laut.de-Kritik

An der Front macht's immer noch wenig Spaß.

Review von

Das "Fan Box" (sic!) - Set von "Jugend Von Gestern" enthält ein Flaschenholster samt Karabiner, geprägt mit "Chaos Und Promille". Ich wohne nun seit einigen Jahren im vormaligen Osten (und komme aus einem noch viel alkohol-affinerem Landfleck), Menschen mit Flaschen in Holstern habe ich noch nicht entdeckt. Vielleicht werden es jetzt mehr, kommerziell erfolgreich ist die Goitzsche Front schließlich. "Ostgold" war Mist, wer es nicht glaubt, höre "Rucksack Voller Bier" nach. Saufmusik braucht es selbstverständlich, aber warum man dazu nicht einfach Die Kassierer oder den zu früh von uns gegangenen Ole Ohne Kohle hören sollte, kann die Goitzsche Front nicht beantworten.

Beziehungsweise erkennt sie das vielleicht sogar selbst, weshalb der Suff immer nur Co-Narrativ bleibt und "Der Osten" mindestens gleichberechtigt wirkmächtig einbinden soll. So auch auf "Jugend Von Gestern". Der Glatze und den zwei Geheimratsecken ging Compagnon Neubauer am Schlagzeug verlustig, auf dem Track-By-Track-Video der Band kommt deutlich rüber, dass das trotz der beschworenen kameradschaftlichen Werte nicht so geschmeidig ablief ("Wenn Ein Bruder Stirbt"). Nun ist René Wähler an den Drums, im Sound ändert sich nichts.

Im viel zu cleanen Soundgewand lassen die Komponisten Bock und Beuster Bass und Drums nur eine Nebenrolle. Beusters Gitarre ist immer irgendwie da. Weil der Bass viel zu weit nach hinten gemischt ist, muss sie das treibende Element übernehmen, was schon nicht richtig funktioniert ("Wenn's Nicht Rockt"). Vollends scheitert es natürlich spätestens dann, wenn die Gitarre auch noch die Melodie übernehmen müsste. Das endet dann in schematischen Songs, die sich zum einen zum Verwechseln ähnlich anhören und immer pflichtschuldig lahme Gitarrensolos unterbringen, weil man das halt so macht, und für diese dann auch noch Platz geschaffen werden muss, weil man vorher nicht die 1-2 Ideen unterbringt, die man hätte.

Im Endeffekt hängt alles an Bock. Seine Stimme ist zwar nicht besonders markant, er entfaltet jedoch stellenweise durchaus eine authentische Dynamik ("Lok Aus Dem Dreck", "Wie Liebe Geht") und ist damit der USP der Goitzschen Front. Nur ist der Rahmen, in dem Bock agiert, konsequent so eng und klein gehalten, dass dieser Fisch vor allem deshalb groß ist, weil sein Teich so klein ausfällt wie die Striegis im ausgedörrten Sommer. Das Warten auf die Mulde, auf einen nennenswerten Fluss, eine Geschwindigkeit, eine Explosion des Sounds oder der Gefühle, das bleibt vergeblich, Mid-Tempo, dritter Gang in Untertour für immer.

Nicht hilfreich zeigen sich die konsequent reaktiven Texte der Band, die alle ihre Themen (Alkohol, Osten und Variationen davon wie "Simson") nicht als Ausgangsbasis für weitere Geschichten oder für die Erläuterung ihres Blicks auf die Welt versteht, sondern sich mit dieser Grundperspektive völlig begnügt und sogar jedes Mehr an (Wissen-) Wollen als Verrat an der eigenen Identität ansieht ("Fett Und Tätowiert", "Chaos Und Promille") und im Umkehrschluss konsequenterweise sich selbst durchgehend dafür geißelt, sich nicht authentisch genug für diese beiden abstrakten einzigen Werte in ihrem Absolutheitsanspruch einzusetzen. Was woanders ironische Distanz schaffen würde, bleibt bei Goitzsche Front hoffentlich kommerzielle Pose, man hat aber den Eindruck, dass dieser Masochismus der maoistischen Selbstkritik ernst gemeint ist. Das ständige Rückbesinnen hat natürlich den Vorteil, dass Beschäftigung mit der Gegenwart obsolet wird. Eskapismus als Pfeiler einer Ost-Identität im Jahr 2024, diesen Gag kann man sich kaum ausdenken.

Ebenfalls nicht hilfreich dabei, die Goitzsche Front nicht als psychopathologisch besorgniserregende Schicksalsgruppe wahrzunehmen, ist das Niveau der Texte. Rocken tut "Wenn's Nicht Rockt" nicht, dafür begeistert Bock mit der grandiosen Line "Ich brauch's hardcore ins Gesicht / Ja, ja, ja, ja"; es kommt dann nur ein Tröpfchen. Es fehlen Kante, Ecke, Fallhöhe, stattdessen nehmen die Bitterfelder sogar noch Tempo raus, wenn sie skandieren "Hier ist der Handschlag noch was wert". Die Sprech-Einsprengsel auf "Lok Aus Dem Dreck" bringen mich zur inneren Entgleisung, den Bock schießt dessen Namensvetter aber selbst ab, wenn er im Closer "Wenn Ein Bruder Stirbt" völlig sinnentleert raunt: "Dias De Los Muertos".

Bei der CD-Version ist "Jugend Von Vorgestern" fanfreundlich gleich mit eingepackt, samt Stiefel-Cover (aber ohne weiße Schnürbänder, falls ihr schon googlet). Darauf finden sich Neuaufnahmen von alten Songs. Die meisten stammen vom Debut "Musik Ist Mein Blut". Ins heutige Gewand heißt für die Band scheinbar "glattpoliert in der Produktion", mehr ist da nicht geschehen. Im Endeffekt fehlt also sogar noch früherer Biss.

Trackliste

  1. 1. Intro
  2. 2. Lok Aus Dem Dreck
  3. 3. Chaos Und Promille
  4. 4. Jugend Von Gestern
  5. 5. Wenn‘s Nicht Rockt
  6. 6. Helden Meiner Jugend
  7. 7. Simson
  8. 8. Nie So Voll
  9. 9. Perspektive Null
  10. 10. Wie Liebe Geht
  11. 11. Schöne Grüße
  12. 12. Fett Und Tätowiert
  13. 13. Wenn Ein Bruder Stirbt

Preisvergleich

Shop Titel Preis Porto Gesamt
Titel bei http://www.amazon.de kaufen Goitzsche Front – Jugend Von Gestern (2cd Digipak) €19,98 €3,00 €22,99

Videos

Video Video wird geladen ...

Weiterlesen

LAUT.DE-PORTRÄT Goitzsche Front

Gerade einladend wirkt der ungewöhnliche Bandname nicht, der eine Fusion von Heimatnähe und Geschlossenheit darstellen will. "Goitzsche" meint dabei …

8 Kommentare mit 23 Antworten

  • Vor 19 Stunden

    Puh, absolut miese Kritik von einen Mann der wahrscheinlich gar nichts mit Deutschrock anfangen kann und wohl nur eine Gelegenheit brauchte, um über die bösen "Ossis" herzuziehen. Kein Deut schlechter als die Onkelz, obwohl die natürlich unantastbar sind und ohne die es die Goitschen agr nicht geben würde. Texte mitten aus dem Leben und mit ordentlich Wut im Bauch.

    So Rockt nun mal der Osten. Es War eine Geile Zeit. Bester Song für mich Simson. Bei uns in Thüringen fahren sehr viele Jungendliche sogar wieder unsere gute alte Simson ! LG aus Thüringen.

  • Vor 17 Stunden

    Musik für die Versager unter den Ostdeutschen, die sich in das DDR-Versagersystem ihrer Versagerväter zurückwünschen und dabei selbstverständlich, wie jeder andere blödgesoffene Stammtischversager auch, glauben allen anderen überlegen zu sein.
    Ich ertrage das selbsternannte Versagervolk hier langsam echt nicht mehr.

    • Vor 16 Stunden

      Gibt schon so ein paar ewige Wendeverlierer ... ;)

    • Vor 16 Stunden

      Wenn die Jugend im Osten so war, kann ich nur mein herzlichstes Beileid ausdrücken.
      Wenn das die Ostdeutsche Antwort auf die Onkelz sein soll, glaub ich das sofort.
      Nur … ich kenne viele ausm Osten, die sowas niemals abgefeiert hätten oder heute abfeiern würden. Genauso wie lange nicht alle Wessis die ach so bösen Onkelz vergöttert haben.
      Sowas zu behaupten ist eine Vereinnahmung der Allgemeinheit durch die eigene beschränkte Sichtweise.

    • Vor 5 Stunden

      @gizmaniac
      Um eben nicht die Allgemeinheit zu vereinnahmen, schrieb ich ausdrücklich "für die Versager unter den Ostdeutschen" und nicht "die ostdeutschen Versager".
      Kleiner, aber entscheidender Unterschied.

      Ist hier aber eine gerne gewählte Lesart des selbsternannten Volks, dass sie alles was man speziell ihnen ankreidet auf alle Ostdeutschen umdeuten und leider sind nicht wenige von der Hälfte, die tatsächlich nicht rechts oder Wagenknecht links ist, doof genug, das zu glauben.

    • Vor 2 Sekunden

      @Theory9
      Tausendmal sorry!!!
      Ich wollte meinen Kommentar unter den Quatsch von „Erzbaron“ schreiben.
      Finde deinen Schrieb voll passend und er trifft es auf den Punkt.
      LG Giz