laut.de-Kritik
Jede Silbe eine Kostbarkeit.
Review von Manuel BergerEs gibt Alben, bei denen sich sofort das Gefühl einstellt, einen künftigen Klassiker in Händen zu halten. "New Dreams" ist so ein Fall, wenn auch weniger im Sinne bahnbrechenden Neo-Mainstreams. Eher als Werk, das man aufgrund seiner heimlichen künstlerischen Größe wertschätzt, zu dem man sein Leben lang immer wieder gerne zurück kehrt, um sich zu erinnern. Mehr noch: Beim Hören scheint völlig klar, dass JFDR ein Fixstern in der Alternative Musiklandschaft der Zukunft sein wird.
Alles andere wäre auch aufgrund des bereits jetzt beeindruckenden Backkatalogs der 25-jährigen Isländerin eine ziemliche Überraschung. Zwar veröffentlicht Jófríður Ákadóttir mit "New Dreams" erst ihr zweites Album als Solokünstlerin unter dem Namen JFDR, doch ihr neuntes insgesamt. Bereits im Alter von 14 Jahren formte sie gemeinsam mit ihrer Zwillingsschwester Ásthildur das bemerkenswerte Indie-Folk-Duo Pascal Pinon. Mit 16 gründete sie das Electropop-Trio Samaris, zu dessen Superfans unter anderem Björk zählt.
Als JFDR vereint Ákadóttir nun die Welten beider Bands. In einem faszinierenden elektroakustischen Klangexperiment prallen Neofolk, Dream Pop und Avantgarde aufeinander. Was sie auf ihrem 2017 erschienenen Solodebüt "Brazil" schon skizzierte, baut sie nun weiter aus und wagt Vorstöße in verschiedene Richtungen.
So erklingen einerseits mehr organische Instrumente – sicher auch eine Konsequenz der mit Streichquartett aufgenommenen EP "White Sun Live. Part I: Strings". Bei "My Work" und "Shimmer" dienen sparsam eingesetzte elektronische Sounds einzig zur subtilen Ausgestaltung des Hintergrundes, während im Fokus in klassischer Singer/Songwriter-Manier Akustikgitarre und Gesang stehen. Ähnliche Regeln gelten bei der Klavierballade "Falls (No Wonder)". Zwar wehen einige leise Noise-Sprenkel durch den Song, einen Großteil der Atmosphäre macht allerdings das Spiel mit Hall aus. Teils scheint dieser auf natürlichem Wege im Aufnahmeraum erzielt worden zu sein.
Andererseits deutet Ákadóttir Potenzial für modernen Pop an. In "Drifter" schwebt sie über Synth-Wolken, spielt mit Vocal-Loops und Samples und ein Bassbeat schleicht heran. Statt aber wie sonst gesanglich Haken zu schlagen und ähnlich wie Björk mit Erwartungen der Hörer zu spielen, entscheidet sie sich für eine stringente, idyllische Hook. Trotzdem bewahrt sich JFDR auch hier ihre Eigenständigkeit. Der Schlüssel dafür ist neben maßgeschneiderten Sounddesigns, für die Ákadóttir und ihr Co-Produzent Josh Wilkinson bisweilen auch Umgebungsgeräusche verarbeitet haben, vor allem ihre Stimme. Ákadóttir singflüstert acappella-tauglich in hohen Lagen und behandelt jede Silbe als fragile Kostbarkeit. So unaufdringlich ihre Vortragsweise sein mag, so sehr zieht sie damit in ihren Bann. Das erklärt auch die reduzierten Arrangements. Opulenz würde die Wirkung der unvorhersehbaren Windungen ihrer Melodien schmälern.
Die Wurzeln dieser Ausdrucksstärke liegen in winzigen Details. Ein Beispiel: Ákadóttir selbst betrachtet den Buchstabe 's' als Gamechanger. "Der Mischer wollte ständig einen De-esser einsetzen, aber ich hasste das. Ich wollte unbedingt meine Ss behalten und sie stark und scharf haben. Es ist Teil des isländischen Akzents", erklärt sie. "Ich wiederholte unermüdlich: Weniger De-esser. Weniger De-esser. Mehr ess." Die Zischlaute ziehen sich als eisblauer Faden durchs Album, als wollte JFDR damit kühle Windböen ihrer Heimat einfangen.
Als einzige Schwäche könnte man "New Dreams" attestieren, dass die Stücke manchmal zu sehr um den Gesang kreisen und das Songskelett vernachlässigen ("Shimmer"). Allerdings liefert JFDR auch genügend Gegenbeispiele, etwa das zuvor erwähnte "Drifter". Mit wenigen musikalischen Bausteinen entfaltet sie in "Taking A Part Of Me" eine irre dynamische Bandbreite und kombiniert stimmliche Ruhe mit einem nervösen Electrobeat. "Think Too Fast" verströmt Gotye-artige Catchiness, während asiatische Pizzicato-Melodien auf Ambient-Noise treffen. Beide Stücke sind Paradebeispiele für unkonventionelle Kompositionskunst.
Es gibt wenige Songwriter, die in bewusst so reduziertem Rahmen operieren wie JFDR und dabei einzigartige Kulissen fernab gewöhnlicher Strukturen schaffen. Das beginnt beim Sounddesign und endet bei der überlegten Abstimmung auf den Gesang. Was "New Dreams" darüber hinaus so besonders macht, ist, dass es zu keinem Zeitpunkt aktiv Aufmerksamkeit einfordert. Frei von jeder Theatralik musiziert JFDR im Zweifel lieber noch ein bisschen leiser als zu laut zu werden. Man verstummt gerne, um zuzuhören.
2 Kommentare mit 5 Antworten
Ach, die singt auf Isländisch? Das ist aber interessant! Ach, die Björk mag sie? Das ist aber interessant! Ach, das ist so reduziert, intim, sanft und mit ganz vielen ASMR-Lauten produziert? Das ist aber interessant!
...?
Dieser Kommentar wurde vor 4 Jahren durch den Autor entfernt.
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Die Videos haben mich nicht besonders berührt, und der Text paßte zur Zielgruppe der Birkenstockfeuilletonleser.
Überwältigend zauberhaft.
was er sagt