laut.de-Kritik
Circle Pit ums Lagerfeuer.
Review von Christian KollaschFrank Turner trotzt dem Älterwerden. Dass im Moshpit mittlerweile der Rücken schmerzt, die Tattoos verblassen und sich die Lieblingsbands aus der Jugend in die Oldies-Kategorie einordnen, nimmt der 42-jährige Punk-Poet auf "Undefeated" mit Humor. Gleichzeitig gerät er auf seinem zehnten Soloalbum ins Grübeln und reflektiert seine private und künstlerische Vergangenheit. Die Klischees einer ausgewachsenen Midlife Crisis lässt er dabei aus, auch wenn dem Album stellenweise kurz die Puste ausgeht wie einem Altpunk nach der Vorband.
Nun soll 40 ja das neue 30 sein, und auf den ersten Blick machen sich bei Turner, der nach wie vor auf den Bühnen dieser Welt rotiert, keine Abnutzungserscheinungen bemerkbar. Dass der Mann immer noch voll aufdrehen kann, stellte er zuletzt mit dem energetischen Vorgänger "FTHC" unter Beweis. Auch auf "Undefeated" zündet Turner seine Folk-Punk-Explosionen, die er hier aber wieder mit wolkigen Popsongs vermengt.
Circle Pit ums Lagerfeuer lautet auf "Undefeated" die Devise. Turner wandelt immer noch gekonnt zwischen Soundtracks zum nächsten Pub Crawl und emotionalen Indie-Balladen, die schüchtern in die Britpop-Ecke blicken. Nachdem er auf "FTHC" die durch den Pandemie-Stillstand aufgestaute Energie und den Frust abgelassen hat, wirkt Turner auf "Undefeated" deutlich entspannter. Der sorglose Opener "Do One" schaltet mit Mitgröl-Refrain bewusst den Kopf aus. Eine altersbedingte Gelassenheit schwingt hier möglicherweise mit: " Some people are just gonna hate you / No matter what you do / So don't waste your time trying to change their minds / Just be a better you".
So bissig Turner noch auf dem Vorgänger in den Anfang grätschte, um so mehr gibt hier ein leichtfüßiger Indierock für die Radiorotation den Ton an. Der beschwingte Folk-Punk-Stampfer "Never Mind The Back Problems" setzt die Party fort und räumt in der Kneipe die Tische ab. Der Spagat zwischen Pogo-Eskalation und Stadionrock gelingt Turner nach wie vor organisch. "Undefeated" besitzt nicht mehr die klare Kante des Vorgängers, sondern stellt ein Potpourri aus seinem Repertoire zusammen. Den nächsten Haken schlägt die Ballade "Ceasefire", mit der Turner in Keane-Manier ein paar Worte an sein jugendliches Ich richtet.
Mit einem Piano als Antrieb schwebt er in die Vergangenheit und schließt Frieden mit einem planlosen, 15-jährigen Francis Turner, der alle Irrwege des Lebens noch gehen muss. Der Song rührt zu Herzen, zeigt den Engländer von seiner fragilen Seite, und doch steht er nach dieser Auseinandersetzung gefestigt da. Musikalisch gerät das zwar etwas formelhaft, lädt aber zum Schwelgen in eigenen Erinnerungen ein.
Die der unschöneren Sorte darf man auf "Pandemic PTSD" wieder hervorkramen. So ganz hat Turner die miesen Corona-Jahre noch nicht beiseite gelegt und klagt mit einer schnörkellosen Rock'n'Roll-Nummer für die Hüfte über die Nachwirkungen: "Dazed and confused / in the morning after / A two-year-slow-motion / human disaster". Für jemanden wie Turner, der quasi im Tourbus lebt, war die Pandemie ein heftiger Schlag. Gut, dass er trotz alledem seinen Schwung nicht verloren hat.
Der kommt auch in der mit saftigen Basslines gespickten Indie-Hymne "Letters" zum Tragen. Mit seinen Piano-Akzenten und der euphorischen Up-Tempo-Struktur erinnert dieser Rocksong, so komisch das klingen mag, an eine aufgemotzte Version früherer Sachen von Heinz Rudolf Kunze. Turner kommt in dieser Herzschmerz-Abrechnung ebenso gefühlsecht herüber. Auf der anderen Seite klingt die brachiale Hook von "No Thank You For The Music" nach den Dropkick Murphys. Dass die Folk-Punks neben Kunze hier als Referenzen für dieses Album stehen, unterstreicht die Vielseitigkeit Turners. Er scheut sich nicht, mit Pop-Appeal beim Mainstream vorbeizuschauen und gleichzeitig im Pit die Ellenbogen auszufahren.
Nun muss sich "Undefeated" den Vorwurf gefallen lassen, dass es eher einen Flickenteppich aus Turners Reichweite darstellt und die Kohärenz des Vorgängers vermissen lässt. Gerade im letzten Drittel verpufft das Album etwas zahnlos in einer Anhäufung von Indierock und seichten Balladen. Das wiegt am Ende auch nur halb so schwer, denn Turner trägt auch diese mit intimer Inbrunst vor. Die Ode an das Künstlervolk "Show People" verbreitet mit leichten Country-Rock-Anleihen gute Laune, während das zuckersüße "On My Way" mit der Akustikgitarre Turners Sound entkernt und Home-Recording-Vibes versprüht.
Nachdem der Titeltrack ganz zum Schluss mit einer Fanfare den Vorhang fallen lässt, möchte man sich ein bisschen für Frank Turner freuen. Der übermäßige Drogenkonsum in der Vergangenheit bekam ihn nicht klein, ebenso wenig die gebrochenen Herzen oder die Jahre der Pandemie. Mit 42 Jahren zieht er auf "Undefeated" eine positive Zwischenbilanz, denn er befindet sich nach Abstechern auf einige holprige Pfade genau an der richtigen Stelle: auf der Bühne.
3 Kommentare
Nachdem ich als großer Frank Turner Fan von "Be More Kind" mega enttäuscht war, hab ich mich bei FTHC gefreut, dass Frank wieder zu seinen Anfängen zurückgekehrt ist und sehe mit Besorgen, dass er jetzt doch wieder Richtung Mainstream schielt. Den Tenor der Rezi, dass er mit seinen 42 Jahren (seit wann ist das ein Alter??) "Bilanz ziehen" darf, kann ich nicht ganz nachvollziehen. Meinetwegen muss er den Campfire-Punkrock-Stiefel nicht mehr durchziehen und kann vielleicht auch beim Touren ein wenig runterfahren, aber neben Mainstream-Pop gibt's dann doch noch deutlich mehr zu entdecken... Und für ein Album, dem es laut Rezi an Biss fehlt und das "im letzten Drittel etwas zahnlos in einer Anhäufung von Indierock und seichten Balladen verpufft" sind 4 Sterne leider definitiv zu viel.
Gebe Clooney Recht. "Be More Kind" und "No Mans Land" waren ein Reinfall. "FTHC" hat mir dann wiederum erstaunlich gut gefallen. Das neue Album ist...egal.
Gebe meinen Beiden Vorrednern absolut recht. Cooler Typ, aber bei meinem letzten Konzert vor einigen Jahren dachte ich schon nach 2,5 Stunden, dass es dann auch mal gut wäre ehe er uns dann nach 3 und ein paar weiteren Minuten "entlassen" hat. Gern von allem ein bisschen weniger und dafür intensiver würde der ganzen Sache womöglich gut tun.