laut.de-Kritik

Jetzt hör mir mal zu, du Arsch!

Review von

Ein richtig gutes Fehlfarben-Album ist in der Regel – so widersprüchlich das klingen mag – gleichzeitig zeitlos und brandaktuell. Die "Glücksmaschinen" des Düsseldorfer Urgesteins bieten dem Musikfreund genau solch einen Volltreffer. Beim Kartenspielen bezeichnet man jene Farben, die nicht Trumpf sind, als Fehlfarben. Das passt auch nach drei Jahrzehnten noch hervorragend zu dem Sextett.

Besonders "in" oder gar "trendy" waren sie schließlich nie. Solche Schubladen und Erwartungen mögen getrost jene Kollegen weiterhin bedienen, deren Ansehen bei Chef-Grantler Peter Hein ohnehin tief im Keller rangiert. Die ganz eigene Suppe der Band ist und bleibt der typische Endsiebziger/Frühachtziger Postpunksound. Gleichwohl hat man nicht eine Sekunde lang das Gefühl, es hier mit anachronistischen alten Säcken zu tun zu haben. Im Gegenteil: Die Scheibe rockt!

Klangliches Herzstück der Band ist der herrlich runde Bass-Sound Michael Kemners. Die wavige Anlehnung an die englische Ikone Peter Hook (Joy Division, New Order) ist mal wieder unüberhörbar. Das passt auch gut. Denn die lediglich acht Tracks auf dem Album brauchen einen Gegenpol zum manchmal etwas sloganartig keifenden
Organ Heins. Unbeirrbar schnappt sich Kemmer jedes einzelne Lied und treibt es rhythmisch zum Gipfel.

Ohnehin sind die Songs diesmal melodisch sehr ausgegoren und pointiert ausgefallen. Das allermeiste bleibt gern schnell im Ohr. Der Rest des Materials wehrt sich auch nicht lang. "Stadt Der 1000 Tränen" setzt als Anti-Berlin-Hymne einen ätzenden, wesentlich analytischeren Gegenpol zu Peter Fox' Hipster-Variante "Schwarz Zu Blau". "Neues Leben" und "Wir Warten" überzeugen ebenso mit knochentrockenen Arrangements und Ohrwurmqualitäten.

Doch natürlich sind am Ende die lyrischen Ergüsse Heins das Zünglein an der Waage. Der Soundtrack zur ökonomischen und sozialen Realität unseres Landes war bereits das 2002-Opus "Knietief im Dispo". Spätestens jetzt, wo leider alles Vorhergesagte eingetroffen ist, fragt man sich womöglich: Was fällt der fast 53-jährigen Kassandra aus der Messestadt denn jetzt noch ein? Man darf beruhigt sein. Es ist eine Menge!

Solch scheinbar harmlose Liedchen mit gekonnt eingängigem Hit-Appeal wie "Im Sommer" haben es faustdick hinter den Ohren. Auch der erfreulich unzynische Blick fürs Wesentliche – die Liebe - gerät messerscharf ("Neues Leben"). Wenig verwunderlich auch, das der Sänger dem allerorts grassierenden virtuellen Voyeurismus elegant sarkastisch den Marsch bläst ("Vielleicht Leute 5").

Während man als Lauscher glaubt, schon alles Relevante hinter sich gelassen zu haben, drehen die Fehlfarben in buchstäblich letzter Minute der CD noch einmal so richtig ab. "Respekt?" ist über weite Strecken eigentlich ein herrlich knackiger Burner für Herz und Ohren; jedoch rein instrumental. Ganz zum Schluss packt Hein mit spürbarer Lust die Keule aus und vernichtet mit gebotener Empörung die vielen Pseudoghetto-Angeber, deren verquerer Ehrbegriff längst auf den Prüfstein gehört, statt unverdiente Achtung zu erlangen.

Das wird womöglich sogar für den gestandenen Hörer die schönste Farben-Minute seit ... "Respekt, Respekt, na dann viel Spass! Respekt, Respekt, wofür denn das? (...) Dein Scheiß Respekt was ist denn das? (...). Ehre, Ehre wenn ich das schon höre. Ehre, Ehre wenn ich so einen Scheißdreck höre. Jetzt hör mir mal zu, du Arsch!"

Die "Glücksmaschinen" verbinden die Wortgewalt von "Knietief" mit schnörkellosem Auf-die-Fresse-Rock, so unbekümmert wie zu ihren Anfangstagen. Peter Hein als ehrlicher Unruhepol und vorhaltender Eulenspiegel macht seine Sache toll wie eh und je. Also auf in den "Sommer nach der Krise". Sechs alte Weggefährten warten schon.

Trackliste

  1. 1. Glücksmaschinen
  2. 2. Stadt der 1000 Tränen
  3. 3. Neues Lebe
  4. 4. Ausgeraucht
  5. 5. Im Sommer
  6. 6. Vielleicht Leute 5
  7. 7. Wir warten(ihr habt die Uhr,wir die Zeit)
  8. 8. Respekt?

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