laut.de-Kritik
Alle Wege führen gen Winterland.
Review von Ulf KubankeNeues Livematerial von Jimi? Oh Gott, nicht schon wieder mag so mancher zu Recht denken. Zu groß ist seit langem die Schwemme mindertwertiger Schrottscheiben des Gitarrengottes aus Seattle. Doch nun ist Schluss mit dem bräsigen 'Schönhören". "Winterland" hält endlich alles, was so manche Scheibe in der Vergangenheit vollmundig versprach.
Sechs magische Gigs zwischen dem 10.10. und dem 12.10. 1968; nur wenige Tage vor der "Ladyland"-Veröffentlichung. Simple Testkonzerte als Feuerprobe für neues Liedgut waren nie die Sache dieses empfindsamen Musikers. Zu wenig emotionale Resonanz aus dem Publikum. Konsequenz: Lediglich "Voodoo Chile (Slight Return)" findet seinen Weg auf die Playlist. Ein Wermutstropfen? Mitnichten. Das zu Schau gestellte Material der ersten beiden Alben plus einige Gimmicks liefert mehr als genug Futter für die ungeduldig gierende Fanmeute. Selbst unter den kritischen Anhängern Hendrix' genießen diese Sessions einen Ruf wie Donnerhall.
Dabei - und jetzt platzt die Bombe erst so richtig - gab es diese magische Rockmesse bislang nie vollständig zu erwerben. Gruselig tönende Bootlegs und ein allerhöchstens halbgar gemischter Zusammenschnitt mit gerade einem Drittel der Songs waren stets das einzig Erreichbare. Mehr Gefrierfach als Winterland. Auf den vier CDs des vorliegenden Boxsets findet man hingegen so gut wie alles relevante, was qualitativ rekonstruierbar war. Entsprechend atemraubend ist die Soundqualität. Man hört der Aufzeichnung keine Sekunde lang die 43 Jahre auf dem Buckel an.
Die Präsentation ist ebenfals außergewöhnlich; sogar für Jimis Verhältnisse. Falls es so etwas wie den perfekten Zeitpunkt gibt, dann liegt er für John Allen Hendrix sicherlich an diesen drei Tagen im ehemaligen Eiskunst-Ballroom des sonnigen San Francisco. Alles stimmt so sehr, wie es nie wieder in seinem künstlerischen Leben der Fall sein sollte.
Wir befinden uns im Herbst 1968. Ein von Rassenunruhen geprägtes Jahr nach dem sensationellen Monterey-Auftritt, wo erstmals überhaupt ein Axtmann sein Instrument on Stage rituell verbrennt. Der legendäre Woodstock-Auftritt wird erst in zehn Monaten stattfinden. Zwischen beiden Polen hat der Mann aus Washington DC seinen artistischen Zenith.
Zum einen war der gute Jimi noch nicht 24/7 total dicht. Ein entscheidender Vorteil. Andererseits hat JH sich seit dem letztjährigen US-Durchbruch ausgiebig mit Jazz beschäftigt; vor allem mitt dem Prince Of Darkness. Musikalische Entdeckungslust paart sich eindrucksvoll mit seinem kreativen und handwerklichen Talent. Hendrix gehört seit jeher zu den wenigen Rock- und Bluesmen, die den zeitgenössoschen Jazz komplett begriffen; ihn gleichwohl sinnlich statt akademisch nerdy in die Songs einfließen ließen.
Die Phantasie mit welcher Hendrix einfache Schemata und komplexe Strukturen miteinander vermählt, bewahrt diese Musik noch zahllose weitere Jahrhunderte vor Schimmel und Staub. Der nicht enden wollende Ideenreichtum solcher Brachialorgien wie "Are You Experienced" könnte noch heute bei nicht wenigen als trendy Indielärm durchgehen. Aus diesem Grund lohnt es sich, die einzelnen Shows trotz diverser Songüberschneidungen intensiv zu hören. Die jeweiligen Versionen varriieren improvisationsbedingt mitunter beträchtlich voneinander. Übermenschlich: Die hellseherische Fahigkeit von Drummer Mitchell († 2008). Nahezu jeden Seitenweg Hendrix' nimmt er intuitiv vorausahnend auf, als sei alles tausendfach geprobt. Für Abwechslung auf höchstem Niveau ist mithin gesorgt.
Die rohe lebendigere Version von Creams "Sunshine Of Your Love" läßt sogar das berühmte Original so alt aussehen, wie der betulich steife 'Weiße Jungs bringen es nicht'-Blues Claptons zuletzt wirkt. Wer dagegen bereits von Valleys Of Neptune das schicke "Hear My Train A Comin'" mochte, wird diesen elfminütigen Jam sicherlich innig lieben.
Der Saitenhexer selbst bietet überdies ein erfrischend nicht-sediertes Bild seiner Persönlichkeit. Das heitere und sehr kümmernde Palavern mit den Zuschauern zeigt den sensibel freundlichen Charakter des Cherokee-Halbblutes in selten gehörter Deutlichkeit. Ebenso das einige Wochen später entstandene Interview auf CD 4.
Auf einen zu lange verschütteten Höhepunkt möchte ich abschließend gern alle Freunde dews gepflegten Krachs aufmerksam machen. Die beiden alternativen Spielarten des "Star Spangled Banner" als Gegenentwurf zur Woodstock-Variante.
Statt ein bisschen Dekonstruktion legt die 'Experience' im Wintergarten gleich alles Resthymnische in sternenstaubigen Schutt und Asche. Vor allem Mitchell gibt den fies treibenden Herzkasper an den Fellen. Kein Überraschung, dass Miles Davis - der ungleiche Bruder in Geist und Libido - sich hier deutlich hörbar für sein Mammutwerk Bitches Brew bedient hat.
Fazit: Egal ob frischer Novize oder altgedienter Fehmarn-Veteran. An diesem zeitlosen Genie kommt einfach niemand vorbei. Alle Wege führen gen Winterland.
12 Kommentare
Ohne Worte...Two thumbs up!
Und ich hab immernoch kein Geld-.- Die sollen gefälligst veröffentlichen, wenn ich Geld habe!!!
Hm, kaufen...
Gonjasufi.... dann noch das "Grace" Album von Jeff Buckley und das Welcome to Sky Valley album von Kyuss, diesmal auf Vinyl^^
Schande, dass die "^^"-Leute nun auch die gute Musik kapern.
Und: ist das Album nicht eher von der Jimi Hendrix Experience? Möge der Kenner nochmal googeln.
natürlich ist es v d exp. steht auch im text.
nur heißt unser lautfach eben allumfassend jimi hendrix. das ist ja im plattenladen nicht anders, narc(ose?)