laut.de-Kritik
Vier Mittelfinger für ein "Gat Damn".
Review von Kay SchierWarmes Licht fällt durch die geöffneten Buntglasfenster einer Crackküche am Tropenstrand von Kalifornien. Vom Wasser wehen ein paar sanfte Takte Clipse und N.W.A. herüber. Die Tische, Waagen, Kilos sind beiseite geräumt, ein Orientteppich ausgebreitet, darauf steht eine Soulband aus den Siebzigern, gekleidet in Guccishirts und Yeezy-Sneaker-Sondereditionen.
El Grande Beat Konducta Madlib besteigt sein Podest, klopft einmal, zweimal gebietend mit dem Taktstock auf. Freddie Gibbs lehnt an der Bar, eine Pfeife in der einen, ein Kristallglas in der anderen Hand, und sieht zu, wohlwollend. Madlib gibt den Einsatz für die Orgel, danach kommen die Bläser rein.
Freddie Gibbs hat die Ruhe weg, raucht auf, trinkt aus, schlendert zum Mikrofon und rappt: "I want it all, nigga, all leather / 25th and Jackson / I'm back in action like Carl Weathers / trap boy Kane, I clubber Lang Sylvester / Crack cocaine, I was my own investor." Die geladenen Damen und Herren im Publikum grinsen verstrahlt unter den Sonnenbrillen, legen synchron ihre Uzis zur Seite und schnippen im Takt.
Darauf haben sie, wir alle, allzu lang gewartet: eine Wiederbelebung der Kreativallianz aus Freddie Gibbs und Madlib, die 2014 den Meilenstein "Pinata" aus dem Fels schlug. Im Nachhinein ist nun bekannt, dass allein das Clearing der Samples für "Bandana" ein ganzes Jahr verschlang. Wie tief und lange sich Maestro Madlib davor in Plattenkisten und die Musikgeschichte gegraben hat, um so viel seltenes, feines Geschmeide aufzutreiben, zu zerhackstückeln und dann wieder zu Beats zu flicken, weiß nur er selbst: Man höre die spanische Gitarre auf "Crime Pays", den verklatschten Psychedelic Folk auf "Fake Names", oder was auch immer das im Beat von "Massage Seats" einmal war, bevor er damit gezaubert hat, und lasse das Mundwerk ruhig gleich offen.
Auf diesem roten Klangteppich rasiert Freddie Gibbs raptechnisch dem Großteil der aktuellen Konkurrenz die Milchbärte ab. Mal schlendert er ganz lässig darüber, wie im erwähnten "Freestyle Shit", dann schlägt er unvermittelt wilde Haken wie in "Crime Pays", stolziert im einen Moment, um dann wieder nach vorn zu preschen. Andere Rapper wechseln auf ganzen Alben ihren Flow nicht so oft wie er auf "Situations". Das klingt nicht nur allzeit geil gereimt, stabilst geflowt und rhythmisch virtuos, sondern wartet auch mit einer Fülle an Referenzen und Wortspielen auf, die sich, wie die eingangs zitierte "Rocky"-Anspielung, erst nach und nach entschlüsseln lassen.
Das furiose Geflexe über Qualitäten in Sachen Kilos und Knarren lässt einen aber nicht vergessen, dass der Mann mittlerweile 37 ist und sich im positiven Sinne auch so anhört, dafür sorgt Gibbs selbst: "Po-Po pull me over with half a kilo and a ruger / I can't move the same I gotta readjust how I maneuver", solche gereiften Sentenzen finden sich immer wieder in den Texten und geben ihnen den entscheidenden Schuss Realness mit. Dennoch, er mag zwar mittlerweile Familienvater und praktizierender Muslim sein, deswegen aber lange noch kein Kind von Traurigkeit. Das Outro von "Situations", launig verlesen zu einer jazzigen Jahrmarktsorgel, sagt uns dazu:
"Fuck you Friday was such a great holiday that I thought I would extend the holiday season. And let's call it I Don't Give A Shit Saturday. I don't give a shit about what you think about me, I don't give a shit who you think I ought to be, I don't give a shit about, you don't like me cussin'? I don't give a shit what you like."
Ignoranz, weil man es kann: "Bandana" ist ein Album, das man auf den Ohren hat, wenn man in einem verdreckten Thug Life-T-Shirt in ein Steakhouse spaziert und den Wels mit Kaviar und dazu eine wohltemperierte Büchse Hansa Pils verlangt, aber pronto. Alles geht, und vor allem geht das alles auch zusammen. Hier werden die Oldschooler glücklich, denen Madlib und Gibbs ihre Filetsamples und Gourmet-Raps servieren. Die Freunde moderner Küche sind ganz aus dem Häuschen darüber, wie zeitgemäß man das altbewährte Rezept Samplebeats plus Rap in ganzen Sätzen anrichten kann.
Der angriffslustigen, technischen Brillanz von Freddie Gibbs steht die kontrollierte Anarchie von Madlib gegenüber, der den Beat innerhalb der Tracks so häufig wechselt, dass man sich regelrecht beschwipst fühlt: Selten landet man musikalisch an der gleichen Stelle, von der aus man vor drei Minuten gestartet ist. Das fühlt sich über die Distanz von 15 Tracks nie erzwungen oder nach Kunst-Tinnef an, eher wie ein gleichberechtigter Jam zwischen der Stimme und dem Mann an den Reglern. Dazu gesellen sich die Gäste Killer Mike, Pusha T, Yasiin Bey, Black Thougt und Anderson .Paak, die in ihren Parts das tun, was sie meistens tun, nämlich sehr gut sein.
Eine ganz eigene Stimmung eröffnet sich hier, die die harte Hood mit klanglich warmen, ständig wechselnden Farben untermalt, Rap auf einem Trip, dabei aber ganz bei sich selbst. Was man noch zu diesem Album tun könnte? Sich mit einem Haufen Hippies in den Bongokreis setzen und den Beat von "Shook Ones" trommeln. Ohne Licht auf dem Fahrrad von den Bullen angehalten werden, losfahren und schneller sein. Einem deutschen Boombap-Nazi vermitteln, dass es ein Leben jenseits von Retrogott gibt. Dem Vierzehnjährigen im Rin-Hoodie verklickern, dass moderner Flow und Musikalität sich nicht ausschließen, und, und, und. Vor allem kann man es aber selbst hören und mit beiden Mittelfingern ausgestreckt einfach mal danke sagen: Chapeau, Madlib und Gibbs.
14 Kommentare mit 27 Antworten
Wer's braucht.
Guter Beitrag!
Gibbs rasiert, Madlip nervt dagegen mit seinem Gefrickel.
Insgesamt ähnlich überbewertet wie damals "Piñata", trotzdem natürlich kein schlechtes Album.
Geh Trap hören...
Sehe es aktuell sogar vor "Piñata", da es kompakter ist und es diesmal keine schwachen Features gibt (außer man zählt diesen Japaner dazu ). Besser können sie kaum noch werden. Madlib hat (wohl auf seinem iPad) sich nochmal selbst übertroffen und Gibbs ist eh mein aktueller Lieblingsrapper neben King Push. AOTY-Kandidat.
So ist das.
hebt sich schon deutlich vom rückwartsgewandten boombaprevival und trap einerlei ab, die derzeit die rapszene dominieren.
gibbs in absoluter topform, dazu madlibs als inspirierter beatmagier ergeben ein echtes meisterwerk. der blaxploitationvergleich passt schon ziemlich gut, aber halt alles kontextualisiert in der heutigen zeit. hatte ständig black dynamite im kopf
Absoluter Killer. Bin mit Piñata komischerweise nie so warm geworden, das hier kriegt mich total. Gibbs klang für mich nie besser, Madlib mit den dopesten Beats seit Champion Sound. Vielleicht liegt´s an der IPad Produktion, da ist auf jeden Fall was in seinen Beats, was ich vorher so nicht gehört habe, und was mir ziemlich gut gefällt. Dazu noch Paak und King Push auf Top Level. Bin gespannt, wie die Langzeitwirkung ist, nach 3 Durchläufen auf jeden Fall 4,5/5.
Dies ist ein sehr feiner Albung!