laut.de-Kritik

Als Rebell neben Bob Dylan, als Patriot bei Richard Nixon.

Review von

Man könnte meinen, dass bei einem Künstler vom Format Johnny Cashs acht Jahre nach dessen Ableben musikalisch alles gesagt worden ist. "Live Around The World - Bootleg Vol III" belegt: Dem ist nicht so.

Für Studioaufnahmen mag diese Einschätzung nach dem großartigen "Unearthed"-Boxset und den halbwegs passablen "American"-Scheiben "V" und "VI" zwar gelten. Auf der Bühne hat der "Man In Black" in rund 40 Jahren allerdings derart große Spuren hinterlassen, dass vorliegende "Bootleg"-Serie noch lange weitergehen könnte.

Nach "Personal File" und "From Memphis To Hollywood" widmet sich vorliegende Raritätensammlung titelgetreu seinen zahlreichen Liveshows, angefangen bei einem Jamboree im Jahre 1956 in Dallas. Drei Songs geben Cash und seine Tennessee Two (Gitarrist Luther Perkins und Bassist Marshall Grant) zum Besten, darunter das brandneue "I Walk The Line". Die Soundqualität ist für das Alter der Aufnahme akzeptabel.

Dass es sein Konzert aus der Berliner Deutschlandhalle vom 9. April 1978, dessen Eintrittskarte im Booklet abgebildet ist, nicht auf die Tracklist schaffte, ist nicht weiter schlimm. Cashs wichtige Jahre waren da längst vorbei.

Im Mittelpunkt der Doppel-CD steht Cashs geschichtsträchtiger Auftritt beim Newport Folk Festival im Juli 1964, wo er erstmals mit Bob Dylan zusammen traf und sich ins Herz der jugendlichen Folkgemeinde spielte. Obwohl es den Countrystar sehr berührte, dass eine neue Generation seine Storytelling-Kunst wertzuschätzen begann, erschien er erstmal unbeeindruckt einen Tag zu spät in Rhode Island und trat somit am Folgeabend auf.

Sein acht Songs starkes Set, vom jungen Dylan neugierig am Bühnenrand verfolgt, wählte er jedoch sorgsam aus: Mit folkverwandten Songs wie "Big River" und "Folsom Prison Blues" zieht er die Sympathien des Publikums schnell auf seine Seite. Auch "Ballad Of Ira Hayes", sein aktueller Gerechtigkeitsappell für die Indianer, passte hervorragend ins Bild des sozial engagierten Protestsängers, um das sich Cash zu jener Zeit bemühte. Als er schließlich zu einer Lobeshymne auf Dylan ansetzt ("Der neue Pete Seeger") und anschließend dessen "Don't Think Twice It's Alright" in einen schnörkellosen Cash-Song verwandelt, frisst ihm die Meute aus der Hand.

Nicht minder interessant: Cashs Audienz bei US-Präsident Richard Nixon 1970 im Zuge seines Comebacks mit den "Folsom Prison"- und "At San Quentin"-Alben. Ein Auftritt, den Cash bald bereuen wird, als er merkt, dass diese für ihn patriotische Selbstverständlichkeit seinen Nimbus als unbestechlichen Sozialkritiker merklich ankratzt. Als er sich mit Songs wie "Man In Black" von Nixon distanziert, hat er seinen Status bei der Folk-Bewegung längst eingebüßt.

Musikalisch gerät Cashs Auftritt im Weißen Haus immer dann anstrengend, wenn er seine tiefgläubigen Balladen auspackt, etwa "Were You There (When They Crucified My Lord)" oder "Jesus Was A Carpenter". Schön dagegen das eher unbekannte Drogengedicht "What Is Truth?", das er mit den ungeschönten Worten einleitet: "Ich denke, ich bin qualifiziert genug, etwas über Drogen zu sagen."

Herrlich rauhbeinig dagegen seine Vorstellung 1962 in Maryland zu seinen besten Amphetamin-Zeiten. Nachzuhören im Opener "Country Boy", der gleich mal im "Cocaine Blues"-Tempo nach vorne holzt. Seine Existenzberechtigung erfährt der Maryland-Gig schließlich durch den 1962er Song "Cotton Fields", eigentlich "In Them Old Cottonfields Back Home" betitelt, der trotz fantastischer Melodie und wunderbarer Zeilen wie "It may sound a little funny / But you didn't make very much money" im Baumwollpflückerkanon seiner Majestät nie größer aufgefallen ist. Auch Luther Perkins hatte damals seinen großen Auftritt und begeistert mit einem knackigen, einminütigen Solo, dem "Perkins Boogie".

Sogar neun Songs von Cashs Truppenshow in Vietnam 1969 fanden den Weg aufs Bootleg, die jedoch höchstens Archiviercharakter aufweisen. Ähnlich wie die drei ruhigen Songs aus dem Stockholmer Gefängnis 1972, darunter Gene Autrys "That Silver Haired Daddy Of Mine", das Cash seinem damals 75-jährigen Vater widmet.

Der letzte Song der zweiten CD, aufgenommen 1979 im Exit Inn/Nashville, bringt Cashs damalige künstlerische Bedeutung perfekt auf den Punkt. "I'm just an old chunk of coal / but I'm gonna be a diamond some day." Rick Rubin sei Dank.

Trackliste

CD1

  1. 1. So Doggone Lonesome (Dallas 1956)
  2. 2. I Walk The Line
  3. 3. Get Rhythm
  4. 4. Country Boy (Rising Sun, Maryland 1962)
  5. 5. I Still Miss Someone
  6. 6. Cotton Fields
  7. 7. I Walk The Line (Live At New River Ranch)
  8. 8. Perkins Boogie
  9. 9. Impersonations
  10. 10. Rock Island Line
  11. 11. The Rebel - Johnny Yuma
  12. 12. Introduction - Pete Seeger (Newport Folk Festival 1964)
  13. 13. Big River
  14. 14. Folsom Prison Blues
  15. 15. I Still Miss Someone
  16. 16. Rock Island Line
  17. 17. Don't Think Twice, It's Alright
  18. 18. I Walk The Line
  19. 19. Ballad Of Ira Hayes
  20. 20. Keep On The Sunny Side
  21. 21. Big River (Vietnam 1969)
  22. 22. Wreck Of The Old '97
  23. 23. Tennessee Flat Top Box
  24. 24. Remember The Alamo
  25. 25. Cocaine Blues
  26. 26. Jackson
  27. 27. Long-Legged Guitar Pickin' Man
  28. 28. Ring Of Fire
  29. 29. Daddy Sang Bass

CD2

  1. 1. Introduction - President Richard M. Nixon (White House 1970)
  2. 2. A Boy Named Sue
  3. 3. Five Feet High And Rising
  4. 4. Pickin' Time
  5. 5. Wreck Of The Old '97
  6. 6. Lumberjack
  7. 7. Jesus Was A Carpenter
  8. 8. What Is Truth
  9. 9. (There'll Be) Peace In The Valley (For Me)
  10. 10. He Turned The Water Into Wine
  11. 11. Were You There (When They Crucified My Lord)
  12. 12. Daddy Sang Bass
  13. 13. The Old Account
  14. 14. Sunday Morning Comin' Down (Schweden 1972)
  15. 15. The Prisoner's Song
  16. 16. That Silver Haired Daddy Of Mine
  17. 17. City Of New Orleans (Nashville 1973)
  18. 18. Ragged Old Flag (Virginia 1976)
  19. 19. One Piece At A Times
  20. 20. Hey Porter (West Virginia 1976)
  21. 21. There You Go
  22. 22. Give My Love to Rose
  23. 23. (Ghost) Riders In The Sky (Nashville 1979)
  24. 24. I'm Just An Old Chunk Of Coal

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