laut.de-Kritik
Eine Parallelwelt, die die echte da draußen vergessen lässt.
Review von Eberhard Dobler"Random Access Memories" mag nicht für jeden Fan Daft Punks bestes Studioalbum sein, in der schmalen Diskografie der beiden Franzosen gibt es aber auch kein schlechtes. Vier Studioalben reichten in 16 Jahren aus, um Weltruhm zu begründen. Rein kommerziell betrachtet, blieb einzig "Human After All" hinter den Erwartungen zurück. Das erfolgreichste dürfte das mit fünf Grammys ausgezeichnete RAM aber sein, was nicht zuletzt an der prominenten Kollabo-Liste liegt, allen voran Pharrell, Nile Rodgers und der gemeinsame Hit "Get Lucky".
Vor allem sollte sich RAM aber als Daft Punks letztes Album erweisen, 2021 sagten Thomas Bangalter und Guy-Manuel de Homem-Christo für immer Adieu. Fragt man nach den Gründen, bleiben diese eher vage: Letztlich waren Daft Punk, zumindest für Bangalter, vermutlich einfach "auserzählt", wie es der Spiegel nach einem Treffen mit dem Franzosen zuletzt ausdrückte.
Zwei Jahre nach dem Abschied und zehn Jahre nach Release erscheint nun eine RAM-Jubiläums-Ausgabe, erweitert um 35 Minuten Outtakes, Demos und Rares aus den damaligen Aufnahmesessions. In der Vinylversion liegt der "10th Anniversary Edition" zusätzlich ein Poster sowie ein 16-seitiges Booklet bei. Die Doppel-CD ergänzt ein 20-seitiges Booklet, in der Streaming-Version fährt man als Zuckerl einen Dolby Atmos Mix auf.
Den Auftakt zum zusätzlichen Material gibt der entrückt wirkende Kinderchor von "Horizon Ouverture", der im Original in "Touch" zu hören ist, und den im weiteren Verlauf wunderbare Streichermusik ablöst, die gleichwohl recht abrupt endet. Man denkt umgehend an Bangalters vor kurzem releaste, klassische Soloplatte oder, um im Kontext zu bleiben, an das orchestrale Intro von "Beyond".
Den verhaltenen und anno 2013 Japan only-Track "Horizon" eröffnet Daft Punk-untypisch eine Akustikgitarre, ergänzt um Pedal-Steel-Sound, weichen Bass und Synthie. Später ersetzen ein sanfter Drumcomputer bzw. gegen Ende ein Live-Drumkit die Akustische: Musik, um zu träumen, sich zu verlieren. Über sechs Minuten dauern anschließend die "Studio Outtakes" von "Give Life Back To Music", die nah am Original grooven und mit ausladendem Klavier sowie Basspart Jamcharakter aufweisen.
Das zart perlende "Infinity Repeating" fährt erstmals prominente Vocals auf: Julian Casablancas' Stimme behält den etwas ätherisch verhauchten Touch von "Instant Crush" bei, diesmal allerdings ohne Vocoder. "Infinity Repeating" stellt klar das Highlight der Anniversary Edition dar, geht es letztlich doch als vollwertiger Track durch.
Das nur 30 Sekunden lange "Get Lucky"-Instrumental fällt durch andere Lautstärkeverhältnisse auf: Der Rhodes Piano-Sound ist deutlich nach vorne gemischt, während die charakteristische Funkgitarre fehlt. "Prime" erweist sich als 70er-Synthie-Studie, ergänzt um Bass, Streicher und Drums, die am Ende auch ein Discofunk-Stück hätte werden können. Nicht nur an dieser Stelle bekommt man eine leise Ahnung von der RAM-Aufnahmesituation: Einzelne Instrumente laufen während des Jams aus, am Ende bleiben nur die Akustikdrums bzw. Streicher übrig.
"LYTD (Vocoder Tests)" flankiert, wie es der Titel ausdrückt, als vielstimmige Vocoder-Studie das Original. Das über achtminütige "The Writing Of Fragments Of Time" fällt wiederum aus dem Rahmen, fängt es doch den Entstehungsprozess des Songs mit Todd Edwards ein und ist mit Gesprächen und Kommentaren der Protagonisten unterlegt. Man befindet sich noch in der Phase der Songfindung, Work in progress sozusagen. In gewisser Weise stellt der Tune aufgrund seiner vielen Wortbeiträge auch eine Art Pendant zu den ersten zwei Minuten von "Giorgio By Moroder" dar.
Die Bonus-Edition beschließt "Touch", das einen eher untypischen Daft Punk-Beat auffährt und dazu Bass, Orchester, Synthie-Effekte und erneut den hervorragend in Szene gesetzten Kinderchor featuret. Der Kreis schließt sich.
Wer RAM noch nicht sein Eigen nennt, kann im Zweifel die Anniversary-Edition wählen und erhält qualitativ hochwertig aufgenommene Additionals, was angesichts des immensen technischen Aufwands, den Daft Punk damals bei den Aufnahmen betrieben, kaum wundert: Diese Demos haben Studioqualität, was beispielsweise bei den Streichern und Chören direkt auffällt.
In Relation zum Gesamtwerk der Franzosen landen die Outtakes und Demos natürlich in der Rubrik 'Nice to have' - abgesehen von Casablancas "Infinity Repeating", das damals noch vor "Instant Crush" entstanden ist und heute als finaler Daft Punk-Track gehandelt wird. Dennoch wird selbst bei diesen 35 bis dato liegen gebliebenen Minuten überdeutlich: Daft Punk ziehen den Hörer immer wieder in ein eigenes Sounduniversum hinein, eine Parallelwelt, die die echte da draußen vergessen lässt.
3 Kommentare mit 4 Antworten
Mir gefallen die Tracks auf der Bonus CD sehr.
"Vor allem sollte sich RAM aber als Daft Punks letztes Album erweisen, 2019 sagten Thomas Bangalter und Guy-Manuel de Homem-Christo für immer Adieu."
Es dürfte wohl eher 2021 gemeint sein. Das der Autor sich eigentlich über den Zeitpunkt der Auflösung im Klaren ist zeigt sich später im Text an dieser Stelle: "Zwei Jahre nach dem Abschied..."
Dieses ReRelease ist doch schon fast wieder vergessen, wie viel wichtiger ist doch die Frage:
Wie findest du Tears of the Kingdom bisher?
Dieser Kommentar wurde vor einem Jahr durch den Autor entfernt.
Tears of the Kingdom ist super.
auserzählt passt zu totgespielt- was nicht dem Album anzulasten ist. Ist aber der Stand der Dinge.
Selten war ich so enttäuscht von einem Album, wie von RAM.
Wie findest du dagegen Tears of the Kingdom?