laut.de-Kritik
Das Orakel gibt sich volksnah, geradezu versöhnlich.
Review von Maximilian SchäfferBob Dylan gibt sich auf "Rough and Rowdy Ways" volksnah, geradezu versöhnlich. Das Orakel mag nicht mehr mit Bildern und Halbwahrheiten flirten. Ein ganz einfacher alter Mann, der in Malibu gerne malt ist er dann aber auch nicht, das gibt er zu – "I Contain Multitudes". Ganz einfach ist es wirklich nicht und war es nie – zuhören muss man immer noch und kann man auf dem neuen Album auch recht entspannt, weil der Meister nicht mehr so nuschelt. Dylans Poesie ist staatstragend mit der Weisheit von fast acht Dekaden Lebenserfahrung und dem ständigen Leben in der ganzen Welt gefüllt. Am Ende hat seine Bilderwelt die Vereinigten Staaten von Amerika aber nie verlassen. Daher kommt sie und dahin geht sie zurück.
Wenn er malt, malt Bob Dylan Kulturlandschaften, die er kennt. Weite Bahngleise und Highways, Diners und Cadillacs, Indiana Jones und Anne Frank. Er sitzt dabei an der Pazifikküste oder in irgendwelchen Hotelzimmern und denkt über das 20. Jahrhundert nach. Auf der Bühne macht er nur noch was er will, lotet seit Jahrzehnten die Konstruktion seiner eigenen Kompositionen aus. Menschen, die künstlerische Prozesse nicht verstehen wollen, sondern lieber inflationär das Wort "Inspiration" benutzen, stört das, wenn er seine alten Lieder je nach Tagesform grunzt und lallt. Merke: Ein Orakel bezahlt man nicht für die Wettervorhersage.
"Can you look at my face with your sightless eyes? Can you cross your heart and hope to die?" singt er in "My Own Version of You". Was Bob Dylan von der Postmoderne unterscheidet, ist der Mut zur ironiefreien Position. In den 60ern versuchten ihn Ideologen zu vereinnahmen, in den 70ern dann die Ideologiekritik. Er wurde religiös, zuerst Jude, dann wiedergeborener Christ, dann doch wieder Musiker, auf keinen Fall Agnostiker. "I'm sittin' on my terrace, lost in the stars / Listening to the sounds of the sad guitars / Been thinking it all over and I've thought it all through / I've Made Up My Mind To Give Myself To You" predigt der Mann, der einst Herr Zimmerman war, 2020 sein Evangelium der Liebe.
Gleichzeitig ist Dylan nicht nur Künstler, sondern auch Enzyklopädist dessen was vor und mit ihm war und ist. Zuletzt nahm er deswegen Sinatra-Klassiker auf, er hält Bluegrass für grundsätzlich unerlernbar, lässt seine selbstkomponierten Volksweisen von anderen spielen, rezitiert ab und zu dazu im Takt oder nicht. Immer wieder fallen Namen derer, die ihm in irgendeiner Weise begegnet sind. Viele Ikonen und Legenden werden aufgezählt, eine ganze Walhalla voll Gefallener erwähnt, in "Mother of Muses" wie in allen anderen Songs.
Am schönsten und am allerschönsten instrumentiert ist das auf "Key West (Philosopher Pirate)", wo sich zur perfekten Kapelle ein Akkordeon gesellt. Die USA fangen an ihrem Zipfel an, wurden dort von Kubanern gebaut. Unten befinden sich eine Militärbasis und ein kleines weißes Haus, wo die Präsidenten wohnten. In Key West gibt es die begehrte Unsterblichkeit, auch für Esoteriker und Schwule: "Such is life".
"Murder Most Foul" zirkelt 17 Minuten lang um die Frage nach der Zeitenwende, nimmt sich die Ermordung John F. Kennedys zum Thema, endet in Fürbitten. Der Sänger ist sich bewusst, dass er selbst zum Mythenreservoir der USA gehört, natürlich, in tragischer Tradition aller Bühnendarsteller und Laienprediger, auch gehören will, damit er nicht stirbt. Ronald Reagan war einst im Fernsehen, sprach folgende Sätze und gewann damit die Wahl: "I will not make age an issue of this campaign. I am not going to exploit, for political purposes, my opponent's youth and inexperience". Bob Dylan macht 2020 im Alter von 79 Jahren ein Album und alle müssen zuhören, weil kein einfacher alter Mann, sondern das Orakel spricht.
2 Kommentare mit 4 Antworten
Recht hat er, der Rezensent. Als beizeiten skeptischer Anhänger der "Church of Bob" meine ich auch, dass Dylan hier nochmal ein Meisterwerk abgeliefert hat.
Da hat Bob Dylan im Alter von 79 Jahren ein Album Veröffentlicht das man so nicht erwartet hätte. I Countain Multidudes, False Prophet, I've Made Up My Mind to Give Yourself to You, Key West (Philosopher Pirate) und Murder Most Foul sind alles großartige Lieder. Besonders Murder Most Foul handelt von einem sehr traurigen Thema nämlich John F. Kennedys Ermordung.
Jo, seeehr traurig, dass ein fremdgehender Millionär ermordet wurde, der, wenn er nicht zum US-Traumata mutiert wäre, wahrscheinlich in den Geschichtsbüchern gar nicht gut weggekommen wäre. Da interessiert mich Massentierhaltung, Umweltverschmutzung, Hunger und Vertreibung schon fast nicht mehr vor Traurigkeit ))
Genau wie Bob wissen wir doch alle einfach alles!
Wäre Trump heute Präsident oder in einem Präserativ gelandet, wenn JFK nicht Marilyn flach gelegt hätte?
Lassen wir uns diktieren was wir zu wissen haben oder wollen wir etwas wissen weil es uns interessiert?
Liegt doch alles an uns selbst und da ist mir so ein Album voller Nostalgie und trotzdem der kritische Blick lieber als der ewige Zynismus, "es wäre doch alles so schrecklich", wenn!
Wow, Fremdgehen ist tatsächlich noch eine moralische Kategorie. Dieses Schlafzimmergeklotze gibt es 2020 tatsächlich immer noch. Ich dachte wir wären weiter.
Matze, Du miese Type!
Schon wieder ne neue Telefonnummer?