laut.de-Kritik

Von Selbstbetrachtungen bis Selbstjustiz.

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"Es gibt Deutschrap pre und post HT001 – diese Kurswende ist unumkehrbar", konstatierte Blokkmonsta vor einigen Wochen in den sozialen Medien. Hinter besagter Katalognummer verbirgt sich das schlicht "Hirntot" betitelte erste Album, mit dem er und Uzi den Grundstein für Hirntot Records legten. Nachdem es Letztgenannten 2016 ins bayerische Exil gezogen hatte, schlug er pünktlich zum Label-Jubiläum wieder in der Hauptstadt auf, um sich erst mit "Mörder Ohne Gesicht" und nun an der Seite seines Weggefährten mit "Irreversibel" auf die Anfänge zu besinnen.

"15 Jahre wie im Flug, ich weiß noch heute ganz genau wie alles begann." Zur Einstimmung greifen die beiden Berliner noch einmal die Hirntot-Historie auf, die einige Höhen und noch mehr Tiefen bereithielt. "2007 dann der Krieg gegen das System", dessen Begleitumstände Blokkmonsta schon im letztjährigen Interview ausführlich beleuchtete: "Gratis Promo durch Negativ-Berichte, 27 Alben auf Liste." Mit Voice-Samples, Scratches und einem einsamen Handwerker, der seine Arbeit im widerhallenden Raum verrichtet, kleidet DJ Reaf den Einstieg in ein klassisches Hip-Hop-Gewand.

"Gebrochene Kiefer" setzt dagegen auf die erprobten Synthie-Sounds aus dem Schocker-Sortiment, die den drastischen Szenarien die passend ruhelose Note verleihen. Reichlich überzogen und konfus fällt "Hassgeladen" aus, was auch an King Orgasmus One liegt, der zwischen Kannibalismus und Babymord auf arg gezwungene Grenzüberschreitungen setzt. Der Storyteller "Tief Im Wald '20" wiederum entführt musikalisch behutsamer und mit einem Quäntchen Humor zur Leichensammlung in den im Märchenland Deutschland seit jeher mit Angst und Schrecken verbundenen Forst.

Ein Titel wie "Spieglein, Spieglein" weckt ebenfalls zunächst Assoziationen mit dem Sagenhaften, bevor mit Uzis Einstieg die Hoffnung auf eingehende Selbstbetrachtungen keimt: "Spiegel, Spiegel, an der Wand, wer ist hier die Bestie?" Letztlich belassen es die beiden Rapper dann aber doch bei der Reflektion im physikalischen Sinne, um wieder ganz in Mordfantasien zu schwelgen. Doch der Blick auf das eigene Werk bleibt nicht gänzlich aus, wie sich im gelungenen Meta-Song "Theorie Oder Praxis" zeigt: "Theoretisch trenne ich Köpfe ab mit Äxten. Praktisch passiert alles nur in Texten."

Am stimmigsten gerät die Selbstbeschäftigung in "Sound Für Pyschopathen" mit Schwartz, in dem die Rapper die rahmengebende sorgenvolle Berichterstattung spiegeln. "Sowas gehört längst verboten. Solch eine Musik ist Schuld und Auslöser für alle Psychosen", nimmt Uzi auf recht ulkige Weise die Rolle des moralisch Empörten ein: "Ich will damit nichts zu tun haben." Die ihnen von aufgebrachten Kritikern zugeschriebene Macht nimmt Blokkmonsta dankend an: "Über 1.000 Unterstützer, die alle auf Befehl so wie Soldaten für uns killen. Ist euch bewusst, wie viele im Schläfermodus chillen?"

Dass sich die Hirntot-Künstler nicht allzu weit von ihrer artifiziellen Inszenierung entfernen sollten, stellt "Diese Welt" unter Beweis. Mit Streichern, die alle Last der Welt zu schultern scheinen, und leidvoller Unterstützung des Gastsängers Ozan behandeln die Rapper von psychischer Gewalt bis Amokläufen an Schulen das traurige Elend des alltäglichen Horrors. Wenn Uzi schließlich mit Kindesmissbrauch das Trigger-Thema schlechthin aufs Tapet bringt, fällt ihm zur Lösung nur Selbstjustiz ein, womit er sich kurzerhand doch wieder zum Täter erhebt.

So hinterlässt "Diese Welt" einen bittereren Beigeschmack als die Slasher-Songs. Die kurzfristige Rückbesinnung auf die Kernkompetenzen mit "S42 U6" und "Irreversibel (Hirntot Edition)", der sich als einziger Song hörbar von Gaspar Noés gleichnamigen Rape-and-Revenge-Film hat inspirieren lassen ("13 Mal den Feuerlöscher ins Gesicht"), fällt vergleichsweise schwer. Denn wenn Blokkmonsta und Uzi einmal den Pfad des Eskapismus in Richtung eines pathetischen Realismus' verlassen haben, führt im Grunde kein Weg mehr zurück. Es bleibt quasi irreversibel.

Trackliste

  1. 1. Irreversibel (mit Peja und DJ Reaf)
  2. 2. Tief Im Wald '20
  3. 3. Eiskalte Nacht (mit MC Basstard und Frauenarzt)
  4. 4. Gebrochene Kiefer
  5. 5. Spieglein, Spieglein
  6. 6. Sound Für Psychopathen (mit Schwartz)
  7. 7. Theorie Oder Praxis
  8. 8. Hassgeladen (mit King Orgasmus One)
  9. 9. Diese Welt (mit Perverz, Vero One und Ozan)
  10. 10. S42 U6
  11. 11. Irreversibel (Hirntot Edition)

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