laut.de-Kritik
Die Wall of Sound erdrückt den Hörer.
Review von Giuliano BenassiLange ist es her, da wehte aus Tucson, Arizona staubiger, einfallsreicher und atmosphärischer Wüstenrock über den Ozean. Erst bei Giant Sand, dann mit Calexico begeisterten Joey Burns und John Convertino, Zuhörer und Konzertbesucher. Das namensgebende Dorf an der Grenze zwischen Kalifornien und Mexiko hat das Duo mit seinen wechselnden Mitstreitern längst verlassen. Ihr Vorgängeralbum hieß "Algiers" (2012), das aktuelle, ihr neuntes, haben Burns und Convertino an einem Ort aufgenommen, der genau das Gegenteil eines gottverlassenen Kaffs ist.
Stark gewandelt hat sich auch die Musik: Convertino bleibt ein effektiver Schlagzeuger, der immer wieder mit seinem Rhythmusgefühl positiv überrascht. Doch Burns hat am Mikrophon zunehmend an Selbstsicherheit gewonnen. In gleichem Maße ist seine Arbeit an der Gitarre in den Hintergrund getreten.
Obwohl die Gründer nach wie vor die Hauptrolle spielen, betten sie ihre Beiträge in immer dichtere Klangteppiche ein. So stark wie hier aber noch nie. Das Album beginnt mit einem poppigen Keyboard. Es folgen Bläsereinlagen, Kirchenglocken, Convertinos rollendes Schlagzeug, eine gezupften E-Gitarre, Bass, Stimme. So entsteht eine breiige Wall of Sound, die den Zuhörer gleich von Beginn an erdrückt.
Der Soundblob verschlingt auch die Gastbeiträge von Sam Beam, Neko Case oder Ben Bridwell, die mehr oder weniger untergehen. Dass die aus Guatemala stammende Singer/Songwriterin Gaby Moreno und die spanische Sängerin Ampáro Sanchez mehr herauszuhören sind, mag daran liegen, dass das Material und Teil der Aufnahmen in Mexiko Stadt entstanden, genauer gesagt im Viertel Coyoacán, dem auch der Titel des einzigen Instrumentals Tribut zollt. Scheint eine inspirierende Gegend zu sein, jedenfalls ist es das einzige Stück, das stellenweise an die glorreichen alten Zeiten anknüpft, inklusive taktgebender Schreibmaschine.
"Bullets & Rockets" beginnt vielversprechend mit einem dreckigen Bluesriff der Marke Seasick Steve, flaut nach wenigen Takten aber ab. "When The Angels Played" klingt nach verstimmten Mainstream-Country, "Tapping The Line" spielt mit einer Dissonanz zwischen Basslinie und Gesang, hinterlässt aber keinen Eindruck. "Cumbia De Donde" platziert sich irgendwo zwischen Buena Vista Social Club und Karnevalsmusik, erst mit "Miles From The Sea" kommt endlich ein bisschen Calexico-Stimmung auf. Die Streicher wären allerdings nicht nötig gewesen.
"Beneath The City Of Dreams" bietet angeskaten Pop, "Woodshed Waltz" wieder Schunkelcountry. Den Tiefpunkt bildet jedoch das Italopop-Stück "Moon Never Rises", dessen Keyboardeinlage an Tony Espositos "Kalimba De Luna" erinnert. Eine Hommage, die nun wirklich keiner braucht. Das gespenstisch angehauchte "World Undone" lässt einen Hoffnungsschimmer aufkommen, den das abschließende "Follow The River" mit jaulendem Gesang und ebensolcher Pedal Steele wieder versenkt.
Natürlich darf sich eine Band weiterentwickeln, experimentieren, hinzu lernen. Insbesondere Calexico, die sich durch ihre Bandbreite definieren. Mit den letzten Werken scheint ihnen der rote Faden aber leider abhanden gekommen zu sein. Zu beliebig bauen sie babylonische Klangtürme auf, die sich ohne belastbares Fundament in den Himmel ragen und prompt einstürzen, ohne bleibende Spuren zu hinterlassen. Ein Trost bleibt: Ihre Konzerte sind die nach wie vor einen Besuch wert.
13 Kommentare mit 3 Antworten
Verstehe die Kritik nicht, die Platte ist gut, kommt sonst auch fast überall sehr gut weg...
Ich finde die Platte auch super. Ich finde auch weder, dass der Sound den Hörer erdrückt, noch dass es eine breiige Wall of Sound ist. Und am kritischsten sehe ich die Aussage, dass der Gesang im finalen "Follow the river" jaulend wäre. Für mich eines der absoluten Highlights auf dem Album und ich empfinde das kein bisschen als jaulend. Vielleicht nicht ihre stärkste Platte, aber gut ist sie auf jeden Fall!!
Dieser Kommentar wurde vor 9 Jahren durch den Autor entfernt.
Hab' das Album als Vinyl-Platte. Hab mich mal drunter gelegt. Also, mich erdrückt da nix. Einfach schöne Musik.
Diese Kritik ist ein Witz.
Da bin ich wohl der einzige, der die Rezension durchaus treffend findet. Seit Hot Rail verfolge ich nun Calexico und habe auch schon vier Konzerte besucht, immer hat mich die Musik gepackt und eine ganz besondere Magie und positive Energie verströmt. Edge of the sun ist nun das erste Album, das diese besondere Atmosphäre nicht ausstrahlt, alles nett, aber eher beliebig, da helfen auch die Gastmusiker nicht. Ist aber immer noch Calexico, immer noch toll und vielleicht live auch wieder die Seele berührend.