laut.de-Kritik
Jenseits von Indie und doch mittendrin.
Review von Katja ScherleKaum hatten Bound Stems ein paar Minuten im CD-Player verbracht, stand schon die erste Einschätzung: Jugendliche Wut der Arctic Monkeys trifft die Extravaganz von And You Will Know Us By The Trail Of Dead. Kinderstimmen zählen einen Countdown zum Beginn der CD. Auch ... Trail Of Dead dekorieren ihr "Worlds Apart" aus dem gleichnamigen Album mit Kinderlachen- und Schreien. Auch im immer mal wieder eingespielten Sprechen ähneln die Chicagoer Bound Stems den Texanern.
Doch gibt man dem Album noch ein paar Minuten Zeit, kristallisiert sich eine ganz andere Art der Experimentalität heraus. "Appreciation Night" ist eine Collage aus Indieversatzstücken, die mit voller Aufmerksamkeit angehört werden will. So ist es bestimmt nicht falsch, gleich als ersten Eindruck zwei Bands anzuführen. Bound Stems zitieren nämlich ständig. Das Keyboard beim tatsächlichen Einstiegstrack "Andover" könnte aus dem Instrumentarium der Killers entwendet und dann beim Transport ordentlich beschädigt worden sein. Nicht gefällig mit sofortigem Wiedererkennungswert, sondern verzerrt und disharmonisch leitet es den Track ein. Der Mittelteil bietet mehrstimmigen Gesang und einen Wechsel zwischen stampfendem Trail Of Dead-Rhythmus und schnellerer Strokes-Tanzbarkeit. Stimmlich erinnert Gitarrist Bobby Gallivan immer noch ein wenig an Alex Turner, Gitarrist der englischen Monkeys. Soweit noch nachvollziehbar?
Schön, denn im Anschluss, namentlich "Western Biographic", hört man den das leichtfüßige Spötteln der Fratellis und ordentlich Text. Episch, fast in Kurzgeschichtenlänge, breitet sich ein Teil der Lyrics auch auf dem Cover der CD aus. "Wake Up, Ma And Pa Are Gone" verfügt über die lässige Beiläufigkeit der Strokes, dann wird gitarrentechnisch noch einmal rangeklotzt und vom Mittelteil ab werden Bound Stems herrlich laut und noch schräger.
Für jetzt seien erst mal genug Bandnamen gefallen, irgendwo dahinter muss doch auch ein Konzept stecken. Und da ist es ja schon! In all ihren Zitaten gebären Bound Stems tatsächlich etwas ganz Alt-Neues. Sie greifen sich die gängigen Indie-Stilmittel und puzzeln sie wild aneinander, verzerren sie und kombinieren sie untereinander disharmonisch, wie es dem konditionierten Ohr anfangs so gar nicht gefallen will. Ob dies nun Hommage oder Parodie sein soll, mag jeder selbst entscheiden. Entscheidend aber ist, dass sie es trotzdem schaffen, auf einzelnen Zwischenstücken so viel Gefälligkeit in Melodie und Gesang hineinzupacken, dass sie sehr gut hörbar bleiben.
Bei "Excellent News, Colonel" macht Janie Porche den Anfang, mit einer süßen Rotzigkeit singt sie auf eine hübsche Melodie, die fast einem beliebigen College-Rock-Stück entsprungen sein könnte. Dann wechselt der Rhythmus allmählich und kaum merklich und Bobby Gallivan tritt ans Mikro. Danach folgt ein nettes Gitarrensolo, der Rhythmus wechselt wieder und am Schluss dieser nicht ganz unanstrengenden Tour durch die eigenen Hörgewohnheiten verwöhnen beide Stimmen wieder mit gemeinsamen Gesang und fröhlichem Klatschrhythmus, wie man ihn aus der Freitagnacht im Lieblingsclub kennt. Zu viel der fast mathematisch nervigen Formelhaftigkeit? Man muss es eben gehört haben.
Appreciation Night verweigert sich der (zumindest unmittelbaren) Tanzbarkeit. Aber das macht das Album ja so sympathisch. Es nimmt sich aus den gängigen Indie-Klängen gerade das heraus, was ihm gefällt und gelangt so zu einer musikalischen Dimension, die jenseits des Indie-Mainstreams liegt. Und gerade deswegen verdienen Bound Stems wohl das Prädikat "Independent". So ist es fast unmöglich, sie anhand der Kriterien "gute Musik – schlechte Musik" zu bewerten. Deswegen bekommen sie für den Anteil an Perlen, den sie liefern eine herzliches "wirklich gut".
1 Kommentar
Sorry, diesen Thread musste ich einfach starten. Was haltet ihr den von den Bound Stems. Mich persönlich haben kürzlich nur die neuen Werke von Amon Tobin, The Shins, Trail of Dead und vielleicht noch Menomena derart überwältigt. Bin gespannt was ihr zu den Jungs und dem Mädel von der amerikanischen Westcoast zu sagen habt.
Für mich ist das ganz einfach ein gelungenes Indie Album, welches durch seine Unverfrorenheit und Frechheit genau soviel Aufmerksamkeit erfordert, wie es Spass macht.