laut.de-Kritik
Still bonkers after all these years.
Review von Dani Fromm"Never complain, never explain, just play the game and stay in your lane." Auf dem Papier klingt das zunächst einmal stinklangweilig. Als hätten wir uns ins Wahlprogramm der Konservativen verirrt. Hä? Zum Glück rennt Dizzee Rascal diese, seine Einstiegsline noch im gleichen Atemzug selbst über den Haufen: indem er sie uns in genau dem überdrehten Silbenschnellfeuerstakkato um die Ohren haut, mit dem sich der Boy in da Corner einst auf den Radar gespuckt hat. Den Rest erledigt der funky quakende Synthiebeat. Dieses Album ist noch keinen Track alt, und schon steht fest: Das wird eine verdammt vergnügliche Angelegenheit.
Atempausen: zunächst nicht vorgesehen, auch wenn der Tracktitel "How Did I Get So Calm" anderes suggeriert. Der Beat mag wattig-weich vor sich hinwabern, der Bass rund blubbern. Der hysterische, harte Rhythmus und vor allem die darüber hinweg galoppierenden Vocals strafen die Behauptung von der neu gefundenen Ruhe aber Lügen. Wobei man sich davon nicht täuschen lassen sollte (und, auch wenn es schwerfällt, genauso wenig von dem irrwitzigen Video dazu, das sich in die Reihe visueller Durchgeknalltheiten wie die Clips zu "Bonkers" oder "Bassline Junkie" nahtlos einfädelt): Irgendeine sehr spezielle Form der Erdung hat Dizzee Rascal zweifellos gefunden. Sonst könnte er kaum so unbekümmert, geradezu verspielt zu Werke gehen, wie er es auf seinem mittlerweile achten Album tut.
"Don't Take It Personal" wirkt auf voller Länge, als mache da einer, der absolut nichts zu verlieren hat, völlig kompromisslos genau das, was er ihm gerade in den Sinn kommt. Von der trägen Bocklosigkeit, die andere arrivierte Superstars zuweilen an den Tag legen: keine Spur. Ja, zu den Superstars muss man Mr. Dylan Mills tatsächlich zählen. Grime mag immer noch ein Nischendasein führen. Er brachte dem Kellerkind von einst aber nicht nur längst jeden namhaften Musikpreis ein, den das Vereinigte Königreich überhaupt zu bieten hat, sondern inzwischen obendrein einen britischen Ritterorden.
Was soll also passieren? Zumal die Fans der frühen Tage ihren Unmut angesichts seiner (vermeintlichen) Verpoppung ohnehin schon seit "Maths + English", spätestens aber seit "The Fifth" über ihm ausgießen? Früher war besser? Ja, scheißegal. Die Gegenwart zählt, und in der verbrät Dizzee Rascal, was ihm gerade in den Sinn kommt. Über einer in melodischstem Pop marinierten Bassline bedient er sich zum Beispiel bei einem traditionellen Wiegenlied ("Sugar And Spice").
So ein richtiges Album-Gefühl stellt sich zwar nicht ein, die verschiedenen Einflüsse wirken so wahllos zusammengeschmissen, dass sich kein geschlossener Kosmos entwickeln mag. Der alles überstrahlende Eindruck, dass da einer kompromisslos genau das tut, worauf er in dem Moment Bock hat, macht dieses Mini-Manko (so es sich überhaupt um ein Manko handelt) aber mehr als wett.
Mit "Roll Wiv Me" kredenzt Dizzee Rascal eine großzügig mit Reggae aromatisierte R'n'B-Ballade, die mich auf der Gefühlsskala die Strecke von "leiser Widerwille" zu "muss auf Repeat drücken, JETZT SOFORT" in unter drei Minuten entlang jagt. "Get Out The Way" macht einen Abstecher in Drill-Gefilde, und hernach serviert Dizzee Rascal "Jerk And Jollof", als sei rein gar nichts gewesen.
Mit Tracks wie dem letzteren trampelt Dizzee Rascal sie in Grund und Boden, die höfliche Zwischenfrage, ob das, bitteschön, denn überhaupt noch Grime sei? Gegenfrage: Was zum Henker sollte es SONST sein? Wer es noch ein bisschen unmissverständlicher braucht, dem erklären in "What You Know About That" gleich drei Genre-Veteranen die Lage: die Gime-haftigkeit von JME und D Double E sollte wirklich außer Frage stehen. Letzterer kehrt in "Swerve And Pivot" noch auf einen Nachschlag zurück.
"How can I quit when I already did it?" Wie??! Die Frage sollte eher lauten: Wieso überhaupt? So lange Dizzee Rascal Tracks mit einer Dynamik wie "Swerve And Pivot" im Köcher hat, und obendrein in seiner unbeirrbaren Geradlinigkeit elend Dancefloortaugliches wie "POV". So lange er wie im etwas schwereren, trotzdem eingängigen "Tell Me About It" flirrende Synthiesounds auffährt, oder den noch eingängigeren, weil unmittelbar selbsterklärenden Bummbummbummbumm-Beat von "How Does It Feel". So lange die Forderung "Keep That Same Energy" wie eine selbsterfüllende Prophezeiung wirkt. So lange die Gesamtbilanz lautet: alles erreicht, alles ausprobiert, kein bisschen müde, still bonkers after all these years. So lange braucht Dizzee Rascal ans Aufhören eigentlich gar keinen Gedanken zu verschwenden.
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