laut.de-Kritik

Fancy Statement für die Toleranz gegenüber vielen Musikstilen.

Review von

Joan Armatrading gab schon vor etlichen Jahren ihren Rückzug von der Bühne bekannt. Als ich mich unverhofft mit einem Stream ihres Albums "Consequences" beglückt sah: Riesenfreude! Aber auch Skepsis! Was kann da noch kommen?

Die Engländerin mit karibischen Wurzeln hat so ziemlich alle Substile im Kreuzungsgebiet von Northern Soul, Rhythm'n'Blues, Classic Rock, elektrischem Blues, Singer-Songwriter, angejazztem Rock im Stile von BAP, Folk, Reggae, Calypso und bluesy Pop erfolgreich ausprobiert. Dass sie für Überraschungen zu haben ist, bewies sie mit einem recht hartkantigen Album 2007, das ihr einen zweiten Karrierefrühling, damals im Alter von 56, und einen jahrelang vollgepfropften Tourkalender einbrachte, weil sie was wagte.

Die Anfangstakte von "Consequences" muten wie die brasilianischen Axé-Trommeln auf Paul Simons "Rhythm Of The Saints" an, auf The Killers getrimmt. Nachdem uns Joan in die Tropen eingeschleust hat, lugt hüpfender Keyboard-Pop à la Empire Of The Sun überraschend aus dem hart-perkussiven Arrangement hervor. "Natural Rhythm" strömt zielstrebig und ruht in sich. Gefällig, Glam, Ethnographie und doch auch straighter Rock'n'Roll. Gerade das Mysterium, dass sich das alles nicht so genau bestimmen lässt, macht Spaß.

Dieser Appetizer bereitet auf ein sehr freies Album vor. Durchaus, wie es jemandem so herausrutscht, der nichts mehr abliefern, nicht mehr touren wollte. Schiefer Pub-Pop mit beschwipst-zittriger Melodie und New Wave-Wurzeln – "Better Life" malt wieder eine neue Farbmischung. Joan singt aus voller Kehle, wie ein Grundschulkind, das seine eigene Lautstärke nicht genau einschätzen kann, und so hört man erst mal auf den Text: Der sagt auch klipp und klar, "vergleiche dich nicht, genieße, sei glücklich, schau in dich selbst rein, mach dir die besten Gedanken". Just that simple!

"Already There" punktet komplexrhythmischem Pop-Soul. Weich, aber mit treibendem, hart pulsierendem Schlagmuster. Zügig, aber nicht hastig. Melodiös und eingängig, aber so spannend und gegen den Strich gebürstet, dass die Nummer hunderte Male immer wieder zünden wird.

"To Be Loved" ist sowas wie Armatradings Lennon-Prince-Fusion, ohne nach Lenny Kravitz zu klingen. Ein bisschen wie "Purple Rain" gegen "Jealous Guy" geschraubt, stimmungsmäßig zumindest. "Glorious Madness" ist so mad, dass die 70-Jährige wie ein jamaikanischer Dancehall-Sing-Jay über ein E-Piano und Blues-Akkorde drüber shoutet. Die ersten drei Tracks der B-Seite, "Like", Titelsong "Consequences" und "Sunrise" bilden eine wunderschöne Zuhörstrecke für Jazzrock-affine Gemüter, die sich gerne auf unbetretene Pfade mitnehmen lassen.

Bevor "To Anyone Who Will Listen" die klassische Tastenton-Ballade der Mid-80ies mit (sogar sehr angenehmem) Pathos und Joans zuckersüßester Stimmlage reanimiert, lässt die Britin ihren deutschen Fans quasi ein zweites "Drop The Pilot" da. Jener Song war der in unseren Breitengraden bekannteste Hit der Output-starken Storytellerin. Der neue, der mit "Drop The Pilot" 'resonated', heißt "Think About Me" und zieht eine dezent irische Duftnote nach sich im Sinne von U2, Geldof & Co. Geheimnisvoll wirkt, was sie da treibt, damit ihre Gitarre so wie die von The Edge schallt.

Die CD "Consequences" offenbart nur einen einzigen roten Faden, den seiner Heterogenität: mit den verschieden hoch angesiedelten Gesangs-Oktaven Armatradings, den Rhythmuswechseln und angeschnittenen Genres. Gerade somit entsteht eine äußerst risikofreudige, abwechslungsreiche Sache, die man nicht schnell mal auf Spotify durchskippen kann und die abgenudelte Schemata vermeidet. Ihr Ansatz bringt der Sängerin, Komponistin und Multiinstrumentalistin (bei mir) einen mega fetten Sympathiebonus ein.

Na gut, die Senior-Rockerin verlangt ihrem Publikum Offenheit, Toleranz und Muße ab. Hat sie aber verdient. Denn sie liefert zehn originelle Tracks, von denen zwei gut und acht klasse rüberkommen. Selbst die Zitate aus Joans großer Zeit, den frühen Eighties, kommen frisch und knackig rüber. Bereits nach dem ersten Hören hallt ein prägnanter Eindruck nach. Alles in allem ein visionär spleeniger Longplayer, der in der schubladisierten Genre-Welt seinesgleichen sucht, Lust auf mehr weckt und von Joans breiten und tiefen Musikkenntnissen zeugt.

Trackliste

  1. 1. Natural Rhythm
  2. 2. Already There
  3. 3. To Be Loved
  4. 4. Better Life
  5. 5. Glorious Madness
  6. 6. Like
  7. 7. Consequences
  8. 8. Sunrise (Instrumental)
  9. 9. Think About Me
  10. 10. To Anyone Who Will Listen

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