laut.de-Kritik

Ein Ungetüm aus Punk, Hip Hop, Dub und Grime.

Review von

Jamie T.s Debütalbum war noch nicht erschienen, da waren sich Feuilleton-Redakteure von der Zeit bis zur Süddeutschen Zeitung bereits einig: Der Kerl ist der Hype des frühen Jahres 2007. "Wunderkind" jubelten die einen, "Pop-Sensation" keuchten die anderen, Emotionen kochten höher als im Radrennstall Telekom. Von einem Indielabel in auflagenstarke Tageszeitungen; dazu braucht es neben dem NME-Hype einen infektiösen, respektlosen, irgendwie neuen Stilmix. Dass im Falle Jamie T. oft der Name Mike Skinner fällt, sollte einem Newcomer auch kein Kopfzerbrechen bereiten.

Nun ist sein Sound zwar weniger im R'n'B verwurzelt als es die Skinner-Oden sind, den Vergleich muss sich der 20-jährige Senkrechtstarter aber noch ein Weilchen anhören. Beiden Storytellern gemein ist nämlich eine äußerst schnoddrige MC-Attitüde, mit der sie ihre Alltagsgeschichten vortragen, und abgesehen von einer gewissen Ähnlichkeit ihrer Freizeit-Interessen sehen beide nicht nur keinen Grund darin, ihren Dialekt zu begradigen, sie zelebrieren ihn.

Jamie T. setzt diesem stolzen Eigensinn auf "Panic Prevention" derart die Krone auf, dass er ab und zu Hip Hop-übliche Skits zwischen seine Songs platziert, die ihn mit Musikerkollegen im Studio parlierend in Szene setzen. Zwar büßt diese Idee ihren Charme mit der Zeit etwas ein, gleichzeitig legen eben diese Skits vielleicht am besten offen, wo der Reiz an Jamie T. liegt: in seiner ungezügelt-juvenilen Hau-Drauf-Haltung. Und die kann er sich leisten: Ob Jamie mit einem Backgroundchor über Akustikgitarren schnoddert ("Brand New Bass Guitar"), vergeblich versucht, hohe Gesangstonlagen zu beherrschen ("Salvador") oder der belgischen Biermarke Stella Artois seine Aufwartung macht ("Stella"); seine durchdachten Reime über dem kruden DIY-Sampler- und Gitarrenmix folgen einem eigenen Style und ehren doch immer mal wieder The Clash, The Specials und Dizzee Rascal. Das gefiel schließlich auch den Beatsteaks, die den Punkrock-Styler als Support für ihre Frühjahrstournee buchten.

"Bang Bang Anglo Saxons At The Disco" nannte der Jungstar seinen Stil bereits in antizipatorischer Ungeduld. Und die Angelsachsen sind tatsächlich auf dem Vormarsch: Ähnlich Hard-Fi und den Mystery Jets steht Jamie T. aus dem Vorort Wimbledon für eine neue Musikerwelle, die sich nicht aus dem Moloch Central London hochgestrampelt hat. Irgendwo in der Tristesse urbaner Beton-Landschaften sammelte der schlaksige Twen seine Texte auf der Straße ein, die sich dann folgerichtig um Geldmangel und Langeweile drehen, um das Leben mit Frauen und das Leben ohne, um versoffene Wochentage und versoffene Wochenenden.

Man kann es wie britische Kritiker einfach Thamesbeat nennen, oder man versucht, sich anhand existierender Stile wie Hip Hop, Grime, Punk, Dub, Pop und New Wave dem Phänomen anderweitig zu nähern. Oder man lehnt sich einfach zurück und lauscht dem Südwest-Londoner, staunend, wie er plötzlich Bill Haley und Billie Holiday in einem Text unterbringt oder wie er einen Song mit nur zwei Akkorden zum Glühen bringt ("Salvador"). Und mit ewig gültigen Jugendslogans wie "Living life in the fast lane" kriegt Jamie dann nicht nur Feuilleton-Redakteure rum, sondern lässt auch den müden Online-Kripsler die Fäuste in die Luft werfen.

Trackliste

  1. 1. Brand New Bass Guitar
  2. 2. Salvador
  3. 3. Calm Down Dearest
  4. 4. So Lonely Was The Ballad
  5. 5. Back In The Game
  6. 6. Operation
  7. 7. Sheila
  8. 8. Pacemaker
  9. 9. Dry Off Your Cheeks
  10. 10. Ike & Tina
  11. 11. If You Got The Money
  12. 12. Alicia Quays

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