laut.de-Kritik
Wenn Bambis Mutter stirbt.
Review von Philipp Kause"Was Berührt, Das Bleibt", und was nicht berührt, das kommt womöglich später erst zum Tragen. Mit jedem Hören schwächt sich das Album von Enno Bunger jedoch ab statt zu berühren. Phrasen fallen deutlicher auf. Die Texte wirken immer schwachsinniger. Sie nehmen den Hörer zu oft auf den Arm und nicht ganz für voll.
Gut, der Blickwinkel aus Kinderaugen mit Textstellen wie "Spiderman hat grade kein Netz, Batman findet hier keinen Parkplatz" überrascht an einigen Stellen mit plastischen Schilderungen. Musikalisch reicht Bungers Aufgebot an Synthie-Blubberei in seiner Homogenität und Eintönigkeit nicht im Mindesten für ein ganzes Album. Man hört hier immer das Gleiche.
Der Sympathieträger schöpft die deutsche Sprache immerhin verblüffend großräumig zugunsten seiner Poesie aus. Für einen Musiker mit Fantasie und Anspruch an Poesie muss man dankbar sein. Hinter seinen Zeilen erschließen sich aber nicht immer der Sinn und die Relevanz. Entscheidendes bleibt ungesagt, und das Ausgesagte mutet weltfremd, geschraubt und manieriert an. Zudem trägt Bunger es immer im selben Tonfall vor.
"Mit vier darfst du zum ersten Mal ins Kino, (...) / nach zehn Minuten muss Bambis Mutter sterben / du brüllst und heulst / und dein Bruder trägt dich raus.", setzt er in "Weichzeichnungsfilter" an. Überhaupt weinen seine Songhelden oft. Wann hat schon mal jemand bei Bambis Mutters Tod mit vier geheult, und es war danach den Hauch einer Erinnerung wert?
"Irgendwann war's nicht mehr schlimm. Irgendwie macht alles Sinn. Und irgendwer kommt und trocknet deine Tränen." Irgendwann, irgendwie. Alles. Es. Was ist es und ist nicht mehr schlimm? Was ist alles und wer ist irgendwer? Unter den wohl geschwungenen Worten lässt sich nichts Konkretes verorten. Das macht das Zuhören zäh und berührt eben nicht.
"Wenn der Schuh mal wieder drückt, dann wächst du noch ein Stück und schon bald kannst du darüber stehen". Darüber? Über was stehen? Wenn nicht geheult wird, klingt es oft nur so, als ob er das auch gerne noch besungen hätte, um den Jammerreigen vollzumachen – und es sich verkneift. Weiter im Text: "Wenn man sich verschluckt hat / wo kommt man dann hin?", ist für Bungers Erzählfigur eine der "großen Fragen".
Der Dauer-Texttrick geht so: Es gibt einen Ich-Erzähler, der aber selbst fast keine Gefühle, sondern eine Erzählung über andere herunter textet. Mehr Distanz und weniger Berühren geht sprachlich kaum. Es ist schwierig, sich mit diesen recht speziellen, kleinkarierten und wenig universellen Lyrics zu identifizieren.
Die ganze Platte blubbert über vor schiefen Bildern ("Der Himmel macht blau") und Plattitüden wie "Zeit ist Geld". Was soll das heißen, "Der Himmel macht blau"? Zeilen wie die folgende in einem der sonst besten Songs, "Ponyhof", vergewaltigen die deutsche Sprache: "Ich wünsch euch (...) dass Kinder zwitschern und Vögel euch im Garten singen."
"Ponyhof" handelt wohl autobiographisch von einem Kumpel in der Musikbranche und zeichnet als pumpende, lange Keyboard-Ballade über Freundschaft eine klare Klang- und Textlinie. Das Pulsierende darin reicht an Klassiker wie "Vienna" von Midge Ure heran. "Stark Sein" gelingt Bunger gut: Als perfekter, etwas glatter Popsong, könnte auch ein Robbie Williams ihn nicht besser schreiben, und "Angel" von Robbie enthält ähnliche Strickmuster.
Enno artikuliert triste, besonnene Gedanken. Er berichtet von Sachen, die schief gehen. Eine Zeitlang griff er, auf Vorgängerplatten, alte Musik auf, zeigte sich sich aber neuen Trends wie Trap gegenüber ganz aufgeschlossen. Alles, was er sagt, klingt vordergründig irgendwie weise, nett und verständnisvoll. Ennos Ich-Erzählerfigur in seinen Songs verkörpert einen klaren Männertypus: den Softie, welcher Elternzeit nimmt, vernünftig und sensibel Müll trennt.
Die reduziert-elektronische Grundausstattung entwickelt seinen Stil nicht weiter. Die Coldplay-behaftete Dramarama-Austattung der neuen Songs konterkariert einige überkandidelte Textabschnitte, neutralisiert sie, übertönt sie z.B. in "Bucketlist".
"Nah am Abgrund zum Pomp gebaut", urteilt Sven Kabelitz über das Vorgängeralbum. Diesem Abgrund rückt "Was Berührt, Das Bleibt" ein paar Riesenschritte näher. Freundlich gesagt, revitalisiert Bunger eine deutsche Literaturströmung aus der Zeit um 1750, die Empfindsamkeit. Sagt er etwa in "Wolken Aus Beton": "Die Bäume streuen Konfetti", bleibt mir nur mit Christian Fürchtegott Gellert zu antworten "Wer trägt der Himmel unzählbare Sterne? / Wer führt die Sonn' aus ihrem Zelt?"
Enno Bunger: "Wir machen die Welt zu unserm Zuhaus / oh, wir kippen Benzin auf unsern Lebenslauf (...) / Und wir suchen nur das Weite / plötzlich finden wir uns selbst /(...) Wir wollen nichts mehr werden / Wir wollen nur noch sein". Zu diesem Geschwurbel ließe sich ergänzen: "Man muss, will man sein Glück genießen, die Freiheit zu behaupten wissen." (Fürchtegott Gellert)
Bunger wird aber auch konkreter: Sein bester Freund Nils baut ein Regalsystem, "andere bauen Scheiße" "Ja es ist jammerschade / dass wir nicht homo sind / Hab geheult, als Du sagtest / dass du dir mit ihr 'ne Wohnung nimmst." Einmal kurz geheult, fallen dann Nils und seiner Freundin bald "Steine von den Herzen" (neu – jetzt auch im Plural), und damit qualifiziert sich der gute Nils im nächsten Abschnitt sprunghaft plötzlich zum Pferdestehlen und zum Bankraub, baute er doch gerade noch Regalsysteme. Unterwegs "auf der Autobahn ins Altenheim".
Im 18. Jahrhundert gab's noch keine Autobahnen, aber schon damals wusste Gotthold Friedrich Klopstock: "Leute, die sich in ihren Begriffen von der Freundschaft nicht höher schwingen können, als dass sie alle guten Bekannten für Freunde halten, denken, dass nichts gewöhnlicher in der Welt als die Freundschaft sei. Wie betrügen sie sich!" Auf Freunde, die einen nur zum Regalbauen brauchen, kann man ja auch gut verzichten.
Manchmal tut Bunger, als solle sein Album als Lexikon deutscher Idiome funktionieren, wenn wir "aus allen Wolken fallen und dann auf beiden Füßen landen". Zugute gehalten sei ihm, dass er immer noch näher an Reinhard Mey, Nena, ClickClickDecker und Clueso musiziert als an Andreas Bourani, und das in Bezug aufs gesamte Produkt. Die ganze Kunst Bungers fokussiert sich neben "Stark Sein" in "Wofür Hältst Du Dich". Hier springt sein Gesang ins Soulige über, was dem Ostfriesen sehr gut zu Gesicht steht. Piano und Keyboard-Sphären überwiegen auch hier, wobei die Klangfülle dezent startet und sich immer mehr verdichtet und beim Hören mitreißt. Für diesen Song alleine brauchen aber nur Sammelfreaks die ganze CD, die weder berührt noch bleibt.
6 Kommentare mit 4 Antworten
Oh Mann, Leute. Hättet Ihr doch mal für ne Sekunde zugehört oder euch schlau gemacht, über welche autobiografischen Erlebnisse der Mann da schreibt, was er verarbeitet... ich muss ja nicht jede Metapher oder Formulierung gut finden. Aber es gibt nun echt nicht viele deutschsprachige Künstler, die Tod, Liebe und Freundschaft autobiografisch verarbeiten. Mich berührt es. Das muss ja nicht jedem so gehen, aber den künstlerischen Prozess, der bei diesem Album definitiv ein besonderer ist, kann man doch bitte zur Kenntnis nehmen und würdigen. Dann kann ich das Album immer noch kritisieren. Aber so? Wirkt platt. Wer Englisch singt, hat irgendwie automatisch zwei Sterne mehr bei euch, egal wie seicht das inhaltlich ist. Richtig fair ist das nicht.
Kann ich unterschreiben. Meine automatische Reaktion nach dem Hören von Liedern wie "Ponyhof" oder "Konfetti" war, mich zu fragen: Um wen oder was geht's da? Um dann auf den betroffen machenden autobiographischen Hintergrund zu stoßen. Ja, man kann die Musik zu konventionell finden und man muss Enno Bungers Lyrik nicht mögen - aber den Vorwurf des oberflächlichen Phrasengedresches bei gleichzeitigem Ignorieren der Entstehungsgeschichte des Albums empfinde ich als dumm bis bösartig.
Korrektur zum letzten Einwand: https://www.laut.de/Alan-Parsons/Alben/The… Oder einen Stern weniger. Oder genauso viele
https://www.laut.de/Carly-Rae-Jepsen/Alben
https://www.laut.de/Chance-The-Rapper/Albe…
https://www.laut.de/Bruce-Springsteen/Albe…
https://www.laut.de/Ciara/Alben/Beauty-Mar…
https://www.laut.de/Pink/Alben/Hurts-2B-Hu…
https://www.laut.de/Marina/Alben/Love-Fear…
https://www.laut.de/Mike-The-Mechanics/Alb…
https://www.laut.de/Mero/Alben/Ya-Hero-Ya-…
oder formal 1 Stern, gefühlt 0:
https://www.laut.de/Chris-Brown/Alben/Indi…
Da war wohl jemand beim Hören des Albums in einer anderen Stimmung. Anders kann ich mir das Runtermachen nicht erklären. Tolles Album. 4 von 5 Sternen.
Eine frustriertere, aggressive und (scheinbar vorsätzlich) ignorante Rezension habe ich hier selten gelesen! Wer bei Texten erst zufrieden ist, wenn sie in letzter Konsequenz konkret sind, hat Interpretation nicht verstanden.
Hier verlangt jemand "konkrete Poesie", also, dass die Interpretation der Texte direkt mitegliefert wird? Hier scheint mir, dass der/die Autor*in die Kunst, über die er/sie schreibt, nicht verstanden hat. Platter Zerriss, mit dem er/sie sich selbst bloßstellt.
Musikalisch war Enno Bunger bereits abwechslungsreicher und nicht jede Metapher sitzt gerade - da bin ich einverstanden. Aber auf welche Anekdote Enno anspielt, wenn er davon singt, dass Nils "ein Regalsystem" baut, wissen wir ja zum Glück nicht. Da wird sehr viel mehr drinstecken, als die schreinerische Dienstleistung. Leider hat der/die Autor*in auch hier keine Phantasie...
Leider wirklich ziemlich maues Album, daß auch ich erschreckend gewollt erlebe.
Dieser Kommentar wurde vor 5 Jahren durch den Autor entfernt.
Na ist doch besser, als wenn dich jemand dazu zwingen würde.
Aber erschreckend eben schon...