laut.de-Kritik
Dem Hamburger Bonvivant fehlt ein bisschen Drama.
Review von Dominik LippeDie Stärke des zumindest offiziell nach Authentizität gierenden Deutschrap liegt oftmals in seiner bunten Palette ausgefallener Charaktere. Sido, der die Schule des Image-Rap in den ersten Jahren seiner Karriere passierte, müsste sehr genau wissen, welche Bedeutung die Inszenierung für das Gesamtprodukt hat. Seinem Protegé Estikay verpasst er aber keine nachvollziehbaren Ecken und Kanten, womit diesem ein bisschen das Laas-Unltd.-Syndrom umweht. Mit seinem zweifellos vorhandenen Rap-Talent vermochte er es bislang nicht, ein wirklich interessantes Album zu kreieren.
"Ein wunderschöner neuer Tag im Paradies", gibt Estikay in "Day Ones" die Marschroute seines zweiten Albums vor. Mit knackendem Sample und einem atmosphärischen Boom-Bap-Beat etabliert Hauptproduzent Don Alfonso den gebürtigen Hamburger als tiefenentspannten Bonvivant. Selbst der beiläufige Gruß an die verstorbene Mutter wirkt mit sich selbst im Reinen. Doch wie sich bereits im trappigeren "Blueberry Boyz" zeigt, traut er seinem erreichten Status nicht über den Weg: "Wenn alles schief geht, fahr'n wir wieder mit der Bahn."
"Es könnt' morgen schon zu Ende sein", weiß der Rapper auch in "Gott Sei Dank" zu berichten. Das verträumte Instrumental der Jugglerz und die geschmackvolle Autotune-Hook stimmen dennoch hoffnungsfroh. Das gilt gleichermaßen für das versonnene "California Dreamin'". In dem Liebeslied bemüht er das abgedroschene Bild von Bonnie und Clyde, obwohl er sich mit der angehimmelten Begleitung nicht auf der Flucht befindet, sondern vielmehr am kalifornischen Sandstrand den lieben Gott einen guten Mann sein lässt. "Welcome to the Goodlife", grüßt er freundlich in die Runde.
"Alleine Zu Hause" leitet mit einem Ausschnitt aus "Money Is The Root Of All Evil" der Andrews Sisters ein. Vorsichtig stellt er die zuvor dargelegte Konsumliebe in Frage: "Manchmal sitz' ich ganz alleine Zuhaus'. Und frag' mich, was ich eigentlich brauch'". Doch statt sich vom Markenwahn abzuwenden, erhebt Estikay den Kaufrausch kurzerhand zum Naturgesetz: "Wenn wir ehrlich sind, es ändert nichts. Wir Menschen sind von Grund auf verschwenderisch". Ehrlich reflektiert er sein unveränderliches Weltbild: "Bin gefangen im System und finde leider nicht mehr raus".
Neben dem wohl interessantesten Song sticht auch der angriffslustige Trap von "Dirty Sprite" heraus. An der Seite des grobschlächtigen Bozzas fehlt es Estiakys Stimme ein wenig an Durchschlagskraft, was er jedoch durch seine Technik auszugleichen weiß. Im Gespann mit Sido wehrt er sich gegen Fakevorwürfe der "Hater", wobei sein Mentor nochmal unterstreicht, wer Koch und wer Kellner ist. Während der Hamburger beteuert, "100 k" im Safe liegen zu haben, zuckt der "Ich & Keine Maske"-Rapper nur mit den Schultern: "Alles unter 50 k find' ich günstig."
"Alles, was ich sag', habe ich erlebt", versichert der Hauptdarsteller in "Fake". Hierin liegt das Hauptproblem des Albums. Dem Hörer bleibt weitgehend verborgen, was er erlebt haben könnte. Auch in "Wunderschön" betont er, "viele Ups und viele Downs" durchgestanden zu haben, um sich nun über die ihn beäugenden Neider zu freuen. Um welche Tiefpunkte es sich handelt, verschweigt er. Estikay zeichnet weder eine spannende Kunstfigur noch liefert er persönliche Einblicke in einen greifbaren Charakter. "Blueberry Boyz" fehlt es an Storytelling und damit auch schlicht an Drama.
Stattdessen verordnet Sidos Schützling Optimismus, als gehöre er zu Fettes Brot ("Alles sein, nur kein Pessimist"). Der Unterschied besteht jedoch darin, dass sich in der "Lovestory" des Trios aus der Hansestadt alles in Wohlgefallen auflöst, während bei Estikay immer wieder das Bewusstsein dafür durchblitzt, dass auch das Gute zu einem Ende kommt ("Bis es eines Tages heißt, die Party ist vorbei"). Unter dem Strich bleibt "Blueberry Boyz" das Album eines Rappers, der zwar eine Hip Hop-Sozialisation aufweist, aber die Herangehensweise von Radio-Musik befolgt.
3 Kommentare mit einer Antwort
Die Review trifft es ganz gut aus meiner Sicht - das Album plätschert so vor sich hin, ist von Beats und Delivery her gesehen gut hörbar, aber es ist inhaltlich einfach dermaßen uninteressant und belanglos, dass man wenig Lust hat häufiger reinzuhören
Unterschreib ich genau so.
ich glaube, bozzas lines sind von einem machine learning model erstellt worden, das vorher mit allen texten von 187, berlin rap vor 2012 und offenbach damals trainiert worden ist. mehr klischee und allgemeinplätze geht echt nicht mehr. sonst ganz gutes album eigentlich, kann man gut nebenbei hören.
Mehstikay