laut.de-Kritik
Porcupine Tree-Songs im Big Band-Gewand.
Review von Yan VogelSeit 2010 ist es um Porcupine Tree sehr still geworden. Davor durchquerte Steven Wilson mit seinen Mitstreitern sphärische Soundlandschaften, poppige Gefilde sowie schroffe Riff-Massive, bevor er seiner Solokarriere den Vorzug und Porcupine Tree den Laufpass gab.
Klar, Wilson ist der Bandkopf, was er in zahlreichen Interviews zu seinen Soloplatten auch zum Ausdruck bringt. Die Qualitäten seiner Bandkollegen beschränkten sich jedoch nicht aufs Prima Vista-Spielen einer bereits existenten Partitur. Gavin Harrison zum Beispiel ist derzeit sicher einer der besten modernen Drummer, der virtuos, behände und filigran jede technische Klippe meistert und noch dazu mit einer großen Musikalität aufwartet.
Auf seiner neuen Soloscheibe bewegt sich Harrison in mehrfacher Hinsicht Back To The Roots. Einmal zollt er seiner Jazz-Vergangenheit Tribut, indem er sich mit einem Bläser-Ensemble umgibt und viele Reminiszenzen an Big Band-Jazz einstreut. Zum anderen greift er die erfolgreiche Bandvergangenheit von Porcupine Tree auf und bedient sich aus dem großen Songfundus der Briten als Ausgangspunkt von instrumentalen Cover-Versionen.
Jetzt kann man natürlich darüber streiten, ob es nötig gewesen wäre, Porcupine Tree-Songs als Ausgangsmaterial zu verwenden. Auf den ersten Blick kommt dieses Projekt doch sehr marktschreierisch rüber, Steven Wilson Features finden sich derzeit an allen Ecken und Enden. Der Vorwurf könnte lauten: Springen wir auf den Hype auf.
Dennoch ist es legitim, die Referenzen hoch zu hängen, kommt dieses qualitativ absolut hochwertig in Szene gesetzte Projekt doch somit vielleicht auch außerhalb des Bigband-Jazz-Etiketts zur Geltung. Ohnehin ist Harrison der Ansicht, Kategorien seien künstlich gezogene Grenzen, wo es außerhalb des ästhetischen Genusses keine gäbe.
Man hört nun parallel geführte dissonante Läufe, Klang-Cluster, die sich sukzessive aufbauen, virtuose markante jazzige Linien. Die Leitmotivik, die subtil in sämtlichen Registern gestreut wird, dient als Struktur, das Arrangement der Ausgangsstücke wird gnadenlos gebrochen und kommt nur in Ausnahmen zur Geltung ("The Pills I'm Taking", "Start Of Something Beautiful"). Mal übernimmt der Bass die Gitarrenläufe ("Sound Of Muzak"), mal übernimmt die Flöte die zum Sterben schöne "Heart Attack In A Layby"-Melodie, mal wird eine Gesangsstimme instrumental eingestreut. Der Clou dabei ist, die Melodie bleibt unangetastet, es verschiebt sich allein der harmonische Kontext.
Harrison Drumming fällt entsprechend variantenreich aus: Er bedient eine breite dynamische Palette, flicht spielerisch polyrhythmische Verschachtelungen über einen Grundbeat ein, verwendet unterschiedlich gestimmte Toms und Becken und streut Marimba-Läufe mit ein. Beeindruckend auch wie Harrisons Co-Part Laurence Cottle, der nebenbei noch den Bass bedient und die Basslinien von Colin Edwin virtuos adaptiert, die Klangtexturen bei Porcupine Tree bestehend aus Soundscapes, Synthie-Sounds und Effekt-beladenen Gitarren-Minimalismen ins Bigband-Gewand überträgt. Riffs, Melodien, Klänge werden dekonstruiert, kreativ kompiliert und neu interpretiert.
"Hatesong/Halo", der Doppelschlag von Lightbulb Son und Deadwing wird von einem zyklischen Marimba-Pattern eingeleitet, verwoben mit der Thematik von "Hatesong". Die melodischen Anteile erhalten vor allem die tieferen Register, so dass ein düster-sarkastisches Moment entsteht. Atonale Tonspiralen sorgen für die entsprechende Weirdness, bevor es mittels eines Tempowechsels in "Halo" übergeht. Der straighte Beat von Harrison treibt einen recht konventionellen Bläser-Satz an, der mitreißt und im hymnischen Refrain mündet. Die Klammer bildet wieder das Marimba-Pattern, unterlegt mit der Bassfigur aus "Hatesong".
Der im Zuge der In Absentia-Aufnahmen als EP veröffentlichte Track "Futile" bildet den motivisch-thematischen Rahmen für den abschließenden Song. Wieder im Uptempo gehalten, besticht das Cover mit Tribal-artigem Drumming zu Beginn und greift dann die melodischeren Passagen auf, die von einem dezenten Swing-Beat begleitet und von kurzen Bigband-Einwürfen unterbrochen werden. Schroffe Forte-Passagen wechseln mit melodischen Swing-Parts.
In Zeiten von Sampling und Reproduktion ein bemerkenswertes musikalisches Resultat, das begeistert, lebt, atmet und einen tiefen Sog entwickelt. Denn bei allem Anspruch bleibt die Platte tänzerisch, mitreißend und stets nachvollziehbar.
Dabei eignen sich die melodischen Marker und charakteristischen Riffs für eingefleischte PT-Afficionados, um auf Analogien-Suche zu den Songs zu gehen. Andererseits fallen die Arrangements und harmonischen Kniffe so eigenständig aus, hier hat Orchestrator Laurence Cottle ganze Arbeit geleistet, dass die Stücke auch komplett ohne die Bezüge zu den Ausgangsstücken zu genießen sind.
3 Kommentare
Interessant...Ganz oben auf meiner Noch-Zu-Hören-Liste
hey hey,
bei mir auch ganz oben auf der zu hören liste
grus kraus
Wer die Möglichkeit der Surroundwiedergabe hat, die beiliegende DVD ist klanglich sehr zu empfehlen. Achtung: es handelt sich dabei aber um kein Konzert