laut.de-Kritik
Vielleicht besser als eine Talking Heads-Reunion.
Review von Alexander KrollPulp, Oasis, Linkin Park. Hier die Beta Band, dort die Babyshambles. Rockbands, die längst Geschichte waren, kehren in diesen Zeiten scharenweise zurück.
Ein Hauch von Reunion umgab unlängst auch die New Wave-Legenden Talking Heads. Mehr als zwanzig Jahre nach ihrer Einführung in die Rock and Roll Hall of Fame und mehr als dreißig Jahre nach ihrer Auflösung saß der frühere Bandleader David Byrne bei der Weltpremiere des remasterten "Stop Making Sense"-Konzertfilms wieder zusammen mit seinen alten Kollegen. Doch obwohl bei dem von Spike Lee geführten Gespräch während des Toronto Film Festivals viele spannende Anekdoten zu hören waren: Talking Heads-Musik gab es im Nachhinein nur von anderen Bands, auf einem Tributalbum mit Coverversionen.
David Byrne bleibt bei seiner Solokarriere. Trotzdem kann von einem Alleingang kaum die Rede sein. Anknüpfend an "American Utopia", ein extravagantes Gesamtkunstwerk aus Album, Broadway-Show und HBO-Film, holt Byrne auf seinem neunten Soloalbum "Who Is The Sky?" einen illustren Kollegenkreis dazu. Für frischen Sound sorgen der Grammy-prämierte Produzent Kid Harpoon (Harry Styles, Florence + the Machine) und das fünfzehnköpfige New Yorker Kammerensemble Ghost Train Orchestra. Zum Gesang tragen St. Vincent und Hayley Williams von Paramore bei. An rhythmischen Finessen beteiligen sich der The Smile-Drummer Tom Skinner sowie der brasilianische Perkussionist Mauro Refusco. Zusammen gelingt ein Album, das den optimistischen und gemeinschaftlichen Spirit von Byrnes Multimedia-Konzept "Reasons to Be Cheerful" fulminant weiterträgt.
So wie das psychedelische Albumcover den Sänger ins Unendliche multipliziert, entsteht musikalisch ein raffiniertes Pop-Panorama. Mit viel Heiterkeit und Witz liefert der 73-jährige Superperformer, der einst mit dem Oscar, dem Grammy und dem Golden Globe ausgezeichnet wurde, zwölf kompakte, rund dreiminütige Story-Songs, die eindrucksvoll einen Bogen schlagen von persönlichen Anekdoten bis zu Reflexionen darüber, was die Welt im Innersten zusammenhält. Da kommt es dann zwangsläufig auch zu Momenten, die etwas ausbuchstabiert und altklug erscheinen, überzeichnet oder gar schief. Doch insgesamt feiert der New-Wave-Philosoph mit seinen Gästen ein Musikfest, bei dem die Arrangements voll, melodisch und rhythmisch klingen, und Byrnes Stimme vom leisen Flüstern bis zur grandiosen Predigt reicht.
Alles startet mit einer groß angelegten Menschheitsstudie. "Everybody laughs and everybody cries / Everybody lives and everybody dies". Das Spektrum menschlicher Erfahrungen wurde anderswo durchaus schon nuancenreicher besprochen, doch "Everybody Laughs" erfrischt das Altbekannte durch einen unwiderstehlichen Feelgood-Groove aus Byrnes Rap-Anleihen und majestätischen Streicher-Verzierungen. Ähnlich formelhaft und ähnlich großartig gerät die Liebesforschung "What Is The Reason For It?". "Love is cold / Love is hot / Love can make you feel a lot" - rund um den Floskelmix erblüht eine von Beats und Bläsern gemalte Western-Kulisse, bei der sich die Stimmen von Byrne und Paramores Hayley Williams hypnotisch ineinander verschlingen. Tarantino sucht vielleicht noch ein Stück für seinen letzten Abspann.
Wie man es aus seiner Diskografie kennt, kreist David Byrnes Blick auf das Leben auch auf "Who Is The Sky?" immer mal wieder um Objekte. Besonders – burning down the house! – um Gebäude. "My Apartment Is My Friend" entwirft die vielleicht größte Liebeserklärung an die eigenen vier Wände seit dem 80s-Klassiker "Our House" von Madness. Mit getriebenen Synths und Violinen entsteht ein gleichzeitig melancholisches wie überdrehtes Stück, das an die Verspieltheit der Sparks-Brüder erinnert ("So forgive me if I hesitate / If a tear comes now and then / You stood by me – when darkness fell / My apartment is my friend"). Doch was Architektur-Songs betrifft, geht es sogar noch besser. In nur zweieinhalb Minuten steigert sich die Türenparabel "A Door Called No" von einer lässigen Country-Erzählung im John-Prine-Stil zu einer schmachtenden Liebeshymne.
Zuspitzungen prägen das Album. "I'm an Outsider" erzählt vom Wunsch, die Gedanken der Partnerin lesen zu können, bis ein Kuriositätenkabinett sichtbar wird: "I met a talking zebra / A man with 50 eyes / I saw a fountain made of honey / I climbed a mountain in the sky". "She Explains Things to Me" parodiert das Phänomen des Mansplaining: "She explains what is happening – in the movies we watch / I ask – Why did they do that, why did they stop? / Why did they say that – on that TV show? / I ask myself – wow, how did she know?". Doch während beide Songs etwas bemüht daherkommen, zeichnen "I Met the Buddha at a Downtown Party" und "Moisturizing Thing" entzückende surreale Szenarien. Erst trifft der Erzähler Buddha beim Nachtisch-Vertilgen, dann verwandelt er sich durch eine Feuchtigkeitscreme in ein dreijähriges Baby.
Mit dem Release seines weitschweifenden neunten Albums "Who Is The Sky?" hat David Byrne inzwischen ein Studioalbum mehr als die Talking Heads während ihrer sechzehnjährigen Erfolgsgeschichte veröffentlicht. Und gleichzeitig vielleicht die bessere Alternative zu einem Reunion-Album geliefert.
2 Kommentare mit 24 Antworten
Weiß noch nicht. Die Plattentests-Review klingt deutlich negativer und Talking Heads-Reunion wäre ziemlich Hammer. Da kann es keine zwei Meinungen geben.
spoiler: da gibt es sogar mehr als zwei
Nur um das richtig zu verstehen, Du weißt nicht, ob Du das Album gut findest, weil die Plattentests-Review negativ ausfällt?
Dieser Kommentar wurde vor 4 Tagen durch den Autor entfernt.
Da müsste ich reinhören, habe aber die Befürchtung, dass es schon ziemlich "medioker" werden könnte, wie in der Plattentests-Rezi steht
90% aller Reunions sind furchtbar also kann gerne auf eine bei den Talking heads verzichten
"Da müsste ich reinhören"
Was genau hindert Dich daran?
vielleicht sind die ohren ab?
"Was genau hindert Dich daran?"
Eher Bock auf härtere Sachen gerade.
Album nicht gehört, eh eher Bock auf "härtere Sachen"... man könnte fast denken, die härteren Sachen sind eher flüssiger als musikalischer Natur.
Zu viel Musik und zu wenig Zeit spielt auch eine Rolle.
Zweite Meinung; finde das immer ziemlich panne, von anderen Menschen zu fordern, deine eigene gute Zeit von vor 40 Jahren gefälligst zu wiederholen (was eh nicht klappt) und sich dafür gegenseitig die eigenen Köpfe einzuschlagen, wenn man stattdessen was tun kann, worauf man tatsächlich Bock hat.
@"was eh nicht klappt": Das hat in den vergangenen Wochen mit Oasis gut geklappt - extrem gut sogar.....
Was soll denn bei Oasis geklappt haben? Die haben sich ja nicht mal die Mühe gemacht, live zu singen.
Bin voll d'accord mit Steinsuppenkoch. Gibt in der Musik wenig Traurigeres als eine Band, die versucht, alten Erfolgen hinterherzulaufen. Eine Band, die meint, eine "erwachsenere", nachdenkliche Platte zu machen, vielleicht.
Oasis singen nicht live oder was?
Völlig unerheblich wie oder was die jüngst gesungen haben. Sie sind Engländer und hatten Regenjacken an - was will man mehr?
Nope, war playback. Von Gig zu Gig liefen 1:1 dieselben Vocalspuren.
Will die jetzt auch nicht hassen - die Morning Glory hatte mir mal Spaß gemacht. Irgendwie haben diejenigen, die über Jahrzehnte tierisch darauf abfahren, dezent toxische Halbstarken-Vibes, zumindest auf mich. Wenn die beiden Brüder jetzt nicht mal das Risiko eingehen, einen Abend nicht so toll abzuliefern, macht das deren Version des Rock'n'Roller-Traums nur umso alberner.
Also ja, sie hatten ihre Frisuren und ihre Regenjacken an.
"Nope, war playback. Von Gig zu Gig liefen 1:1 dieselben Vocalspuren."
@Ragism: Gibt's dafür eine Quelle?
oasis haben ein neues album gemacht? wo gibts das?
Würd' mich auch mal brennend interessieren, was Ragis Quellen sind und ob er sie offen legen wird. Kann mir kaum vorstellen, dass er sich die Konzerte mehrmals angehört hat.
Dieser Kommentar wurde vor 3 Tagen durch den Autor entfernt.
Hahaha, ganz schön clever die Jungs. Sollten sie vor Gericht landen, werden sie sicher ihre Gitarren mitbringen, diese zeigen und sagen: "Hier, wir haben sie mit gebracht. Es gab dort Live-Musik!"
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Schätze, das Urteil wurde wieder revidiert, insofern nehm ichs samt Link zurück. Sie scheinen wirklich gesungen zu haben. Noel halt mit Autotune, aber allemal besser als nur playback. Insofern: Alles gut, für Oasis-Verhältnisse
Wer, wenn nicht Oasis, könnte uns in heutigen Zeiten lehren, wie schwer es ist, über sein Denken hinaus zu gehen, um zwischen Realität und Fiktion endgültig entscheiden zu können
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Du jedenfalls nicht.
Ich bleib weiter dran. Bin ja schon eher so der Aktivposten. Nur Couch ist auch langweilig.