laut.de-Kritik
Chabos wissen, was ein selbst-ironisches Distinktionsmerkmal ist.
Review von Max BrandlDer Versuch, einem Haftbefehl-Werk auf der inhaltlichen Ebene zu begegnen, ist wenig sinnvoll. Es erwartet einen nicht viel mehr als beim – Cro sei Dank – weniger werdenden Straßenrap-Mittel: radikale Überhöhung des Selbsts bei synchroner Herabsetzung aller anderen. Unzählige sich, wenn überhaupt, nur mittelprächtig reimende Gewaltandrohungen, dazu Schießeisen sämtlicher Kaliber, Pulver jeglicher Färbung, Damen aller Herren Länder und eine Weltsicht, so dichromatisch wie der obligatorische Benz im Video: Schwarz oder weiß. Friss oder stirb. Alles oder Nix.
Dennoch hebt sich "Blockplatin" prägnant vom deutschen Genre-Durchschnitt ab. Wie? Vermittels Kunstgriff: Haftbefehl hat dem Streetrap der Post-Aggro-Ära die erste manifeste Innovation beschert. Er selbst etikettierte das skurrile Amalgam aus multinationaler Rechtsbrecher-Nomenklatur, kleinem Türsteher-Latinum und ungeschönter Bahnhofsviertel-Diktion, aus dem er seine indiskreten Vorträge zusammentackert, einst "Kanackis". Andere wiederum nennen es recht treffend "herrlich undeutsch".
Im Zusammenspiel mit seiner mal aggressiv bohrenden, mal relaxt eiernden, aber stets unverwechselbaren Stimme und einer reichlich unorthodoxen Betonung vieler Passagen entsteht ein so befremdliches wie faszinierendes Spiel mit der deutschen Sprache. Wo böse Zungen von 'Vergewaltigung' sprechen, bevorzuge ich den Terminus 'Remix'. Vielen Dank übrigens an dieser Stelle für den vollständigen Verzicht auf Autotune.
Fest steht: Haftbefehl hat für sein Schaffen einen verbalen Duktus kreiert, der auf den einen anziehend, auf den anderen abstoßend wirkt. Das ist auch gut so, denn Konsens fördert im Kunstbetrieb meines Wissens nur selten Großartiges zutage.
Hat sich das Gehirn dann erst einmal auf den Kauderwelsch eingestellt, tut "Blockplatin" an vielen Stellen genau das, was ich von einer Rap-Platte erwarte: Sie unterhält. Im vorliegenden Fall nicht intellektuell, aber gefühlt. Denn Haftbefehl gehört – vorsätzlich oder nicht, egal – zu jener seltenen Gattung Straßenrapper, bei der dem vernunftbegabten Hörer schnell klar wird, dass hier ein Schauspieler seinen Job ernst nimmt, seine Rolle jedoch nur bis zum dazu notwendigen Grad.
Herkömmliche Rap-Qualitätskriterien wie Reimkettenkomplexität, Doubletimegeballer und sonstige Wortspielakrobatik – von Tiefgang ganz zu schweigen – schlichtweg für irrelevant erklären und dabei nicht eine Sekunde konstruiert oder künstlich erscheinen: Darin steckt jene 'Authentizität', jenes Selbstbewusstsein, das letztlich auch in höheren Bildungsschichten und elitären Hipster-Zirkeln ganz individuellen Anklang findet: Chabos wissen, was ein selbstironisches Distinktionsmerkmal ist.
Hinzu kommt, dass der Offenbacher sich diesmal recht experimentierfreudig zeigt: Das entspannt vor sich hinwabernde und verspielt piepsende "Late Checkout" etwa, eine zurückgelehnte Hommage ans Leben im Hotel, zeichnet ein vergleichsweise amüsantes Bild des erreichten Status. "A La Elvis Press Play" hingegen darf mit dem wundervoll verspulten Beat von DJ Frizzo und einem nebulös dazuquäkenden Haftbefehl als das akustische Pendant zum Plattencover gelesen werden: Einstürzende Neubauten.
Ernsthafte Weiterentwicklung beweist Haftbefehl spätestens bei "Mann Im Spiegel", dem stillen Hit des Albums. Hier hievt er seine Markenzeichen-Raps endgültig aufs nächste Level. Getragen allein von ein wenig irrlichterndem Klaviergeklimper und dumpfer Herzschlag-Rhythmik reflektiert ein gealtertes Ich das zurückliegende, letztlich missglückte Leben. Tun andere Milieurapper dergleichen, löst das bei mir schnell Fluchtreflexe aus. Macht Haftbefehl das, ist es schlichtweg sensationell – allein schon des kompliziert ausgebremsten Vortrags wegen.
Klassisch dick aufgetragen wird hingegen immer dann, wenn Haft seine Azzlack-Entourage mit in die Aufnahmekabine bittet: Zusammen mit seinem Bruder Capo, Aspirant Veysel sowie Celo & Abdi, die dem Chef in Sachen "Hinterhofchargon" in rein gar nichts nachstehen, stellt nicht zuletzt "Locker Easy" einen astreinen Posse-Banger, den Abaz mit seinem adäquat vorwärts wabernden Synthie-Beat perfekt eintütet.
Immer, wenn Haft alleine über die härteren Stationen der 'Blockseite' rattert, entsteht genau jene Art Songs, für die man ihn seit der ersten Stunde liebt – oder eben nicht: Das ist bei der stereotypischen Hymne "Generation Azzlack" so und das wäre auch beim Meme gewordenen Überhit "Chabos Wissen Wer Der Babo Ist" so geblieben, hätte man nicht ausgerechnet diese Nummer für die Albumversion via Feature gefaridbangt.
"Blockplatin" mit seinen zweimal 35 Minuten als Doppelalbum anzupreisen, ist indes unnötiger Marketing-Quatsch, zumal man an einer etwas strengeren Songauswahl ohnehin gut getan hätte: Wären einige der deutlich schwächeren 'Platinseite'-Tracks, wie zum Beispiel die autobiographische Luftpumpe "Erst Der Himmel Ist Limit" oder die triviale Schnellfickerhose "Nur Du Bist der Baba" ersatzlos rausgeflogen, Haftis Drittling machte einen deutlich konsistenteren Gesamteindruck.
Dennoch stellt "Blockplatin" seine bis dato beste, weil ausgefeilteste Arbeit dar, die die jeweiligen Stärken ihrer Vorgänger "Azzlack Stereotyp" und "Kanackis" vielerorts erfolgreich aufaddiert. In der Gesamtwertung wirft "Blockplatin" den Bordstein für das noch junge Straßenrap-Jahr 2013 jedoch nur halbhoch in Richtung Skyline.
274 Kommentare mit 19 Antworten
mmhhh... wenn sogar laut.de ein Haftbefehl Album nicht verreißt, dann sollte man sich das Teil mal zu Gemüte führen.
brandls reviews sind mit vorsicht zu genießen
@Garret (« brandls reviews sind mit vorsicht zu genießen »):
da hast du recht, dani kennt sich mit hip hop besser aus und is auch schreibtechnisch überlegen
Was ihr alle labert. Album des Jahres ist jetzt schon von SSIO - und das obwohl es erst übermorgen erscheint!
joa, ok, könnte sein.. Aber nur vom Entertainment-Faktor her.
Dieser Kommentar wurde vor 11 Jahren durch den Autor entfernt.
motrip ist so ein typischer feature-rapper. zerreißt bei features meist den main-act aber überzeugt noch nicht auf albumlänge. genetikk sind eintagsfliegen
Doch, ich finde schon, dass MoTrip auch auf Albumlänge überzeugt hat und das wird er sicher wieder tun. Genau wie Genetikk. Meine Einschätzung.
Da hat unser lauti noch ein bissl anders über SSIO gesprochen als er es heute tut.
War ja mit Xatar nicht anders. Wahrscheinlich wusste er damals noch nicht, dass die in Bonn ansässig sind.
Letztens gehört. Richtig Stark. Auch die Platin-Seite.
Ungehört 1/5.
Hängt das etwa mit dem Kommentar über dir zusammen?
Dieser Kommentar wurde entfernt.
Ich war da eigentlich mit meinem Strassenraphaterspacko-Account eingeloggt, todesposter. Pardon.
Ich frage mich in meinen stark beeinflussten Momenten immer noch ob das jetzt stimmt oder nicht