laut.de-Kritik
Exorzismus erfolgreich, Horizont gesprengt.
Review von Dani Fromm"I keep walking, I keep talking, I keep walking ..." Nach der für seine Verhältnisse doch relativ langen Veröffentlichungsflaute im letzten Jahr muten diese Worte ausgesprochen beruhigend an, wie eine Verheißung sowieso: Denzel Curry zählt, das zeigte er spätestens seit "Imperial" wieder und wieder, zu den spannendsten, weil wandlungsfähigsten Charakteren im aktuellen Musikgeschehen. Seiner Einladung nicht Folge zu leisten, käme also sträflicher Dummheit gleich: "Take a ride on my train of thought." Türen schließen selbständig.
Wer sich fragte, was dem Trip über die Stationen "Light", "Grey" und "Dark" auf "Ta13oo" in seine schwärzesten Abgründe noch folgen sollte, dem hält Denzel Curry entgegen: "Mein bestes Album. Punkt." Spoiler: Der Mann lügt nicht. "Melt My Eyez See Your Future" entwickelt von der ersten Sekunde an einen hypnotischen Sog, der noch lange nachhallt, wenn der fluffige Barpianosound des Closers "The Ills" schon verklungen ist: ein Album wie ein Kinofilm.
Die bildgewaltigen Vorab-Videos voller cineastischer Anspielungen unterstreichen diesen Eindruck natürlich noch. Wenn Denzel Curry sich, Western-Style, zu "Walkin" durch die Wüste schleppt oder mit Schützenhilfe von Slowthai den blinden Samurai "Zatoichi" wiederbelebt, müsste man schon sehr tief unter einem Stein gelebt haben, um nicht an "Dune", "Kill Bill" oder den einen oder anderen Kung-Fu-Klassiker zu denken. Doch selbst, wenn einem (was angesichts der Hässlichkeiten, die zu sehen man aktuell quasi täglich gezwungen ist, kein Wunder wäre) die Augen längst geschmolzen wären, würde sich die Bilderflut, die Denzel Curry über einen hinwegbranden lässt, noch bis in die letzten Winkel des Bewusstseins bohren.
Die finsteren Tiefen seines Geistes hatte Denzel Curry, wie gesagt, bereits auf "Ta13oo" ausgelotet - dachten wir. Diese Platte weitet die Introspektive aber noch aus und dokumentiert Fortschritte: "I'm killing all my demons 'cos my soul's worth redeeming." Der Exorzismus scheint erfolgreich gewesen zu sein - oder befindet sich doch zumindest auf einem guten Weg. Obwohl Denzel Curry auch auf dieser Platte wieder ans Eingemachte geht und die inneren Kämpfe offenlegt, die er auszufechten hat, wirkt er lange nicht mehr so gehetzt. Vielmehr erscheint er inzwischen absolut kontrolliert, in jeder Sekunde Herr der Lage. "I went through a lot of shit in the last year", erzählt er in "Walkin". "Bullshit fly my way", seine Konsequenz: "I keep walking."
Erstaunlich, dass ihm diese Stoik kein bisschen von seiner anarchischen Energie nimmt, im Gegenteil: Denzel Curry erschließt sich damit ganz neue Spielfelder. "Dieses Album besteht aus allem, das ich euch auf 'TA13OO' oder 'Imperial' nicht geben konnte, weil ich Probleme mit Depressionen und Wut hatte", ließ er im Vorfeld verlauten. Der bessere Umgang mit seinen Issues sprengt offensichtlich Horizonte. Wer nicht (mehr) ausschließlich damit zu tun hat, mit den eigenen Befindlichkeiten zu ringen, kann seinen Blick auf die Welt und die Gesellschaft richten - auch auf die Gefahr hin, dass ihn, was er dort sieht - "Worst Come To Worst" - gleich in den nächsten Kreis der Hölle katapultiert: "I'm watching massacres turn to running mascara."
Denzel Curry berichtet von Rassismus, der die Gesellschaft durchzieht wie ein Krebsgeschwür. Er beschreibt, etwa in "John Wayne", Teufelskreise und Abwärtsspiralen, Gewalt, die aus Schmerz entsteht, immer neuen Schmerz und damit weitere Gewalt gebiert, "so much pain". "Any day could be your last day": Was in den Ohren von uns behüteten Mitteleuropäer*innen, anmutet wie eine Glückskeks-Erkenntnis, birgt, serviert aus der Perspektive eines jungen schwarzen Mannes in den waffenstarrenden US of A eine ganz andere Wahrheit. "I have no eyes. They melt my eyes."
Den gesamtgesellschaftlichen stellt Denzel Curry seine ureigenen Schwierigkeiten gegenüber. "It's only mental", säuselt es aus "Mental" - was ein Problem ja kein Stück weniger präsent macht. Zusammen mit Autotune-King T-Pain sinniert er über in "Troubles" über Hürden, die sich weder mithilfe von "music" noch "drugs" nehmen lassen. Ruhm und Geld sind halt tatsächlich keine Allheilmittel, und schon gar keine frei von Nebenwirkungen: "All my exes texting", beobachtet T-Pain. "All the sudden I got new cousins."
Angesichts der Schwere der Themenpalette könnte man denken, "Melt My Eyez See Your Future" sei eine deprimierende Angelegenheit: kein Stück! Die stilistische Aufgeschlossenheit, die Denzel Curry schon immer mitbrachte (wir erinnern uns hoffentlich alle noch daran, wie er zum Beispiel Rage Against The Machines "Bulls On Parade" schlachtete?), erreicht hier ganz neue Ausmaße. Harmonisch-soulige Gesänge, die oft ganz ohne Worte auskommen, durchziehen das Album, perlende Melodien, auch mal (wie in "X-Wing") ein melancholisches Streichermotiv oder (wie in "The Last") ein Ambient-artiger Einstieg.
Im muckeligen Sound sollte man sich besser trotzdem nicht allzu gemütlich einrichten und auf musikalische Brüche jederzeit gefasst sein. So schaben fast anachronistisch oldschoolige Scratches durch "Worst Come To Worst", unvermittelt fallen Schüsse, oder Slowthai serviert seine Parts in "Zatoichi" auf kompromisslos derben Breakbeats.
"Melt Session #1" reaktiviert gleich zu Beginn die Zusammenarbeit mit Jazz-Pianist Robert Glasper. Den unter "The Sound Of Death" wegwobbelnden Bass bringt Thundercat mit, die Spoken Word-Passage in "Mental" stammt von Saul Williams. 6lack, J.I.D und eine höchst bissige Rico Nasty teilen sich das Gästezimmer in "Ain't No Way". So versiert die allesamt abliefern: Denzel Curry könnte seinen Laden locker auch alleine schmeißen. "My mind is flooded with these flows."
Flows, Plural. Unaufhaltsam, wie das als Vergleich oft strapazierte Wasser, bahnen sich seine Worte den Weg durch egal welches musikalisches Gelände. Seine Delivery dabei: so trittsicher wie variabel. Denzel Curry wechselt Rhythmus und Tempo, wie es ihm gefällt. In "Walkin" bremst er sich selbst aus, nur um neuen Schwung zu holen, in "Worst Come To Worst" stellt er getriebene Verses einer Hook gegenüber, die, wie auch die Reggae-infundiert getoasteten Passagen in "The Last" oder der Chorus von "X-Wing", fast schon als Gesang durchgeht.
Dass sich der gebotene Variantenreichtum am Ende, wenn in "The Ills" ein Klavier den Abspann untermalt, nicht wie ein groteskes Tohuwabohu anfühlt, sondern wie ein in sich schlüssiges Gesamtkunstwerk, wie ein Kinofilm eben, darin steckt das wahrscheinlich größte Mysterium dieser Platte. Denzel Curry hat es ja aber vorher schon gesagt: "Mein bestes Album. Punkt."
8 Kommentare
Denzel Curry ist einfach Qualitätsgarantie. Noch besser als Imperial oder Ta13oo, welche schon großartig waren.
Ungelesen, stimme der Review zu.
Für mich auch besser als die Vorgänger, Denzel Curry enttäuscht nie
Wahrscheinlich AotY
Famoses Album und Denzel ist weiterhin unaufhaltsam auf dem Weg in die all-time Top 10.
Fantastisches Album - Anwärter auf Album of The Year