laut.de-Kritik
Klonkriegerin der toxischen Beziehungen.
Review von Yannik GölzErnsthaft? Noch eine?! Um 2020 ging irgendwo im Deutschrap ein Loch für melodramatische Sadgirls ohne Künstlernamen auf. Als hätten die Musikgötter beschlossen, dass jede Frau, die Samra 2019 eine Hook lieferte oder hätte machen können, ein Superstar wird. Hier haben wir also CÉLINE: Eine kaum googlebare Sängerin-slash-Rapperin, bekannt durch Koops mit Lena, Ufo und Loredana, von der Spotify mir erzählen möchte, dass sie zwei Monsterhits mit um die 100 Millionen Stream gelandet hat.
Ihr aktuelles Projekt "Lost Tapes 2" ist auf jeder erdenklichen Ebene okay. Es ist stilsicher, handwerklich makellos und nach allen Regeln des Handbuchs catchy. Trotzdem fällt auch ihr Material einheitlich in den Deutschland beherrschenden Break-Up-Schmonzetten-Trot ein. Sie kann dem Boy nicht vergeben. Ups, sie hat ihm schon wieder vergeben. Wie konnte das nur passieren? Eingereiht in absolut einheitliche Preset-Produktion verkommt sie trotz solider Stimme und gutem Gefühl für Pop doch nur zur nächsten toxische-Beziehungen-Klonkriegerin.
Alles, was ich wollen würde, ist doch ein kleines bisschen Quirk. Ein klein wenig Humor, ein bisschen Albernheit, einen gewissen markanten Zug, dass ich mit selbstbewusstem Ton sagen kann: 'CÉLINE unterscheidet sich von Ayliva, Lune etc., weil...' Ja, weil was?
Der Intro sollte eigentlich eine Möglichkeit genau dafür liefern: Eine Hymne auf ihre Heimatstadt, wo alles begann, die sie für immer repräsentieren wird, zu der der Kompass immer zeigen wird. Erstmal die Verwirrung beseitigen, dass die titelgebende "104" sowohl ihre neue Heimat Berlin "104XX", als auch ihre alte Heimat Paderborn "33104" bedeuten könnte: Wie kann man einen Song über einen Ort schreiben und nicht ersichtlich machen, ob es um Paderborn oder Berlin geht? Wir lernen, da wo sie herkommt, gab es a) Leute und b) Alkohol. Ihre Jugenderinnerungen sind so schemenhaft und generisch, dass auch ihre slicke Delivery nichts rausreißt.
Generisch und schemenhaft beschreibt leider auch den Beziehungstalk. Es gibt einen Song über eine gut laufende Beziehung ("Schau Mich Nicht So An"), wo der Dude ihr bescheinigt, sie sei so schön, sie brauche gar kein Make-Up. Den Rest der Zeit geht es um toxische Typen, die immer wieder in ihrem Leben auftauchen wie der Marlboro Man. Viele Fragen werden im ewigen Pendelschwingen zwischen 'Ich bin die Ärmste' und 'ich bin empowered und total über ihn weg' nicht beantwortet. Die skizzehnhaften Zweiminüter zielen spürbar auf maximale Zielgruppenfläche. Natürlich auch hier wieder: Kompetent sind die alle. Aber halt auch wirklich einer wie jeder.
Da überrascht es in der Summe fast schon, wenn mal etwas auftaucht, das ein bisschen aufhorchen lässt. Die melodischen Adlibs an den Zeilenenden von "Fallen" erinneren ein ganz klein wenig an Roddy Ricch auf "The Box" - und sie hat in ihrer Karriere ja bereits Amirap-Interesse gezeigt, das sich gerne in ein bisschen weniger glatten Songs oder Beats ausdrücken dürfte.
Außerdem wirkt "Schwarze Wolke" klar wie der prädestinierte Hit. Auch deswegen, weil in den Beschreibungen von Abgrenzung und Traurigkeit, die CÉLINE durch so viele Lebenslagen verfolgen, das vermutlich Plastischste und am klarsten Beobachtete liegt. Sie kann offensichtlich Melodie, sie kann offensichtlich die richtigen Knöpfe drücken: Es bräuchte mehr Songs wie den hier oder "Mom & Dad" auf den Vorprojekten, um die Form wirklich mit Charakter zu füllen.
Aber am Ende ist "Lost Tapes 2" schon mehr oder weniger das, was man erwarten würde. CÉLINE ist der nächste Rapstar des Streaming-Zeitalters, über den es quasi nichts zu sagen gibt. Sie hat alles Talent der Welt und doch quasi keinen Star-Appeal. Könnte man diese Frau parodieren? Könnte man ein Meme über sie machen? Könnte sie jemanden musikalisch beeinflussen? Ich glaube kaum. Sie ist einfach nur die Nächste im deutschen Musikmarkt, der seit Jahren unstillbar nach denselben, austauschbaren Melodrams über toxische Beziehungen lechzt. Ich verstehe nicht ganz, wie derlei das meist nachgefragte Genre unseres Landes sein kann. Aber hoffentlich geht es allen bald ein bisschen besser.
1 Kommentar
Ich hab die Review nur wegen der hervorragenden Überschrift geklickt!