laut.de-Kritik
Scharf beobachtetes Zeugnis zum Zustand der Menschheit.
Review von Ulf KubankeBandchef Eviga Stock reißt auf "Flammentriebe" das stählerne Ruder herum und bewegt sich wieder ein gutes Stückchen in Richtung Extrem Metal. Mit Bedacht wähle ich diesen unkonventionellen Dachbegriff. Denn puren Black Metal sucht man hier vergebens.
Zwischen wespenstecherischen Gitarren und heruntergefahrenen Doom-Riffs rollt das elektrische Meer Woge um Woge näher heran an das Ohr des Lauschenden. "Doch dieses Meer wird dich nicht löschen". Und das ist auch gut so.
Denn der "Flammenmensch" steht ganz im Zentrum des vielseitigen Geschehens. Der Begriff dient Eviga und Co als Archetyp alles menschlich Fehlbaren. Trotz Ausnahmen des Geistes überwiegen Gier und triebgesteuerte Rücksichtslosigkeit. So etwas klingt nicht gerade beruhigend.
Dennoch zeigt sich - in diesen Tagen scheinbar zufällig - dass die Dornenkönige hier kein stumpfes 'Allesamt primitiv!'-Metalbrett fahren. Vielmehr legen sie ein fast schon beunruhigend scharf beobachtetes Zeugnis zum Zustand der Menschheit ab. "Du bleibst grell. Wirst nie Nacht. Flammenmensch - Du willst das Scheit - und koste es der Welten Preis". Kein Schelm, wer dieser Tage solch ein Weltbild vor allem in Libyen bestätigt sieht.
Doch die herausragenden Texte dieser nicht minder hervorragenden Band sind nicht nur durch Realismus gekennzeichnet. Nein, sie bedienen sich vor allem einer dichterischen Sprache voll anschaulicher Bilder, welche auch ohne jede musikalische Begleitung als Poesie große Kunst wäre. "Hinter Farben steckt dunkle Erde. Unter Kleidern ist Tag das Kind der Nacht. Zwischen den Worten spricht deine Stille. Zwischen den Polen stirbt deine Lüge". Hands up für den Kerl, der behaupten möchte, es habe je eine im weitesten Sinne Heavy Metal-Band solch nahezu literarisch perfekte Texte zum Niederknien ohne lediglich bedeutungsschwangeren Killefitz fabriziert. Und das auch noch am Fließband.
Musikalisch betrachtet, steht ihnen das härtere Brett recht gut zu Gesicht. Es ist schlichtweg beeindruckend, mit welch künstlerischer Larmoyanz die Dornen hier das all zu oft von den Pappköppen retardierte Spielfeld des BM mit allen Errungenschaften der folkend-klassisch jungen Vergangenheit verknüpfen. Das smarte "Wolfpuls" mag als Referenz dienen. Wie sie hier musikalisch kreisend zwischen den Genres pendeln und das Geschehen auch noch mit einem stimmig esoterischen Zirkeltext unterstreichen, kratzt ohne Übertreibung am Rand der Brillianz und vermeidet jedes Versteigen ins spinnert Verschrobene Eso-Tantentum.
In jedem Lied kann man die Errungenschaften vergangener, höchst wichtiger Stationen spüren. Das filigran gezupfte Element der 'Gesiebten Luft' bleibt stets erhalten. Oft bildet es als Intermezzo Gegenmittel zum brachialen und lyrischen Overkill. Diese rotfädig minotaurische Spur geleitet den Hörer sicher und trocken in jenen Hafen, wo man als kuttenseliger Headbanger oder auch fragiler Schöngeist gleichermaßen Heimat und Anerkennung finden und einfordern darf.
Mit anderen Worten: " Greis und Kind: Der Kreis erweckt die Kraft". Das führt zu einem weiteren Novum im Metal, den ich bislang in dieser Form nur von Vertretern des Orient Metal wie Orphaned Land kannte. Bei aller Skepsis und Kritik verharrt das Trio nicht in misanthropischer Schockstarre und Dummbeutelsplatter, sondern weist weise Wege gen einer zumindest möglich erscheinend reifenden Welt. Man kann ihnen nicht genug dafür danken, es peinlich genau zu vermeiden, den ansonsten zu häufig typisch metallischen Weg des destruktiven Schockerquarks im BM-Genre hinter sich zu lassen; ihn nicht einmal eines scheelen Blickes zu würdigen.
So verwundert es kaum, dass diese Könner des Spannungsaufbaus den musikalischen Höhepunkt ganz ans Ende des Albums stellen. "Erst Deine Träne Löscht Den Brand" schäumt sich fast zaghaft mit Cello und Violine zum Kraftturm empor, dessen friedhofsruhiges Herz als Auge des Sturms die gesamte Platte erdet und auf den Punkt bringt. Wer nach dem intensiven Genuss dieses Stückes nicht mindestens gerührt und ein wenig nachdenklich zurückbleibt, hat keine Tränen mehr in sich. "Erst deine Träne löscht den Brand. Es blüht und welkt - dies' weise Land."
8 Kommentare
Schöne Kritik - nur warum keine 5/5?
weil ich persönlich zu hören glaube, dass dies ein übergangsalbum oder sogar nur punktuelle bm-rückkehr sein wird.
der extrem hohe anteil harter gitarren wird sicherlich nicht unbedingt der weisheit letzter schluss. das ist eher das 'sation to station als das "low". das könnte hier ähnlich laufen, wie bei ulver
Da drängt sich die Idee auf, dass man dich mal in den Nahkampf mit denen schicken sollte. Son Interview als Fortführung deiner Gedanken zu diesem Album.
Und das ist in anderen Musikrichtungen anders? Viele BM-Hörer sind eben auch ein gewisser Schlag, der sowas erwartet. Außerdem ist das BM wie ich ihn gut finde.
Ne, in jedem Genre gibt es Künstler, die sich gerne an den eigenen Klischees bedienen. Aber beim BM finde ich das doch sehr auffällig.
...dabei entspricht Dornenreich so garnicht dem BlackMetal - Klischee...