laut.de-Kritik
Die Henne kräht aufs Neue ihre Rock'n'Roll-Attitüde.
Review von Laura Weinert"Haut Und Haar", das ist tatsächlich das Erste, was man denkt, betrachtet man das Cover der neuen Jennifer Rostock. Ins Auge sticht – natürlich – zuerst Sängerin Jennifer Weist, die ihr bis auf Körperkunst nacktes Dekolleté in die Kamera hält, ihre seit neustem roten Haare wehen wild ins durchlöcherte Gesicht. Ihre vier Jungs stehen, richtig, dahinter. Im Booklet finden sich ranzige Kneipenaufnahmen, Haut, Haare, Alkohol, Posing und im Centerfold gleich drei Close-Ups der Frontfrau. Und sie erkennt es selbst: "Ich will mit diesem Schiff untergehen, denn ich bin der Kapitän" sind die ersten Worte der durchwachsenen Platte.
Dabei versprüht der Opener noch rotzigen "Kopf Oder Zahl"-Charme und klingt mit einem Space-Intro tatsächlich nach der Neo-Neuen Deutschen Welle, die Jennifer Rostock anscheinend gerne sein wollen. Treibende Synthierock-Momente wie diese und die Vorab-Single "Mein Mikrofon" sind eindeutig die Höhepunkte des Drittlings. Weist spielt nett mit Worten und Stimme und ihr derb-rotziges Krakeelen geht nicht einmal auf die Nerven, ebenso "Fuchsteufelswild", wo sie einer Nina Hagen erstaunlich nah kommt. "Meine bessere Hälfte" ist eine Ode an die Selbstzerstörung, die vom Sound sogar alle Wir Sind Helden-Vergleiche rechtfertigt und durchaus positiv heraus sticht.
Bedauernswerterweise gibt es aber auch die andere Seite der Medaille, die zähen und austauschbaren Stücke. "Insekten Im Eis" oder "Der Horizont" klingen wie ein noch schlechterer Abklatsch des eigenen Twilight-Beitrags "Es Tut Wieder Weh". Twilight-Niveau und drunter bietet auch der Text von "Zwischen Laken Und Lügen", ein bemühter Versuch, laszive Töne anzuschlagen. "Es War Nicht Alles Schlecht", ein Feature mit den Mathcorelern von War From A Harlots Mouth, stellt mit Growling-Duett den peinlichen Tiefpunkt dar.
Der Rest der Tracks bleibt in belanglosem Poprock-Emobrei verhaftet, der gerne rebellisch wäre, bei dem die Strophen jedoch häufig mehr versprechen als der Refrain schlussendlich hält. Alles muss immer noch richtig heftig Rock'n'Roll sein, als VIVA-Mainstream möchte man auf keinen Fall daher kommen. Dass sie allerdings in eben diesem Pfuhl baden, merken JR scheinbar nicht. Zu konstruiert klingt die Attitüde, als dass man ihnen den Kneipenranz wirklich abnehmen könnte. Das Gewicht liegt auf den schmalen Schultern der Sängerin. Deren Heroisierung geht dann irgendwann aber auch ziemlich auf den Senkel.
Was 2008 bei "Ins Offene Messer" noch als charmant-frech und nette Abwechslung zu braven Deutschpoppern wie Silbermond und Juli galt, ist bis zur Übersättigung ausgereizt, sämtliche Originalität ist längst von Medien und Fans totgefeiert worden. Hört man noch einmal in den starken Opener hinein, gibt die Weist uns aber doch noch einen nützlichen Tipp: "Ich pfeif' drauf, ich pfeif' mir lieber noch 'nen Sekt rein."
21 Kommentare
Kann locker mit 'Ins offene Messer' mithalten finde ich.
Ich mag die leichten Elektroeinflüsse in vielen der Lieder, allerdings fehlt mir manchmal der Rotz im Song ein bisschen.
Und Jennifer Weist sieht einfach nur überragend gut aus!
"ES war nicht alles schlecht" finde ich persönlich ziemlich geil - auch oder gerade wegen der Growling-Parts.
Was hat die denn gegen Taktloss?
Die Plattenkritik ist sicher fair.
Schließlich ist laut.de eher für den Massengeschmack unterwegs.
Aber wenn man diese Band schon ständig mit NDW vergleicht (an deren Stilelementen sie sich ja auch bedienen - finde ich gut!),
dann sollte man aber auch bemerken, dass sie nicht nach ein, zwei Alben einfach so in der Versenkung verschwunden sind, wie die meisten NDW-Vertreter.
Mir kommt es außerdem nicht so vor, als wenn da eine Attitüde künstlich herausgehangen würde, um eine bestimmte Käuferschicht anzusprechen.
Grade die Sängerin ist anscheinend völlig von ihrem Lebensweg überzeugt (ob das nun richtig oder falsch sein mag, darüber kann man sich streiten).
Überhaupt werden hier auf laut.de inländische Bands und Solokünstler, wie zum Beispiel die Boxhamsters und Rummelsnuff ein wenig stiefmütterlich behandelt,
auch wenn sie ähnlich interessante Sachen machen, wie die Goldenen Zitronen, Die Sterne, Tocotronic.
Weniger massenkompatibel, weniger unverbindlich, weniger glatt.
Aber dem Weidner - der nun wirklich platt ist - wird viel Raum eingeräumt.
Ganz klar hatten die Böhsen Onkelz ein paar Highlights.
Und aufgrund der früheren Aversionen gegen die ist es nur fair, wenn man deren Verdienste an der deutschen Musik heutzutage würdigt.
Auch das "letzte" Album von Knorkator wurde gar nicht mehr erwähnt/kritisiert.
Mir scheint es hier teilweise an Offenheit und Humor zu fehlen - naja, typisch deutsch, was will man erwarten?
Also ich muss ja sagen, das letzte Album hat mich wirklich nicht umgehauen und das hier tut es auch nicht. Es sind zwischendurch immer ganz gute Songs dabei und ich mag die Stimme der Sängerin wirklich, nur der Biss, der mich beim ersten Album noch weggehauen hat, ist musikalisch wegeblieben. Ich habe immer das Gefühl, sie konzentrieren sich zu sehr darauf, die Texte so komplex wie möglich zu machen und der musikalische anspruch wird dabei immer geringer. Die erste Single aus diesem Album war mir schon viel zu poppig und obwohl ich mich eigentlich immer freue, wenn sich Bands verändern und entwickeln, muss ich sagen, nach "ins offene Messer" haben mich Jennifer Rostock nicht mehr wirklich beeindruckt. Ich hoffe, irgendwann kommt wieder etwas von ihnen, das richtig reinhaut.
LAUT UND RÜBEN
Ärgerlich: Gleich beim ersten Mal die sperrigen Jennifer Rostock. Die passen in keine Schublade.
Genau: Die neue Haarfarbe. Das ist wichtig. Beim nächsten Gang zu meiner Fritöse werde ich NDW - neue Dauer-Welle machen.
Diese blöde Kuh. Damals im Konfirmandenunterricht hat der junge Pastor immer die Jennifer abgefragt. Dabei hab ichs damals schon alles besser gewusst.
usw. usw. Zusammengefasst Frau Weinert: Die Musik von JR nicht mögen, sei Ihnen gegönnt. Aber das was hier in Ihrem Aufsatz steht, ist m.E kein Review. Wie man es machen kann, haben die Kollegin-Kollege bei MOTOR.DE. gezeigt.