laut.de-Kritik

Fetisch-Soundtracks mit Unisex-Vibrator.

Review von

"Wenn ich an einem Fetisch Soundtrack arbeite, hat es etwas ganz Spannendes. Viel spannender als wenn ich eine Auftragsmusik für z.B. Britney Spears machen würde." Man glaubt es dem guten Carlos Peron sofort. Dummerweise macht fast alles im Leben mehr Spaß als den Komponisten für eine talentbefreite Hupfdohle zu geben. Das Argument zählt nun wirklich nicht.

Was hingegen zählt, ist die opulente Elferbox des sympathischen Yello (Mit)Gründers. "11 Deadly Sins" nennt er den kompletten Katalog seiner Arbeiten für erotische Sessions. Samt Fotoarbeiten von Eros-Ikone Wolfgang Eichler und eines etwas science-fictionhaft wirkenden Erotikspielzeugs samt (per Mobilfon!) steuerbaren Unisex Vibrators. Neulinge könnten dennoch fragen, weshalb so eine spezielle Platte jenseits der Zielgruppe überhaupt relevant sein sollte.

Zum einen liegt dies an der herausragenden und weitgehend elektronisch gehaltenen Musik, die im Genre seinerzeit wegweisend war. Von Trance über Intelligent Techno à la Aphex Twin bis hin zum grauenvoll verkitschten Monkpop haben sich nahezu allesamt bei den dunkelbunten Klanglandschaften bedient. Meist epigonal limitiert; bisweilen sehr inspiriert. Was aber in der Darkwaveszene zum clownesken Akt des Exhibitionismus verkommt, gerät dem Zürcher Schöngeist zur eigenständig musikalischen Kunst.

Man stelle sich konzeptionell ein pechschwarzes Schloss als musikalische Basis vor. Innerhalb des Labyrinths befinden sich farbige Zimmer. Bereits 1991 erschien sein persönlicher White Room; "La Salle Blanche". Musikalisches Zentrum und gefeierter Wegweiser. Zwar hört man dieser Grundform das eine oder andere Produktionsjährchen auf dem Buckel an. Klerikales Chor-Geschmachte ist von den enigmatisch beschränkten Fledderern bis hin zu üblen Sakropop-Wegelagerern derart komplett zur Strecke gebracht worden, dass es den Novizen sicherlich etwas Geduld abverlangt, bis sich die schleichend hypnotische Atmosphäre vollends erschließt.

Puristen und Minimalisten hingegen sollten schnell durch den Flur ins gegenüber liegende rote Zimmer wechseln. Eine extrem dominante Killerbasslinie gibt den ebenso pulsierenden wie eigentümlich versteinerten Rahmen vor. Monoton wird es gleichwohl keine Sekunde. Kleine, sehr feine Hintergrundelemente – etwa eine punktuell eingestreute Morricone-Gitarre – verströmen eine warme Aura, die bei solch zurückgenommener Elektronika den meisten Kollegen eher selten gelingt. Stoned immaculate!

Temperamentvolle Floorstomper dürften sich dagegen mit der aggressiveren "Terminatrix" wohl fühlen. Zwischen prähistorisch technoidem Endachtziger-Aufbruch à la Tommie Stumpff, Zutaten aus der Italodisco und heftigem EBM Gebratze rockt das Teil so offensiv nach vorn, wie man es nur aus seiner Postpunk- und Yellophase zu kennen glaubt.

Natürlich wäre der stets schelmisch kontrastierende Eidgenosse nicht er selbst, wenn es im Lustschloss keinen Darkroom gäbe. Flinke Geister ahnen es bereits: Die Platte heißt "La Salle Noire" und beschäftigt sich thematisch wie lyrisch mit dem revolutionären Marquis de Sade. Ein etwas bitterer Wermutstropfen: Die französischen Texte sind der Sammlung nicht beigefügt. So bleibt der Inhalt leider derart im Dunklen, dass man sich zumindest eine kleine Komponistenfunzel im schwarzen Zimmer wünscht. Musikalisch hingegen bewegt sich der Mann aus der Eifel in ungewöhnlich romantischen Gefilden. Eine kokonhafte Schönheit.

Jene Peronfreunde, die eine Vorliebe für seine industriellen Steinbruch-Collagen und mitunter atonal zerklüfteten Mondlandschaften hegen, finden nur zwischen den Zeilen ihre Nuggets. Ebenso vermisst man bei der stimmlichen Umsetzung ein wenig die unfassbare Charakterstimme der Theaterikone Peter Ehrlich; mit dem Peron seit Beginn der 80er mehrere herausragende Hörbuch/Musik-Zwitter fabrizierte. Ein zweites "Lohengrien" sucht man hier leider vergeblich.

Mein ganz persönlicher Favorit ist die zweite Variante des "Salle Violette". In Anbetracht der Opulenz dieser musikalischen Trutzburg, ist es eine recht kleine, fast bescheiden anmutende Mansarde im Midtempostil. Das außergewöhnliche Spiel mit Perkussionbeats im prickelnden Arrangement saugt das Ohr des Lauschers an den heimischen Boxen fest.

Schlussendlich macht der vielseitige Freigeist mit dieser Zusammenstellung alles richtig. Die rauschhafte Annährung an die Sessionmusik steht bei Don Carlos’ kompositorischer Arbeitsweise hörbar nicht im Widerspruch zum intellektuellen Anspruch oder harmonischen Zuckerwürfel. Endlich ist ein wesentliches Segment seines Katalogs nicht länger vergriffen. Doch nun wird es Zeit, die literarische Seele in seiner Brust ebenso zu reanimieren. Gespannt warten wir mit Rittern, Unholden sowie dem Teufel auf den nächsten Streich.

Trackliste

La Salle Blanche

La Salle Rouge

La Salle Violette I

La Salle Violette II

La Salle Noire

La Comtesse Rouge

Terminatrix

Der Luzidus

Extravaganza

Die Sieben Todsünden

Les Salles Live

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