laut.de-Kritik
Wilder Ritt durch neue Beats.
Review von Karina SadkovDer Brat-Sommer mag vorbei sein, aber Charli XCX zeigt, dass der Herbst mindestens genauso spannend wird. Kaum eine Künstlerin bewegt sich so sicher zwischen avantgardistischem Hyperpop und Mainstream-Pop wie die Kultikone. Auf ihrem neuen Album "Brat And It's Completely Different But Also Still Brat" zeigt sie erneut, warum sie zu den innovativsten Künstlerinnen ihrer Generation gehört. Mit einer beeindruckenden Feature-Liste und einem facettenreichen Sound macht sie klar, dass sie nicht nur ihre eigene kreative Nische beherrscht, sondern die Popwelt regelmäßig neu definiert.
Die Gastauftritte lesen sich wie ein Who's Who des modernen Pop – von Pop-Titanen wie Ariana Grande und Lorde bis hin zu Hyperpop-Schwergewichten wie A.G. Cook und Bladee. Doch statt sich von den hochkarätigen Namen in den Schatten stellen zu lassen, behält Charli die Zügel fest in der Hand.
Musikalisch bewegt sich das Album irgendwo zwischen futuristischem Hyperpop und introspektivem Synthpop. House-Tracks wie "Club Classics" mit BB Trickz und "Talk Talk" mit Troye Sivan sind tanzbare Hymnen und mit ihren exzentrischen Produktionen dennoch weit entfernt vom gewöhnlichen Clubsound. Besonders "Club Classics" setzt einen markanten Akzent: Die Adlib "Bumpin That", die bereits in den originalen Versionen von "360" und "365" präsent war, findet sich hier wieder und verleiht dem Track zusätzliche Energie. Damit hebt sich der Song auf ein neues Brat-Level und katapultiert dich direkt ins nächste Boiler Room-Set mit Charli.
A.G. Cook hinterlässt auf "Von Dutch (A.G. Cook Remix)" und "So I" deutlich seine Spuren, indem er die typische PC Music-Ästhetik auf die Spitze treibt. Beide Tracks sind vollgepackt mit überbordenden Synths, glitchigen Effekten und verspielten Vocal-Edits. Besonders der Remix von "Von Dutch" strotzt vor metallischen Beats und digitaler Euphorie, während "So I" mit kantigen Breaks und futuristischen Pop-Melodien beeindruckt.
Einen kleinen Ausfall leistet sich das Album mit "I Might Say Something Stupid", bei dem The 1975 und Jon Hopkins mitwirken. Der Song klingt derart nach The 1975, dass man fast das Gefühl hat, auf einem Album der Band gelandet zu sein. So sehr hat sich der Track an deren Stil angepasst, dass die typische Essenz von Charli XCX dabei verloren geht. Der Song startet ruhig, dominiert von einem Klavier, das zunächst jegliche Energie vermissen lässt. Erst nach der Hälfte setzen die Synthesizer ein, die dem Track etwas mehr Tiefe und Textur verleihen. Doch selbst dann fängt die Produktion nicht das charakteristische "Brat-Gefühl" von Charli ein – diese freche, rebellische Energie, die normalerweise ihre Musik durchzieht. Zwar bleiben die Lyrics unverkennbar Charli XCX, doch sie wirken fast wie ein Fremdkörper in der übermäßig angepassten Klangwelt. Auch Jon Hopkins' typischer elektronischer Feinschliff bringt nicht die nötige Frische, um den Song wirklich aufzuwerten.
"Everything is Romantic" mit Caroline Polachek gelingt genau das, woran "I Might Say Something Stupid" scheitert – es bleibt unverkennbar Charli, während es neue Klangwelten erkundet. Ganz anders als die Originalversion, aber trotzdem zu 100 Prozent in ihrem Stil verwurzelt. Ein langsamerer Track, durchzogen von Polacheks ätherischen Vocals, jedoch angetrieben von einem tiefen, treibenden Beat. Das Zusammenspiel der beiden Künstlerinnen verleiht dem Song eine besondere Dynamik – Polacheks zarte, fast schwebende Stimme harmoniert perfekt mit Charlis charakteristischem Beat, der den Song im Hintergrund antreibt, ohne ihn zu überladen. Im Sommer fällt es einem leichter, das Leben zu romantisieren, und genau das macht Charli mit den geänderten Lyrics des Songs deutlich. Nicht mehr im sommerlichen Italien, sondern im regnerischen Londoner Herbst fragt sie sich: "Living that life is romantic, right?" Hier treffen Emotionen und experimentelle Sounds aufeinander und schaffen eine verträumte, aber dennoch kraftvolle Pop-Hymne.
Ein absoluter Rave-Banger ist "365" mit Shygirl, der sofort ins Blut geht. In den Originalversionen von "360" und "365" steckt dieselbe Melodie, jedoch weicht die letztere neue Version davon ab. Der hemmungslose, starke Bass dröhnt in den Ohren und verwandelt einen in ein "Party Girl". Ein Party-Track durch und durch, der mich allein beim Zuhören so fühlen lässt, als wäre ich auf Kokain. Während es bei Charli XCX Kokain ist, ist es bei mir "365": "I'm a brat when I'm bumpin' that".
Mit "Brat And It's Completely Different But Also Still Brat" beweist Charli XCX, dass sie sich nicht an Spielregeln hält – sie schreibt ihre eigenen. Ob hyperaktiver Clubsound oder introspektive Pop-Momente, sie schafft den Spagat mühelos und zeigt dabei, wie vielseitig und kompromisslos sie agiert. Jeder Track sprüht vor Ideen und lässt das Album wie eine Soundexplosion wirken, die gleichzeitig vertraut und völlig neu klingt. Wer hier nicht mitgeht, hat Pop nicht verstanden.
4 Kommentare mit 3 Antworten
Sehe jetzt nicht, was hier an Charli selbst genial sein soll. Kann man bei "Brat" behaupten, wenn man möchte (möchte ich nicht). Das hier ist halt ne Remix-Platte plus Cash Cow durch Gastmusiker.
Du scheinst dich wenig mit der Historie von Charli und dem Album auseinandergesetzt zu haben. Kollaborationen durchziehen schon immer ihr Schaffen und eine durchschnittliche Remixplatte ist das auch nicht. Oder haben es für dich Remixplatten so an sich, dass bei allen Songs neue Vocalpassagen der Originalkünstlerin drin sind plus Vocals der jeweiligen Gastmusiker?! Vielleicht solltest du dicht erst mal mit dem Schaffen einer Künstlerin auseinandersetzen bevor du dich dazu äußerst. Hier gibt es nämlich sehr viel zu entdecken.
"Hier gibt es nämlich sehr viel zu entdecken."
Verstehe schon, wenn er das nicht will, nicht jeder steht auf melodramatisches Hyperpopgejaule. Vielleicht ist es ihm auch nicht iconic genug.
Wir sollten vielleicht die Standards so weit herunterfahren sollten für Musiker, daß sich eben noch mal vors Mikro zu stellen etwas ganz Erstaunliches ist. Das Remixen an sich ist für Produzenten schon einiges an mehr Arbeit als das Aufnehmen. Wenn ich die Doppelrolle Musizieren/Produzieren habe, ist das Singen oder Spielen der lockere Teil.
Was Remix-Platten betrifft, haben wir schon sehr viel aufregendere Neuinterpretationen gehört als diese hier, die im besseren Falle aus hörbare B-Seiten besteht.
Ich finde Brat super, definitiv das beste Pop-Album des Jahres für mich persönlich, aber ich habe irgendwie null Interesse an dieser Remix-Nummer, die das Original sowieso nicht toppen wird.
Das WLR für weiße Mittelschicht girls. Album Titel auch corny af.
Mir gefällt mean girls mit julian casablancas sehr...erinnert doch stark an instant crush mit daft punk