laut.de-Kritik

Die Geburtsstunde des Conscious-Rap.

Review von

"So you are a philosopher?" Eine zweifelnde Frage begrüßt an der Pforte zu "By All Means Necessary..." - und sie gestattet nur eine Antwort: "Yes. I think very deeply."

"In about four seconds a teacher will begin to speak", informiert das nächste Sprachsample. KRS-Ones Aufforderung "Let us begin!" läutet sie ein: die Geburtsstunde des Conscious-Rap.

Von einer Crew, die mit ihrem Erstling den Prototyp aller Gangsterrap-Alben abgeliefert hat, hatte man eine Entwicklung hin zu intellektuellen, philosophischen, soziologischen, durch und durch politischen Fragestellungen nicht zwingend erwartet. Doch, wie später auch andere feststellen werden: Zeiten ändern dich.

"Listen to my 9 mm go bang", verlangten Boogie Down Productions noch 1987 auf "Criminal Minded". Ein Jahr später hatte KRS-One besagten Schuss mindestens einmal zu oft gehört. Nicht nur, dass bei einer Auseinandersetzung im Rahmen eines gemeinsamen Auftritts mit Public Enemy ein Fan ums Leben kam. Auch BDP-Gründungsmitglied DJ Scott La Rock starb eines gewaltsamen Todes.

Er fing sich - Ironie des Schicksals - ausgerechnet beim Versuch, einen Streit zwischen seinem Kumpel D-Nice und einigen Gangmitgliedern zu schlichten, eine Kugel in den Hals ein. La Rock schaffte es noch bis ins Krankenhaus, verblutete dort aber unter den Händen der Ärzte auf dem OP-Tisch.

Zurück blieb ein zutiefst erschütterter KRS-One, dessen Prioritäten die brutalen Vorfälle gewaltig durcheinander gebracht hatten. Doch allein schon, um das Andenken an den verlorenen Freund in Ehren zu halten, musste die BDP-Show weitergehen. Scott La Rocks Geist bleibt präsent.

Dieses zweite Album trägt seinen Titel - wie das Coverartwork eine Verneigung vor Malcolm X - wahrhaftig mit Recht: So notwendig wie "By All Means Necessary..." war eine Platte selten. Die Bridge Wars, die voran gegangene erste Fehde in der noch jungen Hip Hop-Geschichte, zwischen BDP und der Juice Crew um Marley Marl und MC Shan, die sich um den wahren Geburtsort des Genres stritten, verkam angesichts der monströsen Verluste zur vernachlässigbaren Nebensache.

Scharfsinnig, geradezu hellsichtig erkannte KRS-One die Abwege, auf die sich sein Genre begab, die Abgründe, auf die es ungebremst zurannte. Wild entschlossen stellte er sich diesem Höllenritt in den Weg - mit einem Spiegel in Händen, den er Kollegen und Fans schonungslos vorzuhalten gedachte.

"How many emcees must get dissed?" Es sollen noch eine ganze Menge sein. Zu viele ließen ihr Leben in völlig unsinnigen Auseinandersetzungen. Hätten sie mal besser auf den Mann gehört, der sich plötzlich "The Teacher" nannte und Gewaltverzicht predigte: "One, two, three - the crew is called BDP, and if you want to go to the tip top: Stop the violence in hip hop!"

Unter dem Mitsing-tauglichen Refrain blubbert eine Reggae-Bassline. Nicht zum ersten Mal integrieren Boogie Down Productions jamaikanische Klänge in ihren Sound. Wie schon auf dem Debüt zeigen sie auch auf "By All Means Necessary..." wieder, dass sie die Worte des Gründervaters Kool DJ Herc nicht nur verstanden, sondern verinnerlicht haben: "Die Chemie dieser ganzen Sache kam aus Jamaika." Wohl wahr.

Auch das Toasting in "Illegal Business" trägt jamaikanische Züge. Dazu gesellen sich fluffige Saxophon-Melodien ("My Philosophy") und wohl vertraute Samples aus Soul, Funk, aber auch aus dem Rock. So mutiert Stevie Wonders "Part Time Lover" zu "Part Time Suckers". "I'm Still #1" benutzt die prägnanten Bläser aus "Cramp Your Style" und "Ya Slippin'" das Hit-Riff aus "Smoke On The Water".

"Keep in mind that I compose my music piece by piece / First a bass, a snare, a little cut over there / I add my name K-R-S and the shit becomes fresh." Zugegeben: Es existieren Platten, denen der Alterungsprozess weniger anhaben konnte. Sieht man sich im 21. Jahrhundert erstmals mit "By All Means Necessary..." konfrontiert, kommt man schwer umhin, zu bemerken, dass Produktion und Reimstil mittlerweile, um das böse Wörtchen "gestrig" zu vermeiden ... arg aus der Zeit gefallen wirken.

Die hart akzentuierten Drumbeats erscheinen minimalistisch und ein wenig angestaubt. Das Gesamtbild richtet lange keine Verwüstung des Ausmaßes an, wie sie etwa Public Enemy und The Bomb Squad in herrschenden Hörgewohnheiten hinterließen. Vielleicht stehen Boogie Down Productions deswegen stets ein wenig im Schatten der drastischer operierenden Kollegen.

Die Sprengkraft steckt hier weniger in der musikalischen Ausgestaltung als in den wohl artikulierten Worten, mit denen KRS-One um sich wirft wie mit Molotov-Cocktails, in der Hoffnung, einen lodernden Flächenbrand der Erkenntnis zu entfachen.

Mit wachem Auge für sein Umfeld thematisiert er, was er tagtäglich sieht: herrschende Ungerechtigkeit, soziale Schieflage, Korruption in Regierung und in einem Polizeiapparat, den Willkür und Gier nach dem persönlichen Vorteil im Würgegriff halten. "And the president is still on vacation."

Armut, Drogenhandel und -sucht, AIDS, Gewalt, aber auch die Oberflächlichkeit des gerade erblühenden Rap-Geschäfts liefern Themen en masse. KRS-One erweitert allerdings die bloße Beobachterperspektive um eine weitere, eine innere Dimension. Er bringt sich als ganze Person mit ein, gestattet Einblicke in seine Gefühls- und Gedankenwelt.

BDP bringen die Introspektive auf den Plan, beeinflussen damit von Common über Mos Def und Talib Kweli zu Jay-Z nahezu jeden auch nur halbwegs gehaltvollen Rapper, der nach ihnen kam. Dass Kollegen "By All Means Necessary..." hoch- und runter-sampleten, versteht sich fast von alleine.

Die Kehrtwende vom Saulus zum Paulus, von Gangster- zu Conscious-Rap-Pionieren: KRS-One und Mitstreiter haben sie gewagt, erfolgreich vollzogen und sich damit an die Spitze eines neu aufgespannten Flügels innerhalb ihres Genres gesetzt. Die Worte des Teachers bleiben prophetisch und zeitlos gültig: "Hip Hop will surely decay if we as a people don't stand up and say: Stop the violence!"

In der Rubrik "Meilensteine" stellen wir Albumklassiker vor, die die Musikgeschichte oder zumindest unser Leben nachhaltig verändert haben. Unabhängig von Genre-Zuordnungen soll es sich um Platten handeln, die jeder Musikfan gehört haben muss.

Trackliste

  1. 1. My Philosophy
  2. 2. Ya Slippin'
  3. 3. Stop The Violence
  4. 4. Illegal Business
  5. 5. Nervous
  6. 6. I'm Still #1
  7. 7. Part Time Suckers
  8. 8. Jimmy
  9. 9. T'Cha-T'Cha
  10. 10. Necessary

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