laut.de-Kritik
Brachiale Gewalt mit Schönheit in Einklang gebracht.
Review von Daniel ThomasDie Deftones sind eine Instanz, eine eierlegende Wollmilchsau für alle, die geballte Power schätzen und dabei ungern auf Melodieseligkeit verzichten. Wie kaum eine andere Band versteht es das Gespann aus Sacramento, brachiale Gewalt mit perlendem Wohlklang zu einer anspruchsvollen Einheit zu verdichten, die nie überkandidelt wirkt.
Der vorab veröffentlichte Opener "Prayers/Triangles" von Deftones achten Studioalbum "Gore" besticht mit kaskadischen Singlenotes von Stephen Carpenters Gitarre, die auf einer Lotusblüte abwärts zu gleiten scheint. Moreno singt mit seiner gewohnt sehnsüchtigen Schwermut, ehe sich der Song nach nicht mal einer Minute in einem opulent wuchtigen Chorus entlädt.
Die Band schöpft auf "Gore" aus den Vollen ihres unverkennbaren und einzigartigen Soundkosmos, den sie über die Jahre perfektioniert und zugegebenermaßen auch ziemlich ausformuliert hat. Wer neben den Deftones auch die zahlreichen Nebenprojekte des Frontmanns (Team Sleep, Palms, Crosses) verfolgt, den beschleicht beim Erstkontakt mit der neuen Platte zunächst das Gefühl, als würde sich die Band und vor allem ihr Sänger an der eigenen Diskografie entlang referieren.
Doch wie so oft offenbaren die Stücke erst mit der Zeit ihre Einzigartigkeit und wachsen dann mit jedem Durchlauf ein bisschen weiter über sich hinaus. Und dabei soll "Gore" doch eigentlich auf einem weniger harmonischen Bandgefüge fußen, als es klanglich den Anschein macht. Zwischen Carpenter und Moreno gab es wohl künstlerische Differenzen, die sich allerdings nirgendwo hörbar niederschlagen.
Im Gegenteil: In der wehmütigen Strophe von "Hearts/Wire" etwa harmonieren die Delay-Pickings von Carpenter mit Morenos Stimme wie eh und je. Im Chorus treten sie gemeinsam die Flucht nach vorne an. Abe Cunningham wiederum spielt seine Drums nach wie vor eher wie ein kantiges Melodie- als wie ein strenges Rhythmus-Instrument und gilt völlig zu Recht vielen Alternative-Rockband-Schlagzeugern spätestens seit dem Überalbum "White Pony" als Vorbild. Die leicht vertrackte Rhythmik im noisigen "Acid Hologram" zeigt außerdem, wie gut sich Sergio Vega am Bass, der 2008 für den verunglückten Chi Cheng ins Bandgefüge gerutscht ist, als tieftönender Sidekick von Cunningham etabliert hat.
Die internen Spannungen waren scheinbar eher förderlich. Immerhin war sich das Quintett letztlich auch darüber einig, für "Phantom Bride" Jerry Cantrell von Alice In Chains zu einem Gastauftritt zu bitten, der sich in Form eines Hair-Metal-Solos äußert. Das muss man nicht mögen, tut aber auch niemandem weh.
Allgemein wirken die Songs nicht ganz so robust und unverwüstlich wie noch auf dem Vorgänger "Koi No Yokan". Wer jetzt allerdings eine Altersmilde heraus hören möchte, übersieht, dass die Band seit ihrem Debüt "Adrenaline" von 1995 schon immer den Grad der Aggressivität variierte, ohne dabei eine lineare Tendenz aufzuweisen. Das letzte leicht gedrosselte Album hieß "Saturday Night Wrist" und ist mittlerweile zehn Jahre alt. Danach folgten zwei ungleich aggressivere Brocken.
Wie es weitergeht, bleibt also offen. Generell sind die Deftones stets mit Würde gealtert, gerade im Vergleich zu den NuMetal-Größen, mit denen sie um die Jahrtausendwende fälschlicherweise gerne in einen Topf geworfen wurden. Für die Classic-Rock-Reminiszenzen in "Rubicon" oder "Hearts/Wires" wird letzteren auf ewig der Mut und die Glaubwürdigkeit fehlen. Auf "Gore" funkelt nicht zuletzt deshalb alles ein klein wenig heller, sogar mit einer Spur popaffiner Refrains. An den Hals schmeißen sich die elf Stücke deshalb aber noch lange nicht.
"Doomed User" gibt sich beispielsweise als heavy Groove-Metal-Song, der zunächst ausschließlich auf Krawall gebürstet ist. Moreno pendelt zwischen hochfrequentem Geschrei und glasklarer Stimme. Wie nur er es kann, manövriert der Ausnahmesänger mit wenigen langgezogenen Tönen die Gefühlskiste aus der tonnenschweren Strophe in himmlische Höhen.
Unterm Strich bleiben die Deftones ein Emulgator fürs Grobschlächtige und Schöne. Heraus kommt meistens die pure Eleganz - heraus kam "Gore". Und selbst das Artwork steht in einer gewissen, optisch stilvollen Tradition. Nach dem weißen Pony und der Eule von "Diamond Eyes" gibt es jetzt den pinken Flamingoschwarm. Was es damit auf sich hat? Ist die Band tierlieb? Naturverbunden? Sinnlich? Oder sind die Deftones einfach nur die härtesten Ästheten unter der Sonne, die nicht alles bis ins Kleinste mit Bedeutung aufladen?!
20 Kommentare mit 38 Antworten
Puh, Deftones habe ich frühe gerne gehört. Sie haben ihre Qualität auch lange halten können und doch frage ich mich Anno 2016 brauche ich das noch? "Brachiale Gewalt", "Gore". Muss ich mir Gore anhören oder ist die Zeit dieser Musik nicht zumindest für mich vorbei, wenn nicht sogar komplett?
In den Laden rennen und sie mir kaufen werde ich jedenfalls nicht. Auch die Jahreszeit ist nicht passend. Vielleicht wenn sie mal irgendwo gebraucht rumsteht.
2013-2015 hätte ich diesem Kommentar voll zugestimmt. Dann gab's Anfang Herbst 2015 nen fetten unerwarteten Schlag in Fresse, Magengrube und Leisten gleichzeitig, Einer von denen, die dich aus den eingelaufenen Alltagsschuhen raus auf die Bretter des Lebens haut, knockout. Seither halte ich mich musikalisch wieder sehr an das, was mich geformt und geprägt hat in meiner Jugend.
Für mich persönlich könnte die Zeit für ne "back to the roots"-deftones Scheibe nicht günstiger sein. Erstes kommt es anders und zweitens als man denkt. Bin gerade ziemlich... glücklich nicht, aber irgendwie beruhigt, dass die 2016 noch bzw. wieder so viel in mir auslösen.
Okay, das kann ich verstehen. So sind es wohl vor allem die Assoziationen die dir die Platte schmecken lassen.
Klar wenn man mal in nem Loch ist kann ich das völlig nachvollziehen. Möglicherweise ginge es mir dann ähnlich. Da wähle ich meine Musik auch sehr retro-assoziativ aus (sorry für die Wortschöpfung). "Klasse" natürlich wenn genau in dem Moment was neues kommt. Das könnte dann genau das sein was man braucht. In der Form haben die Deftones für dich wahrscheinlich alles richtig gemacht.
wenn du die richtige jahreszeit für eine deftones-platte brauchst, dann ist diese musik für dich sowieso gestorben. schade für dich.
was ist daran so schlimm? Musik wird nicht schlecht und wenn ich sie erst in nem halben Jahr richtig hören kann, dann ist es halt so... Ich muss nicht gleich jedes gute Album zum VÖ Termin haben Ich hole sie wenn mir die Stimmung dazu passt und im besten Fall bekomme ich sie dann auch noch günstiger.
Nochmal: Die Spannungen zwischen Sänger und Gitarrist existieren seit nunmehr 19 Jahren (schon "Around the fur" wurde mit 2 getrennten Interviewrunden Chino/Chi und Carpenter/Cunningham beworben, und so halten sie es mW bis heute - Du sprichst entweder mit Chino +1 oder mit Carpenter +1, zusammen in einem Raum hast du sie für gewöhnlich nicht) und das zieht sich durch die komplette nachfolgende Diskografie.
Zugegebenermaßen kenne ich kaum eine andere Band, die diese Art persönliche Spannung über einen so langen Zeitraum kreativ zu nutzen wusste wie deftones, ohne dass es doch mal zum öffentlichen/temporären Split kommt. Wahrscheinlich ähnlich einer romantischen Beziehung, in der beide Dauerkiffer sind und sich nie lange böse sein können, weil sie alles nervige in der Beziehung schnell wieder vergessen haben.
Unvergessen der Streit zwischen Carpenter und Moreno, als Ende 2005/Anfang 2006 "Saturday Night Wrist" bereits fertig zur VÖ in der Schublade lag und Chino entschied, lieber erst noch mit "Team Sleep" zu touren...
Hab mich ja ebenfalls vom Pressegeplänkel im Vorfeld dran kriegen lassen und erwartete ein Album, dass ohne Carpenter hauptsächlich ruhigere und experimentelle Passagen der letzten 7 Alben auf diesem hier bündelt (so alles zwischen "Mascara" und "Sex Tape"), aber der noch immer dem bösen Drone und Doom-Metal zugetane faule Fettsack (er macht immer noch nicht viel, klingt aber mächtig wie eh und je) bekommt, wie in der Review angesprochen, auch auf dieser Platte ordentlich Raum zum Skylines abreißen.
Und Chino scheint wieder häufiger angepisst zu sein. Deutlich mehr Gekeife. 1 Durschlauf liegt hinter mir, bin für's erste schon mal gut bedient.
Dieses Album unterscheidet sich deutlich von allen anderen Deftones Alben. Es ist nicht härter, es ist nicht softer. Es ist irgendwie eine neue Richtung, aber dann irgendwie auch doch nicht. Wenn man über andere Bands spricht, die in eine neue Richtung gehen, werden sie meist elektronischer, bluesiger, rauer oder sonst was. Die Veränderung auf "Gore" ist etwas anderes. Irgendwie sind die Songstrukturen und die Herangehensweise ganz anders als sonst. Es ist als wann sie eine andere Formel zum Musikmachen verwendet haben, eine Formel die bisher nicht benutzt wurde. Der Sound und das Feeling sind immer noch Deftones. Die Songs sind nicht so direkt nach vorne wie sonst meist, sondern teilweise stark verschachtelt. Nach dem ersten Durchhören fragt man sich, was man da gerade gehört hat. Da ist nichts, was sofort hängenbleibt. Aber irgendwie ist es hochinteressant.
Trifft es echt ganz gut, finde ich. Hatte noch die Stirn gerunzelt, als in anderen Reviews vor allem das Gitarrensolo von "Phantom Bride" als beispielhaft für die gelungene Neuausrichtung angeführt wurde, das Stück gehört mit "Hearts/Wires" aber tatsächlich zu meinen aktuellen Favoriten der Platte.
GORE SCHAFFT ES EINFACH NICHT SICH ZU ENTFALTEN WIE EIN GUTER WEIN ES TUT
wie findest du es mittlerweile?
Ich finde "Gore" auf jeden Fall besser als "Koi no Yokan". Letzteres entwickelt m.M.n. irgendwie kein Profil.
Ersteres klingt sehr verträumt und verliert sich manchmal. Aber grundsätzlich ist das nicht schlecht - das passt hier sehr gut, finde ich. Klassisches 4/5-Album.
bei mir ist es genau umgekehrt, koi yo nokan hat genau diesen anreiz dass nicht einzelne lider rausticken sondan mehr das gesamtwerk. so ähnlich halt wie bei like clockwork von quofastoneage
ich finde deine mutter auf jeden fall besser als meine oma