laut.de-Kritik

Demos, Raritäten und Duette mit Jimmy Cliff und Johnny Cash.

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Das musikalische Erbe, das Joe Strummer der Welt hinterlassen hat, ist spektakulär und wird gewöhnlich unter einem Stichwort subsumiert: The Clash. Was er in den 16 Jahren zwischen dem Bandsplit der legendären UK-Punkband und seinem Tod an Herzversagen im Jahr 2002 musikalisch trieb, gilt hingegen weitgehend als Spezialistenstoff. Mit diesem Vorurteil will "001" aufräumen. Eine Compilation, die Licht auf das Soloschaffen des Sängers wirft, und in zahlreichen Special-Editions (inklusive Buch, Artprints, Kassette, Siebdruck, Badges) erscheint, wovon vorliegende Doppel-CD noch das gewöhnlichste Format darstellt.

Auch die musikalische Phase, die den Clash vorausging, Strummers zwei Jahre mit der Rockabilly-Band 101ers, würdigt die Compilation ("Letsagetabitarockin'", "Keys To Your Heart"). Lange Zeit wusste man nicht, wie groß Strummers im eigenen Gartenhaus verstautes Musik-Archiv tatsächlich ist. Zur Veröffentlichung von "001" ist nun die Rede von "Scheunen voller Schriften und Kassetten", insgesamt über 20.000 Stücke und Texte. Der kanadische Künstler und Wegbegleiter Robert Gordon McHarg, der schon Strummer-Ausstellungen in London und Tokio sowie vor fünf Jahren das Clash-Boxset "Sound System" kuratierte, nahm sich gemeinsam mit Strummers Witwe Lucinda Mellor dem Mammutprojekt an. Bei der Arbeit entdeckten sie auch, dass Joe scheinbar mutwillig Takes 'versteckte', in dem er auf Tapes mitunter 20 Minuten Pausen vor den weiteren Aufnahmen ließ.

Erstmals kommen wir so in den Genuss einer frühen Version von "This Is England", dem Demo des Songs vom letzten Clash-Studioalbum "Cut The Crap" (1985), das ohne Drummer Topper Headon und Gitarrist Mick Jones entstand, da diese zuvor gefeuert wurden. Die Anti-Establishment-Hymne überrascht in der neuen Dub-Version ganz ohne 80er-Synthies und rückt den goldenen Basslauf von Paul Simonon herrlich in den Vordergrund, wovon man in Kürze auf dem neuen The Good, The Bad And The Queen-Album hoffentlich noch mehr hört.

"Pouring Rain", 1993 im Irish-Folk-Stil der Pogues für den Marianne Faithfull-Film "When Pigs Fly" komponiert, klingt in der 1984er Version mit Simonon und Headon-Ersatz Pete Howard, vom schunkelnden Rhythmus befreit, herrlich rauh und, ja, Clash-like. Joes Reggae-Faszination blüht in "Ride Your Donkey" auf, einem Song seines '89er Solodebüts "Earthquake Weather", auf dem Chili Pepper Jack Irons an den Drums saß, dessentwegen sich ein gewisser Eddie Vedder in den Backstage-Bereich des Strummer-Konzerts in San Diego mogelte und sich dort gleich mit beiden anfreundete, wie die Geschichtsschreibung weiß.

Auf B-Seite "15th Brigade" aus dem gleichen Jahr arbeitet Strummer das "Spanish Bombs"-Thema in einem Banjo-Cover des irischen Volkslieds "Viva la Quince Brigada" neu auf, das die Republikaner im Spanischen Bürgerkrieg gegen die Faschisten sangen. Seine Duette mit Jimmy Cliff ("Over The Border" von dessen Album "Fantastic Plastic People", 2002) und vor allem Johnny Cash ("Redemption Song" von "Unearthed", 2003) rechtfertigen die Veröffentlichung quasi alleine schon.

Okay, das zehnminütige, 1985 mit Mick Jones für den Soundtrack zu "Candy Mountain" eingespielte "U.S. North", seinerzeit nie verwendet, gerät dann vielleicht doch fünf Minuten zu lang. "Love Kills" vom "Sid & Nancy"-Soundtrack steht dank exorbitantem Schlagzeug-Halleffekt auch mit beiden Beinen in den Achtzigern. Interessant daher das bluesige Demo von "Crying On 23rd" und der Pedal-Steel-Country-Schmalz von "2 Bullets", beide für den Soundtrack abgelehnt und die ersten Songs, für die Strummer und Jones seit "Combat Rock" überhaupt wieder gemeinsam im Studio waren.

"London Is Burning" verdeutlicht dann mit Nachdruck, warum diese Veröffentlichung wichtig ist. Nicht zu verwechseln mit dem fast gleichnamigen Song des The Clash-Debütalbums handelt es sich hier um eine Speed-Version der im Original superben Ballade "Burnin' Streets" vom ebenso superben Strummer-Album "Streetcore" mit den Mescaleros, das 2003 posthum erschienen ist. Weitere Anspieltipps: Der Sunshine-Pop von "Coma Girl", ebenso auf "Streetcore", der Gute-Laune-Folk in "Johnny Appleseed" vom 2001er-Vorgänger "Global A Go-Go", der '87er Track "Tennessee Rain" vom Soundtrack zum historischen Abenteuerfilm "Walker" oder die weltumarmende Saxofon-Eloge "When Pigs Fly" (1993).

Der bei verstorbenen Musikern oft naheliegende Vorwurf des kommerziellen Ausschlachtens verfängt hier überhaupt nicht. Vielmehr mag man sich kaum vorstellen, was da noch so alles an Schätzen in einem Farm-Gartenhaus in Somerset lagern mag. Als der Mann, der "spielte als könnte man die Welt mit einem Drei-Minuten-Song ändern" (Tom Morello) im Dezember 2002 überraschend starb, endeten auch die Hoffnungen der Fans auf eine The Clash-Reunion. Dabei wäre die vielleicht gar nicht so unrealistisch gewesen, wie seine Witwe andeutet: "In den letzten Monaten seines Lebens tauschten Joe und Mick wieder vermehrt Ideen aus. Ich denke, The Clash war für beide ein unbeendetes Kapitel. Er hatte immer großen Respekt vor Mick und er liebte The Clash. Wer weiß, was noch passiert wäre."

Trackliste

CD1

  1. 1. Letsagetabitarockin'
  2. 2. Keys To Your Heart
  3. 3. Love Kills
  4. 4. Tennessee Rain
  5. 5. Trash City
  6. 6. 15th Brigade
  7. 7. Ride Your Donkey
  8. 8. Burning Lights
  9. 9. Afro-Cuban Be-Bop
  10. 10. Sandpaper Blues
  11. 11. Generations
  12. 12. It’s A Rockin' World
  13. 13. Yalla Yalla
  14. 14. X-Ray Style
  15. 15. Johnny Appleseed
  16. 16. Minstrel Boy
  17. 17. Redemption Song
  18. 18. Over The Border
  19. 19. Coma Girl
  20. 20. Silver & Gold / Before I Grow Too Old

CD2

  1. 1. Letsagetabitarockin'
  2. 2. Czechoslovak Song / Where Is England
  3. 3. Pouring Rain
  4. 4. Blues On The River
  5. 5. Crying On 23rd
  6. 6. 2 Bullets
  7. 7. When Pigs Fly
  8. 8. Pouring Rain
  9. 9. Rose Of Erin
  10. 10. The Cool Impossible
  11. 11. London Is Burning
  12. 12. U.S. North

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