laut.de-Kritik
Erstes Statement der Sumpfprinzessin.
Review von Yannik GölzWer Doechii schon früher auf dem Schirm hatte, der fragte nicht "ob", der fragte nur "wann". Die Floridaner Rapperin auf dem ehemaligen Kendrick-Label TDE bringt quasi doppelt und dreifach mit, was man braucht. Sie ist eine Spitterin mit extrem gutem Flow, sie hat ein Ding für Thementracks, kann verschiedene Genres bedienen, kann Pop-Hooks, kann eigentlich alles. Aber trotzdem sind inzwischen fast fünf Jahre ohne ein Album-Statement vergangen, dass man sich fast fragen mochte: Was hat sie denn so lange aufgehalten?
"Alligator Bites Never Heal" ist dieses Album angeblich noch nicht – es ist ein Mixtape. Guckt man sich die Qualität der Tracks an, verkommt diese Unterscheidung zur reinen Wortklauberei, denn dieses Projekt hält locker mit den besten Alben des Jahres mit. Das Spektrum ihres Könnens beeindruckt durch die Bank. Storytelling, Tanzbares, mystischer R'n'B, knallharter, straighter Rap. Was sie auch macht, sie macht es extrem gut. Und trotzdem hinterlässt sie ein bisschen das Gefühl, dass das noch nicht ihre finale Form ist.
Ein bisschen liegt das daran, dass es noch nicht ganz greifbar wird, was nun eigentlich ihr Sound sein möchte. Das könnte ein ernstes Problem werden, immerhin gibt es ein paar vielversprechende Spitter, die in diesem Limbo des ewigen, uneingelösten Versprechen jahrelang durch halb-realisierte Soundideen getaumelt sind. Kenny Mason, Ski Mask The Slump God, Westside Boogie. Es passiert, dass Leute mit ihrem Talent Commitment Issues entwickeln.
Dieses Album bringt aber immerhin ein fundamentales Statement an: Doechii ist die Sumpfprinzessin. Aufgewachsen in Tampa, Florida, bringt sie also den Erlebnishorizont eines Tomboy-Mädels, halb Stadt, halb Country mit. In der Praxis bedeutet das, dass sie vermutlich die Rapperin ist, die Nicki Minaj am effektivsten studiert hat. "Alligator Bites Never Heal" zeigt sie quasi als ein geschmackvolles Rekalibrieren dessen, was Nicki 2010 so krass gemacht hat.
"Denial Is A River" macht das wohl am deutlichsten: Ein cartooniges, überzeichnetes Alter Ego fragt sie nach verschiedenen Dingen, bevor sie sich in eine Roman-eske Rage rappt. Das hat sie bereits auf ihrem ersten Durchbruchs-Song "Yucky Blucky Fruitcake" gemacht. Die tiefe, grummelige Brüll-Stimme ist vermutlich das direkteste Nicki-Zitat. Aber auch wie sie Pop und R'n'B in ihren Sound integriert, trägt den Pinkprint nah am Herzen: Tracks wie "Bloom" oder "Firefly" besitzen die musikalische DNA von Songs wie "Pills N Potions": Sie klingen ein bisschen magisch. Eine Zehe in den Kitsch gedippt, aber mit emotionaler Aufrichtigkeit hält sie die Balance.
Das klingt jetzt alles wie Kritik, denn als Rapperin auf Nicki Minaj zu referieren, klingt erst mal nicht sehr originell. Immerhin erinnern wir uns: All them hoes be my sons. Doechii macht so etwas wie die A24-Reinstallation einer Rap-Heldin.
Das darf sie unter anderem deshalb, weil die größten Highlights dann doch wieder auf eigenen Füßen stehen, denn sie beherrscht nicht nur ihr Handwerk, sie liefert auch einfach frontal Banger. Irritierenderweise ist ihre beste Single "Alter Ego" gar nicht auf dem Album gelandet. Trotzdem sind da ein paar, mal klassisch rappige, mal elektronisch angehauchte Monster, die einfach von Flow und Energie leben.
"Bullfrog" rappt über eine fantastische Funk-Bassline, durch die ein Sample wie im Zelda-Sumpf-Tempel durchschimmert. Das ist wirklich die Swamp Princess, wie sie waltet. "Nissan Altima" klingt, als würde es wie Dynamit aus dem Kofferraum eines gleichnamigen Autos tönen. "Slide" kommt ruhiger, fühlt sich aber ein bisschen an, als hätte es Pink Pantheress produzieren können.
Im Grunde macht "Alligator Bites Never Heal" mehr oder wengier das, was man erwartet hätte: Es zeigt eine Rapperin, die handwerklich das Zeug hat, die Beste ihrer Generation zu sein. Jeder Track für sich ist irre gut. Aber trotzdem schwingt noch ein bisschen Unsicherheit mit, wie man diese Möglichkeiten auf ein definitives Album runterkochen könnte. Vielleicht ist der Mixtape-Begriff deswegen gar nicht so schlecht gewählt. Das Tape ist noch nicht ihr "Section.80", wie mancherorts schon gemunkelt wird. Es ist ihr "Alligator Bites Never Heal". Gut, dass sie langsam in Erscheinung tritt, denn was die nächsten Jahre mit ihr passieren wird, das wird sie nicht am Reißbrett entwerfen können. Man weiß nur, dass es verdammt aufregend sein wird.
6 Kommentare mit 2 Antworten
Richtig gut, sind wirklich harte Banger dabei!
Stark. Danke für den Tipp!
Absolutes Brett.
Auf jeden Fall das beste Triple-A Rap Album seit längerer Zeit. Die kann rappen. Musikalisch finde ich es auf hohem Niveau etwas uneigenständig und bei der Masse an Tracks ein bisschen inkohärent.
Dieser Kommentar wurde vor 3 Monaten durch den Autor entfernt.
Hab mir jetzt mal auf Geheiß des Hais 2 Durchläufe gegeben und muss sagen: das ist schon wirklich extrem dope. Alles was sie macht, macht sie einfach äußerst gut. Hardcore-Rap: check, Storytelling/Thementracks: check, Soul: check, Pop-Trap-Quatsch für Genrefremde: check.
Allerdings ist das auch echt die Flipside von dem Ding, nicht, weil mir unbedingt die Kohärenz fehlen würde (dafür ist es ja auch als Mixtape gelabelt), sondern eher, weil es sich für mich so fucking streber-mäßig anfühlt. Kuck mal, kuck mal, was ich noch kann, und das hier, dass kann ich übrigens auch noch!!! Und, fuckin hell, sie kann es halt auch einfach.
Bis Catfish fährt sie ihren straighten Rap-Film und tötet spätestens mit dem 2. Track jeden deiner Lieblings-MCs, dann kommen die ruhigen, souligen Nummern (was ist Deathroll für ein Brett!!!), bis sie dann mit BoomBap nochmal sagen muss, dass sie hat ALLES macht und ALLES kann und alle anderen bitte die Fresse halten sollen. Dann kommt eben der Teil mit Pop-Trap-Quatsch für Genrefremde, weil sie es halt KANN, bevor am Ende dann wieder der poppige, aber natürlich deepe Soulzug fährt.
Und was mach ich jetzt damit? Ich pack mir wohl den HC-Rap und den Soul in eine Playlist, schmeiß den Pop-Trap-Quatsch für Genrefremde raus und hab ne 5/5 EP.
Ne LP auf dem Level ohne den Pop-Quatsch und mit ein bißchen einfallsreicheren Beats wär wohl ein AOTY-sureshot.
4/5 für das ganze Ding geht schon klar.
Bin definitv enorm hyped.
Ach ja, und das Alter Ego ihre beste Single sei, ist natürlicher für meine Ohren kompletter Unfug.
Finde ich noch treffender als meine Kritik.