laut.de-Kritik
Triumphaler Rückblick, Mythologien von der ewigen Straße.
Review von Markus BrandstetterAm 23. Oktober 2017 betrat Bruce Springsteen das erste Mal die Bühne des Walter Kerr Theatre in New York City, um vor kleinem Publikum Geschichten zu erzählen, aus seiner Autobiographie "Born To Run" vorzulesen und ausgewählte Songs zu spielen. Alleine mit Akustikgitarre oder Klavier, nur gelegentlich von seiner Ehefrau und Bandkollegin Patti Scialfa unterstützt. Wie bei einem Nine-to-Five-Job spielte er fünf Tage in der Woche am Broadway die Show, deren Tickets teils für immense Summen gehandelt wurden. Es hätte eine achtwöchige Showreihe werden sollen, am Ende wurden 236 Abende draus – am 15. Dezember beendet Springsteen sein Broadway-Gastspiel. Nun veröffentlicht er einen Mitschnitt eines solchen Abends sowohl als Netflix-Film als auch als Album.
Das "Born To Run"-Narrativ
Springsteen erzählt von seiner Jugend, von seiner aufflammenden Liebe zum Rock'n'Roll, von seinem Vater und seinen Depressionen, seiner Mutter, die an Alzheimer erkrankt ist. Er erzählt vom Fundament des Springsteen'schen "Born To Run"-Ethos, von der Stadt, die er als Todesfalle besang, der er entkommen wollte – im Auto, mit Mary auf dem Beifahrersitz, jener Stadt, die ihn dennoch nicht losließ, in die er immer wieder zurückkehrte.
Springsteens Erzählungen und Beobachtungen sind konzentriert und auf den Punkt, mit Augenzwinkern und Pathos, sind abwechselnd launig und ergreifend. Der Held der Arbeiterklasse, als der er gerne dargestellt werde, der sei er nie gewesen erzählt er, die Fabriken, die er besang, hab er nie von innen gesehen, er sei eben ein Songwriter. Für ihn, "Mister Born to Run, Mister Thunder fucking Road", ist es eine gute Zeit, zurückzuschauen, die Anfänge dessen zu analysieren, was längst Legende, Rock'n'Roll-Geschichte ist. Er erzählt von Kriegsveteranen und spielt "Born In The USA", ein Stück, das nie auch nur den Ansatz des Hurra-Patriotismus' in seinem Wesen hatte, der ihm fälschlicherweise gerne unterstellt wird. Es hat von seiner Dringlichkeit nichts verloren, im Gegenteil. Springsteen geht weit zurück, erzählt von seiner Freundschaft mit dem "Big Man", dem 2011 verstorbenen Saxophon-Giganten Clarence Clemence, einem der Hauptprotagonisten im E-Street-Pantheon. Dann spielt er am Klavier "Tenth Avenue Freeze Out". Man hört immer noch die Dringlichkeit jener Vision und jener Freundschaft aus jeder Faser dieses Stücks. Springsteen geht quer durch, performt "The Ghost Of Tom Joad", "The Rising", "Dancing In The Dark".
"There’s nothing like being young and leaving some place"
Am Älterwerden vermisst er am meisten, die Schönheit der leeren Seite, erzählt Springsteen. Die Versprechungen, Möglichkeiten, die weiße Seite, die einen dazu aufforderte, auf sie zu schreiben. Dann spielt er "Thunder Road", diese ewig gültige Straßenhymne von Eskapismus, vom Rauswollen, etwas Besseres, Aufregenderes finden wollen. Wir müssen raus, hier können wir nicht gewinnen, singt er. Es ist einer der größten Songs, die je geschrieben wurden, auch wenn die Straßen der Verheißungen längst andere geworden sind. Aber vielleicht gilt die Versprechung ja noch. Jene, dass es zwar spät ist, aber wir's unter Umständen vielleicht noch schaffen, wenn wir jetzt losrennen.
Ganz am Ende kommt das Credo, geboren um zu rennen. Er greift zur Akustischen, unterlegt die Akkorde mit einem treibenden, geschäftigen Rhythmus. Seine Stimme ist nicht zwingend brüchig, aber rau, straßengegerbt – gleichermaßen von jenen Straßen aus der Mythologie, die heute nicht mehr existent sind, aber auch jene Straßen, auf denen man Springsteen wieder finden wird, jetzt, wo er mit seinem Nine-to-five-Job am Broadway fertig ist. Es geht weiter, Tramps like us, du weißt schon.
Was für ein verdammter Triumph.
6 Kommentare
Hammer! Als säße er hier im Wohnzimmer!
Dieser Kommentar wurde vor 5 Jahren durch den Autor entfernt.
Er ist eben der Boss! Absolutes Hörerlebnis!
Der Musiker mit der größten Aura zu meiner Lebzeit.Wahnsinns Aufnahme.
„Was für ein verdammter Triumph!“ Herr Brandstetter trifft den Nagel auf den Kopf!
Ich bin froh mit Springsteen zusammen auf diesem Planeten zu sein!