sie dreht sich weiter.

Man kann also als Act über Jahrzehnte immer munter weiter das selbe Lied veröffentlichen (Grüße gehen an AC/DC und Konsorten), oder auf dem Weg etwas Neues versuchen. ABER DOCH NICHT SO WIE Belle And Sebastian in "I Don't Know What You See In Me"!!!??!!! Einem Song, der wie der gescheiterte Versuch klingt, die Scissor Sisters mit den Pet Shop Boys zu paaren und mit dem Ergebnis zum ESC zu kommen. Inklusive "La-ba-dee, la-daba-dee, la-daba-dee, la-daba-da". Schockschwerenot. Als Entschuldigung lässt sich vielleicht gerade noch anbringen, dass dieses Electro-Pop-Verbrechen nicht von der Band, sondern mit Pete Ferguson eine externen Person geschrieben hat.

Zum Glück verfolgen die während der Corona-Lockdowns zu Workaholics mutierten Schotten diesen Weg auf ihrem zweiten Album innerhalb von gerade einmal acht Monaten nicht weiter. Die elf Aufnahmen stammen aus der selben Session wie der Vorgänger "A Bit Of Previous". Ein Albumtitel, der nun mit "Late Developers" erst wirklich Sinn ergibt. Umgekehrt genauso. Kurz: Ihr zwölftes Werk ist ihr "ReLoad", ihr "Return Of The Dream Canteen". Während Stuart Murdoch den Vorgänger eher als brave Pflichterfüllung sieht, bezeichnet er "Late Developers" nun als Spielplatz. Dafür gerät es fast schon zu brav, hat die Band in der Vergangenheit doch bereits mehr gewagt.

Schon lange haben sie ihre scheue Hoppelhasigkeit der frühen Alben abgelegt, mit der sie einst die Herzen einer Indie-Pop-Generation stahlen. Zeitweise ging das gefundene Selbstbewusstsein auf die Kosten ihres Zaubers. Bei Alben wie "Girls In Peacetime Want To Dance" erreichten nur noch die Cover die alte Klasse. Bereits mit "A Bit Of Previous" beendeten sie diesen Trend.

Trotz aller stets durchschimmernden Melancholie verbindet die neuen Songs eine positive Grundstimmung mit "I Don't Know What You See In Me". Belle And Sebastian fügen ihre eingängigen Melodien auf einem Folk-Grundgerüst mit Stilelementen aus Pop, Soul und Country zu einer abwechslungsreichen, aber immer stimmigen Mischung zusammen.

Den schroffe Folk des Openers "Juliet Naked" untermalen einzig eine akustische und eine elektrische Gitarre, nur zeitweise von einer begleitenden Flöte aufgeheitert. Eigentlich für die Verfilmung des gleichnamigen Nick Hornby-Buchs geschrieben, schaffte es das melancholische Stück letztendlich nicht in den Film. Ethan Hawke wollte lieber seine eigenen Songs unterbringen.

Das von Sarah Martin gesungene "Give A Little Time" schmiegt sich an die Sonnenstrahlen der schönsten Sommertage. Ein Schwelgen in Erinnerungen und vergangenen Freundschaften, jedoch mit dem deutlichen Aufruf, den Blick nach vorne zu richten und Vergangenes ruhen zu lassen.

Stevie Jacksons "So In The Moment" beginnt, als wäre dies Belle And Sebastians "Barracuda" (Heart), nimmt aber schnell eine andere Richtung. Nicht, ohne vor Energie zu bersten. "I want to jump in like Paul McCartney and Wings". Fast erschreckend temperamentvoll jagt es durch einen Break nach dem anderen und kommt nie ganz zur Ruhe. Wieder kollidiert der Blick in die Vergangenheit mit dem Aufruf, im Hier und Jetzt zu leben.

"The Evening Star" fängt mit seinen Bläsern den Soul ein, verbindet ihn mit Country und einer Melodie, die Ähnlichkeiten zu Godley & Cremes "Cry" aufweist (Kennt das noch jemand?). Das sich ständig im Start- und Stop-Modus befindliche "Will I Tell You A Secret" erinnert mit seinem Barock-Charme und dem Cembalo an Cat Stevens.

Der kuscheligste Moment geht circa auf das Jahr 1994 zurück. Murdoch schrieb "When The Cynics Stare Back From The Wall" noch vor der Gründung der Band. Noch einmal verbreitet er den Rest des glitzernden Feenstaubs, den er wohl unterm Dachboden in einem kleinen Schmuckkästchen fand. Nach Resteverwertung klingt das Lied dennoch nicht. Noch einmal gibt es die alte Magie. Anstatt "When The Cynics Stare Back From The Wall" leichtsinnig den neuen Gegebenheiten anzupassen, schwelgt es im Klang der frühen Belle And Sebastian, nun nur mit breiteren Schultern. Anstelle von Sarah Martin übernimmt Tracyanne Campbell von Camera Obscura die Vocals an seiner Seite. Hach Welt, entwickle dich doch wohin du willst. Hier ist es einfach am schönsten.

Trackliste

  1. 1. Juliet Naked
  2. 2. Give A Little Time
  3. 3. When We Were Very Young
  4. 4. Will I Tell You A Secret
  5. 5. So In The Moment
  6. 6. The Evening Star
  7. 7. When You're Not With Me
  8. 8. I Don't Know What You See In Me
  9. 9. Do You Follow
  10. 10. When The Cynics Stare Back From The Wall
  11. 11. Late Developers

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