laut.de-Kritik

Mehr Albtraum als Traum.

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Oberflächliche Betrachter locken Die Nerven aus Stuttgart problemlos auf den Holzweg. Nicht nur, dass der Bandname eine Steilvorlage zum Schenkelklopfen bietet. Auch der Albumtitel "FUN" kommt ungemein euphemistisch daher, verarbeitet der Zweitling doch vor allem Unwohlsein, Realitätsflucht und gesellschaftliche Zwänge. "Es ist mehr Albtraum als Traum."

Dabei behandeln die Tracks weniger konkret Politisches, als den generellen Wunsch nach Ausbruch aus der alltäglichen Platzangst, von der schon allein Songtitel wie "Ich Erwarte Nichts Mehr" oder "Blaue Flecken" zeugen. "Wer ich bin, ist nicht so wichtig / Hauptsache, man lässt mich in Ruh' / Tagsüber streife ich durch die Straßen / ohne Weg und Ziel". Es verwundert kaum, dass Frontmann Julian Knoth sich vor allem eines wünscht: "Eine Minute Schweben".

Spätestens wenn er sich im düster schleppenden "Nie Wieder Scheitern" unablässig "eine Welt aus Cellophan" herbeisehnt, mündet die Wut in bedrückende Resignation: "Manchmal wache ich grundlos auf / die Stille ist zu laut / der Lärm ist zu leise / Wie ohrenbetäubend muss ich noch werden / bis auch du in keinster Weise / mehr an meiner Dringlichkeit zweifelst?".

Mit dem Stempel Punk kommt man vielleicht der Attitüde und der Energie des Trios bei, der musikalischen Umsetzung jedoch nicht mal ansatzweise. Denn trotz aller Intensität besticht die Spielweise der Schwaben mit einer entwaffnenden Lässigkeit. Sicher, kraftvolle bis krampfhafte Downstroke-Salven à la Turbostaat und Love A haben ihren besonderen Charme.

Bei den Nerven verkörpern die Riffs dagegen bei aller Härte immer ein gewisses Gefühl von locker-aus-dem-Handgelenk. Einige Gitarreneffekte stellen dabei eine schwer zu verleugnende Nähe zum Postpunk her - ähnlich wie zuletzt bei der befreundeten Gruppe Messer, und doch irgendwie ganz anders.

Mal in Höchstgeschwindigkeit ("Angst"), manchmal tanzbar ("Rückfall") und gegen Ende sogar akustisch ("Girlanden"): Die Nerven feuern auf ihrem Zweitling einen abwechslungsreichen wie kompakten Zehnerpack ab, bei dessen vielschichtigem Noise-Charakter man sich schwer entscheiden kann, ob er nun auf akribischer Detailarbeit gewachsen ist - oder eben doch auf Intuition und Spontaneität.

So oder so: Die Spielfreude merkt man ihnen bei aller Giftigkeit in jeder Sekunde an. Vielleicht liegt ja genau darin der Albumtitel vergraben.

Trackliste

  1. 1. Albtraum
  2. 2. Eine Minute Schweben
  3. 3. Blaue Flecken
  4. 4. Hörst Du Mir Zu?
  5. 5. Und Ja
  6. 6. Angst
  7. 7. Ich Erwarte Nichts Mehr
  8. 8. Rückfall
  9. 9. Nie Wieder Scheitern
  10. 10. Girlanden

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LAUT.DE-PORTRÄT Die Nerven

Ob man Die Nerven nun als Teil einer Bewegung oder einfach als eindrucksvolle Punkband plus x betrachtet, hat auf den Hörgenuss zwar keinen Einfluss.

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