laut.de-Kritik
Zwischen Genie und Wahnsinn.
Review von Michael EdeleIch kann gar nicht sagen, wie knapp diese CD daran vorbei ging, von mir übelst verrissen zu werden. Dann wurde mir aber klar, dass ich als alter Cannibal Corpse Veteran in Bezug auf widerwärtige Texte die Schnauze nicht zu weit aufreißen sollte.
Worum gehts also: Die perverse Art und Weise, wie bei "Fleischesschuld" eine krankhafte Bestrafung detailliert geschildert wird, hat nicht unbedingt dazu beigetragen, große Sympathien für Oswalds Artikulation bei mir zu wecken. Textzeilen wie "Es ist schon ein bizarrer Anblick, wenn Kinder ihre kleinen Ärmchen vom Körper abtrennen um für ein gestohlenes Stück Brot oder eine Konserve Obst zu sühnen" lassen bei mir die Lichter einfach ausgehen. Dieser Text wird für mich wohl immer ein trübes Licht auf die Formation werfen.
Dass ich die anderen lyrischen Ergüsse in ihrer wahren Bedeutung erfassen könnte, wage ich ja gar nicht zu behaupten. Dazu fehlt mir schlicht und ergreifend die Muße, und, trotz eines Germanistik-Studiums vielleicht auch der Hintergrund. An Oswalds Fähigkeiten als Lyriker, Autor oder wie auch immer, will ich also gar nicht zweifeln.
Dass mich "Fleischschuld" nun so gegen die Platte einnimmt, ist bei näherer Betrachtung ziemlich schade, denn "Nichts Bleibt Wie Es War" hat eine Reihe guter bis sehr guter Songs zu bieten. "Der Eisturm" hat das Zeug zu einem ein absoluten Tanzflächen-Kracher und noch größeres Hitpotential als die Single "Glasgarten", die wegen der Kooperation mit Wolfsheim's Heppner kommerziell leichter zu vermarkten sein wird. Nichts gegen den Song, der ist klasse, aber auch "Vermisster Traum", welches durch die Geigenmelodie etwas an Skyclad erinnert und auch "Nichts Bleibt Wie Es War" (wobei es sich um eine deutschsprachige Bearbeitung des Stückes "Shockwaved" von Still Silent feat. Peter Spilles Project Pitchfork handelt) und "Himmelgrau" gehören eher zu meinen Favoriten.
Es wird auch immer schwerer, eine musikalische Beschreibung für Goethes Erben zu finden. Legt die CD recht EBM-lastig los, setzt man anschließend auf ruhige Piano-Klänge, ehe man bei "Glasgarten" schon beinahe jazzig wird und gegen Mitte der CD auch mal die verzerrte Gitarre schwingt. "Zimmer 34" ist zwar ein musikalischer (?) Tiefschlag, dafür ist die Geschichte bedrückend.
Es tut mir ernsthaft Leid, dass ich mich von einem einzigen Songtext dermaßen beeinflussen lasse - ansonsten wäre sicher mehr drin gewesen. So kann ich aber nur jedem raten, sich selbst ein Bild zu machen.
1 Kommentar
Die Band ist eine dermaßen intensive und bedrückende Formation. Perversität vermengt mit Intellektuellem Fachgesimpel, das würde einem Hannibal Lecter gefallen.