laut.de-Kritik
Unaufdringlich, doppelbödig und bittersüß.
Review von Sven KabelitzFickt Euch, Herrenmagazin! Seit mittlerweile zwei Tagen versuche ich herauszubekommen, aus welchem Song ihr Euch den "Noch im Schutt / noch im Staub / noch im Stillen / bin ich dein"-Refrain in "Ehrenwort" geborgt habt. Ihr raubt mir den Schlaf, aber ich komme einfach nicht drauf. Eine Umfrage unter Freunden ergab, dass ihr euch da definitiv bei den Beatles, Elton John, The Smiths, Wolfmother, The Sisters Of Mercy, Oasis, Bap oder Revolverheld bedient habt. Unser Kampf dauert an. Ich hoffe, Ihr schämt Euch wenigstens ein bisschen, uns so dermaßen zu quälen.
Vielleicht liegt es aber einfach daran, dass Ihr eine allgegenwärtige Melodie gewählt und in ein schickes Kleid gesteckt habt. Ein hinterlistiger Fremder, der sich vom ersten Durchgang an als guter Freund aus Jugendtagen ausgibt. "Es ist so wie ein Verräter, der die Wahrheit spricht", singt Ihr. Noch ruhiger als auf "Das Ergebnis Wäre Stille" klingt Euer lieblicher Indie-Pop nicht nach Tocotronic, Thees Uhlmann oder Element Of Crime, sondern viel eher nach den erwachsen gewordenen Echt oder den sträflich unterschätzten Virginia Jetzt!. Sanfte Klaviertöne und wonnige Streicher ersetzen die garstigen Gitarren von einst. Für Eure Wandlung vom Herrenmagazin zur Brigitte habt Ihr gerade einmal vier Alben gebraucht.
Obwohl ihr Euch an den Hörer schmiegt, verliert sich Euer vom Klavier getragenes Album nie in Belanglosigkeit. Ihr bleibt sympathisch, intelligent und mitreißend. Deniz Jaspersens flauschige Stimme scheint wie für die neue Umgebung geschaffen. Unter der samtweichen, froh gelaunten Oberfläche des forschen Ohrwurms "Halbes Herz" lauert die böse Gesellschaftskritik. Feine Chöre verzieren den Purple Schulz-Pop von "Gärten". Die von Pathos durchdrungene Melancholie in "Käferlicht" lohnt sich alleine schon wegen des drolligen Songtitels. Das ist alles nicht neu, nicht weltbewegend, aber über weite Strecken liebenswert und pittoresk.
Die wenigen Ausflüge in Eure rockende Vergangenheit bewahren "Sippenhaft" davor, in hasenherziger Kitsch-Posie zu versinken. Das desillusionierte "Wir Bluten Aus" holpert und poltert in Richtung eines hymnenhaften Chorus': "Wir bluten aus und sind nur für den Staub bestimmt." Das schnaufende "Alles So Bekannt" wirkt in der galanten Umgebung fast wie ein Fremdkörper. Das Klavier schweigt, ein verzerrter Bass tritt an seine Stelle, der Chorus gleicht einem Aufschrei. "Will keine Gläser heben, ich schlage keine Hand / Die Zeichen, die sie geben sind alle so bekannt / Es ist kein Meer der Weisheit, sondern der Beckenrand / Das ist dein eigener Kleingeist und alles so bekannt."
Im reduzierten Titelstück zieht Ihr die Aufmerksamkeit ganz auf den Gesang. Zeitweise nur von Klavier und Bass getragen und um zaghafte Gitarrenakkorde und Schlagzeug erweitert, wirkt schon das zarteste Detail dieser Ballade überlebensgroß. "Wo wurde ich da nur reingeboren?", singt Deniz resigniert.
Seit "Atzelgift" habt Ihr Euch kontinuierlich weiterentwickelt. Mit "Sippenhaft", mit dem es Euch nach dem Aus von Delikatess Tonträger zum Grand Hotel van Cleef-Label verschlägt, gelingt Euch ein unaufdringlicher, bittersüßer und doppelbödiger Longplayer. Am Abgrund zum Schlager tänzelnd, bietet Ihr erwachsene Romantik. Woher ich den Refrain aus "Ehrenwort" kenne, werde ich eines Tages auch noch herausfinden. An diesem Tag verzeihe ich Euch die Qualen - und Ihr mir vielleicht die Brigitte, Purple Schulz und das unflätige "Fickt Euch" zum Einstieg.
2 Kommentare
Beste Band. Neues Album etwas ruhig, aber ansonsten stark.
Das kommt davon, wenn man jedes Jahr erneut Deutscher Meister in der Disziplin "Vergleichen und Einsortieren" werden will. Hoffentlich bleibst du noch lange schlaflos, har har!