laut.de-Kritik
Großartige Duette und charmante Geschichten.
Review von David MaurerWer "Out Among The Stars" genießen will, muss ein zweites Mal Abschied nehmen von Johnny Cash. Abschied von der ebenso simplen wie faszinierenden Sogkraft seiner Fünfzigerjahre-Hits wie "Cry, Cry, Cry" oder "I Walk The Line". Abschied von der tonnenschweren, fast epischen Melancholie der "American Recordings"-Reihe, in der der Man In Black mit brüchiger Stimme Traditionals neu interpretierte, moderne Pop-Songs coverte und schlicht für Gänsehaut sorgte. Denn "Out Among The Stars" erreicht das Niveau Cashs denkwürdigster Werke nur selten.
Geschrieben Anfang der Achtziger, stammt das posthum veröffentlichte Album aus einer Zwischenwelt im riesigen Cash-Universum: Die Zeit, in der er in schwarzer Kluft in Gefängnissen auftrat, für die Armen und Unterdrückten sang und eine ganze Nation ihn als Held feierte: längst vergangen. Seine Wiederauferstehung als Popstar, der auf dem Glastonbury 1994 ungläubig in die Augen Tausender begeisterter Zuhörer blickte, noch in weiter Ferne.
In dieser Zwischenwelt galten Johnny Cash und seine Musik als veraltet. Die Mainstream-Country-Szene interessierte sich nicht mehr für ihn, seine Scheiben verkauften sich schleppend. Die Konsequenz: Cashs damaliges Label Columbia verlängerte den auslaufenden Vertrag nicht, ließ den Mann, der zwei Jahrzehnte lang Millionen eingebracht hatte, fallen.
So kommt es, dass "Out Among The Stars" erst jetzt erscheint, rund 30 Jahre, nachdem Cash die Songs zu Papier brachte. Doch denen ist anzuhören, dass der Man In Black nicht einfach hinnehmen wollte, ausrangiert zu werden wie ein alter Zug, der nur noch für historische Reisen durch die Vergangenheit dient.
Deshalb versuchte er, seine Songs an die moderneren Bedürfnisse der Country-Szene anzupassen, was der titelgebende, für seine Verhältnisse fast schon poppige Outlaw-Opener andeutet. Das grandiose Duett "Baby Ride Easy" mit June Carter Cash erinnert unweigerlich an die gemeinsame Version von "If I Were A Carpenter": "If I ran the Country / I'd be your Lady / And fix up the White House / While You Were Away." Mit Mandoline, mehreren Gitarren und der dezenten Unterstützung im Refrain von Junes Tochter Carlene kommt das Stück jedoch bedeutend schmissiger daher.
Fast das Gegenstück bildet "Don't You Think It's Come Our Time". Wesentlich langsamer und verziert mit sanften Banjo-Klängen, macht das zweite Duett der beiden eine ebenso gute Figur, transportiert es doch eine Botschaft, die treffender kaum sein könnte:"Don't you think it's come our time to be together / let's gather up our scattered words of love and make them right." Zeilen, die widerspiegeln, wie die großartige musikalische Zusammenarbeit nach einer Ewigkeit endlich zu gegenseitiger Liebe reifte.
Doch nicht nur mit seiner Frau arbeitete John Ray Cash während der verloren geglaubten Sessions in den Columbia Studios in Nashville zusammen. Sein alter Freund und "Outlaw" Waylon Jennings wirkte an der flotten Neuauflage von "I'm Movin' On" mit. Und wenn zwei der größten Country-Sänger aller Zeiten einen Klassiker der amerikanischen Musikgeschichte vertonen, gehört der Song erwartungsgemäß zu den Highlights der Platte.
Frohgemut geht es auch in "If I Told You Who It Was" zu, die nette Geschichte von der Begegnung mit einer geheimnisvollen, berühmten Sängerin: "If I told you who it was / You'd say I was making it up." Mit viel schwarzem Humor symbolisiert JR später den endgültigen Abschluss mit der Verflossenen. Im Cadillac stürzt er sich mit ihr die Klippen hinunter in den Tod, um zufrieden und dreckig lachend festzustellen: "I Drove Her Out Of My Mind". Songs, die den Witz seiner humoristischen Aushängeschilder "A Boy Named Sue" und "One Piece At A Time" zwar nie erreichen, aber in ihrer sympathischen Erzählweise immer wieder zum Schmunzeln anregen.
Dass "Out Among The Stars" natürlich auch melancholische Töne anschlagen kann, stellt nicht nur "She Used To Love Me A Lot" unter Beweis, eins der besten Stücke der Platte. Unter anderem begleitet von einer sanft gezupften Mandoline erzählt Cashs Bass-Bariton glaubhaft von Sehnsucht, Reue und verpassten Chancen: "It would only take a minute to turn back the clock / She used to love me a lot." Eine Magie, die die von Elvis Costello produzierte Bonus-Version leider nicht erreichen kann. Das gilt gleichermaßen für Cashs Interpretation von "After All". Mit ihren Piano-Klängen und dem arg runtergedrosselten Tempo bringt die Ballade den Funken nicht zum Überspringen.
Die wenigen Schwachpunkte täuschen aber nicht darüber hinweg, dass Johnnys Sohn John Carter Cash den Fans mehr als zehn Jahre nach dem Tod der Legende eine rundum schöne Platte präsentiert. Ob Columbia Records in den Achtzigern damit der nächste Millionen-Erfolg durch die Lappen ging, ist aber zumindest fraglich.
Zwangsläufig hat sich Cashs Sound seit seinen frühen Sun-Aufnahmen verändert. Und mit einem weniger reduzierten Gesamtbild und ungewohnt üppiger Instrumentierung versuchte er, am Puls der Zeit zu bleiben. Dennoch war es wohl nicht der Sound von "Out Among The Stars", nach dem sich das charts-orientierte Country-Publikum damals sehnte. Umso besser wirkt die Platte nach all den Jahren, mit ihrem charmantem Storytelling, der einzigartigen Stimme und gelungenen Duetten.
Verabschieden muss man sich in der Tat ein wenig - von den Klängen, die Johnny Cash in den Fünfzigern zum Superstar machten, und von jenen, die ihm in den Neunzigern eine zweite Blütezeit bescherten. Denn "Out Among The Stars" ist sicher kein Meilenstein à la "Songs That Made Him Famous" oder "The Man Comes Around", sondern einfach ein sehr gutes Country-Album. Und wer es als solches wahrnimmt, dem fällt der Abschied nicht allzu schwer.
7 Kommentare mit 10 Antworten
gut geschrieben, da werde ich dann mal reinhören
Ja gut geschrieben...aber die Musik ist trotzdem schwach...leider nix mit den guten "American Recordings" gemein...
Der letzte Aufguss war ja auch schon mau. Das hier hört sich für mich viel besser an.
schöne rezension, die ziemlich genau den punkt trifft. "out among the stars" ist ein sehr gutes countryalbum eines herausragenden sängers. es hätte ja richtig schlimm werden können, aber das, was man zu hören bekommt, fügt der umfangreichen cash-diskographie eine nette nuance hinzu. nicht mehr, nicht weniger. und darüber kann man sich einfach mal freuen.
Nur der Anfang von Cashs Karriere hatte so etwas wie Originalität und musikalische Qualität. Danach gings stark bergab (was in seinem Leben passierte klammere ich hier aus, weil romantisierend und verklärend).
Ja, man merkts schon: Ich bin auch kein Fan seiner American-Sessions. Die sind für mich viel zu pathosgetränkt und coverlastig und in meinen Augen maßlos überschätzt. Jetzt mal ehrlich: Wäre er mit seinen späten Coveralben nicht doch noch erfolgreich geworden - diese Platte wäre mit gelangweilten 2-3 Punkten abgespeist worden.
du bist doch nur hässig, weil bei deinen mp3 downloads Johnny Rebel statt Johnny Cash im DL-ordner war
auf ein neues negatives ragism-kommenrar zu johnny cash haben wir alle gewartet.
Wenn es um die ersten Platten geht würde ich kein böses Wort verlieren. Aber dieser langweilige Schmonz wird nur aus Legendenverehrung hoch bewertet.
Hab das Album noch nicht gehört, kann also nicht beurteilen, ob das mit der Legendenverehrung bei dem Album hier stimmt, aber generell hat Ragism doch recht: Cash hat so viel Müll rausgebracht und vergleichsweise so wenig Gutes (Höhepunkt natürlich das Live-Album aus dem Folsom Gefängnis, das ist echt klasse), außerdem sind die American Recordings sicherlich cool, aber kein einziges Album davon kann auf ganzer Länge überzeugen, da ist doch schon viel Verklärung mit im Spiel, wenn man Cash jetzt für einen ganz großen Künstler hält.
Ich höre sie grade und sie ist schlicht großartig. Ein wunderbares Album das Spaß macht. Darauf kommt's doch letztendlich an. Was soll das immer höher schneller weiter..? Von mir aus zwischen den Jahren, ja gut. Die Kritik ist aber prima!
Was Santiago schreibt, klingt sehr fragwürdig. Wenn man nichts tiefgründigeres mag, dann ist es schwer, Johnny Cash zu mögen.