laut.de-Kritik
Die Schlagertransformation des Deutschrap.
Review von Dominik LippeHavas Aufstieg verläuft rasant. Ihre Debütsingle "Heartbreaker" erschien im Frühjahr 2019, ihr erster Nummer-eins-Song "Kein Schlaf" aus Nimos "Nimoriginal" feiert gerade seinen ersten Geburtstag. Das sollte nicht überraschen, immerhin wirft sie einiges in die Waagschale. Sie ist eine solide Sängerin, lässt aber auch eine gewisse Rap-Sozialisation durchscheinen. Im Gegensatz zu einigen Schlagzeilen dominierenden Kolleginnen reduziert sich Musik bei ihr nicht auf ein reines Gimmick. Zudem verzichtet sie für "Weiss" auf die Genre-Zugpferde, um den Fokus auf sich selbst zu richten.
"'98 geboren, meine Mama und ich, nur mein Bruder war da, mein Vater nicht", gibt sie sich zum Einstieg kurzzeitig nahbar. Doch die private Atmosphäre erweist sich schnell als vorgegaukelt. Statt sich als Person greifbar zu machen, versteigt sich Hava in Wahnvorstellungen: "Ich bin umgeben von Haien." Die schon von etlichen Rappern bediente Paranoia wirkt unglaubwürdig und lässt damit schon einleitend erahnen, dass einer ihrer wahnhaften Kollegen die Finger mit am Stift hatten: "Nein, ich vertraue keinem, innerlich kalt, Seele ein Stein."
Der Verdacht erhärtet sich im weiteren Verlauf, dass die Texte entweder andere Urheber haben oder auf ein zuvor kalkuliertes Publikum zugeschnitten sind. "Mitten in der Nacht, sag' mir nur, wohin du gehst, wo du schläfst", gibt sie zu einer Art seichtem R'n'B in "Fehler" die brave Hausfrau, die ungeduldig auf den Liebsten wartet: "Will dich einmal nur für mich." Als spreche hier nicht die erfolgreiche Musikerin, sondern eine Zeitreisende aus den 1950er Jahren. So gesehen konsequent, wohin sie die Suche nach der schuldigen Person führt: "Bin ich der Fehler?"
Dass moderner Hip Hop der einen oder anderen zuckenden Hi-Hat zum Trotz nicht ihr angestrebtes Genre ist, offenbart sich spätestens ab dem dritten Song. "Auf Der Flucht" reiht sich zwischen Helene Fischer und Vanessa Mai ein, deren Schlager-Hits sich mit dem Attribut 'flott' erschöpfend beschreiben lassen. Vollprofi Jumpa bastelt Hava die dafür erforderlichen Instrumentals. "Ziele" visiert mit Dancehall den Dancefloor an. "Krank" und vor allem "Timeout" lassen sich dank großer Geste und tanzbarem Unterbau ohne Weiteres beim Eurovision Song Contest einreichen.
Ganz im Wertekosmos des Rap verharrt sie dagegen in den meisten Texten, wenn sie etwa in "Nasla Sam Se" beichtet: "Damals hatte ich nichts, ja, ich fuhr mit der Bahn." Potztausend, zum Glück konnte sie diesen unhaltbaren Zuständen entkommen. Auch in "Timeout" freut sie sich über den erfolgreichen Klassenaufstieg: "Ich hab' Hits, damals nichts, heute Promi." Hava verkörpert den gleichen Markenfetisch wie ihre männlichen Kollegen, nur die Modelle unterscheiden sich mitunter. "Hab' die Tank und mein Boy die Day-Date am Arm", erfolgt in "All Day" der Uhrenvergleich.
"Mein Leben ein Albtraum, du hast mich aufgeweckt", bekennt Lebensgefährte Dardan auf dem gleichfalls klischeehaften "Farben", der wohl die Gossip-Nachfrage stillen soll: "Amore, Amore, deine Liebe ist wie eine Droge." Zum Ende hin steigert sich Hava immer weiter in Zeilen der Abhängigkeit hinein. "Jede Nacht ohne dich, ja, es lohnt sich nicht. Ich kann nicht ohne dich", fällt "Nimm Mich Mit" noch vergleichsweise moderat aus, bevor sich die Sängerin in "Schwerelos" komplett selbst aufgibt: "Du bist für mich Gift, nimmst mir meinen Schmerz, aber auch den freien Willen."
Schließlich kulminiert das Album in "Nichts Gesehen", das alle Mankos in einem der absurdesten Stücke des Jahres vereint. Die gebürtige Hammerin verpasst die Chance, das auf sie gerichtete Rampenlicht zu nutzen, um sich als eigenständige Persönlichkeit zu profilieren. Jeder Aspekt von "Weiss" wirkt gleichsam blank poliert, vom glattgebügelten Sound über die charakterarmen Songtexte bis zum porenfreien Coverfoto der Sängerin. So leistet Hava mit ihrem Debütalbum letztlich nur der Schlager-Transformation des Deutschrap Vorschub.
2 Kommentare mit 4 Antworten
Sprecht Mal lieber über das neue Album von Döll
Frage mich echt, was sie in Playlists wie Modus Mio oder Deutschrap Brandneu macht. Für mich ist das 100% lupenreiner Pop. Und ziemlich seichter und kalkulierter noch dazu.
Für die musikalische Untermalung der nächsten Insta-Story von irgendeiner 16-Jährigen reichts zumindest.
Dieser Kommentar wurde vor 3 Jahren durch den Autor entfernt.
Hätte eine Erklärung aus BWL-Sicht anzubieten, weiß aber nicht, ob das der Kunst gerecht wird.
Dann ist sie doch bei Deutschrap Brandneu genau richtig... Welcher Mudikhasser hört denn gern vorgefertigte Deutschrap Playlists?
Schade, dass solche Künstler ein derart starkes Team hinter sich haben. Zugepinselt bis obenhin die Alte, hat nichts zu erzählen und der Gesang/Rap ist auch eher Mittelklasse. Wie wärs, dass man mal Rapper;innen pusht, die auch was zu sagen haben? Nicht eine Zeile von diesem Album bleibt bei mir hängen.