laut.de-Kritik

Wenn das Biest Ambient seine Reinheit verliert ...

Review von

Sebastian Lee Philipp ist Die Wilde Jagd und hat sich unter diesem mittlerweile im Volksgedächtnis als Witcher-Lore verankerten Moniker in den letzten Jahren mit seinem avantgardistischen, neoklassisch angehauchten Ambient-Pop eine beachtliche Fanbase erspielt. Nun ist Ambient sowieso schon eine Kunstform für sich, die außerordentliche Fähigkeiten verlangt, da sie den Künstler sonst verschlingt. Das wird nicht einfacher, wenn man den Ambient öffnet, da das Biest im Kontrast schnell seine Reinheit verliert.

Pop ist nun mal durchschnittlich mitreißender als Ambient, der meist von einer Homogenität profitiert, in der er seine Faszination unbeeindruckt von anderen Verlockungen entfalten kann. Das ist aber eben nicht der Weg von Die Wilde Jagd und seinen mittlerweile Nicht-Nur-Live-Sondern-Auch-Studio-Verbündeten, auch nicht auf "Ophio". Kombiniert wird dabei selten, eher nebeneinandergestellt.

So beginnt der Opener "Ein Anfang" mit sphärischen Steigerungen und relativ wenigen Ablenkungen drumherum. Ein Crescendo-Dröhnen, das etwas an Sonnenaufgang über dem Wald erinnert, keinesfalls unangenehm. Der Titeltrack beginnt dagegen mit Gitarre schon ganz anders konzipiert und ist ein Slowcore-Popsong mit elektronischem Beiwerk. Leider entfaltet Philipps Stimme bis kurz vor Schluss kaum emotionale Bindung zum eigentlich guten und sehnsüchtigen Text. "Perseveranz" fällt dann wiederum zunächst völlig skelettiert aus, um anschließend als zunächst angenehm lebendiger, dann etwas eintöniger Electro-Track abzubiegen. Damit macht es den Weg nur kurz frei für das für Bandverhältnisse fast schon clubbige (wenngleich ohne Bass auskommende) "Gnafna Nie".

Man kann sich beim Hören nicht der Frage verwehren, in welcher Situation man zu "Ophio" greifen würde. Für Begleitmusik ist das viel zu hochwertig, zum bewussten Hören fehlen Ebenen, Tiefe und/oder Begeisterungsfähigkeit. Die Kompetenz und Makellosigkeit verleiht dem Album zwar einen metallischen Geschmack, verweigert dem Hörer aber Nähe; anders als zum Beispiel auf "Svalbard" stehen Künstler und Hörer nicht gemeinsam vor der Kälte, sondern sie trennt.

"The Hearth" ist Meta-Trip Hop, den in den 90ern viele Leute aus grundsätzlichen geschmacklichen Überzeugungen gut gefunden hätten. Philipps Können im Konstruieren langer Basslines kommt hier schön durch, vor lauter Sphäre und Konstruktion und Verkopfung bleibt man nach Ablauf der fünf Minuten Spielzeit aber zuvorderst konfus sitzen.

"In Wonnenhieben" darf man Philipp dabei zuhören, wie er vordergründig kluge Dinge sagt, diese aber Allgemeinplätze kaschieren, die er noch dazu in Paarreimen ("Seh' dich in Wonnenhieben /
Sag wo bist du geblieben") und einem Kinderbeat verpackt. Der Song unterhält am Ende des Tages einfach schlecht. "Kelch" macht es nicht sehr viel besser, wenngleich er angenehm düster und sperrig beginnt. Nach einer Minute wird dann aber klar, dass der Track nirgendwo hinführt, und man will ihn bei aller Berliner Club-Sideroom-Edgyness nicht so schätzen, wie man zunächst hoffte.

Diese Diskrepanz zwischen mögen und anhören wollen ist symptomatisch für "Ophio", und so endet das Ganze dann auch: "Ouroboros" fährt genau eine Idee auf, die wirklich gut ist, aber eigentlich keine siebeneinhalb Minuten lang trägt. "'Ophio, Ophio', sagst Du / Liegt im Ende von Dir / Noch das Beste vor mir?" Hoffentlich.

Trackliste

  1. 1. Ein Anfang
  2. 2. Ophio
  3. 3. Perseveranz
  4. 4. Gnafna Nie
  5. 5. The Hearth (ft. Lihla)
  6. 6. In Wonnenhieben
  7. 7. Kelch
  8. 8. Ouroboros

1 Kommentar

  • Vor einem Jahr

    Auf die Texte braucht man gar nicht so sehr achten. Die sind oftmals einfach nur dada und fungieren als ein weiteres Instrument. Ansonsten baut sich das alles wieder sehr langsam auf, was ich an dem Projekt aber sehr schätze. Es entwickelt einen völlig eigenen Sog.