laut.de-Kritik
Einen besseren Abgang kann man als Künstler kaum hinlegen.
Review von Ulf KubankeJon Lord, dieser vielseitige Wanderer zwischen Klassik, Blues & Rock bleibt den Allermeisten als graue Eminenz und Tastenkönig von Deep Purple im Gedächtnis. Obgleich die vielschichte Diskographie des im Juli verstorbenen Ausnahmemusikers eine Fülle an Perlen enthält: Sein Meisterwerk war und ist das 1969er Deep Purple "Concerto For Group And Orchestra". Mehr als 40 Jahre störte es Lord erheblich, dass die sinfonische Komposition lediglich als Live-Darbietung auf dem Gleichnamigen Album hörbar war. Mit der vorliegenden Platte erfüllte sich der bereits schwer kranke Maestro somit den lang ersehnten Wunsch nach einer überarbeiteten Studioaufnahme.
Lords "Concerto" ist das Werk eines begnadeten Arrangeurs und Komponisten. Jede einzelne Note wurde erdacht sowie platziert, um beiden Ensembles - Rocker wie Orchester - ein organisches Zusammenwirken und -wachsen zu ermöglichen. Der Plan geht auf.
Zur Umsetzung holt der Mann aus Leicester sich genau die richtige Mannschaft. Nach diversen Live-Darbietungen in wechselnden Allstar-Besetzungen nun das ultimative Line Up. Als Dirigent kommt nur der langjährige Partner in Fusion Crime Paul Mann in Frage. Die klassischen Parts eingespielt vom Royal Liverpool Philharmonic Orchestra. Bei der Rockband tun sich vor allem Joe Bonamassa und Maiden-Pilot Bruce Dickinson im "Andante" hervor.
Beide sind sonst mehr bekannt für Klotzen als für Kleckern. Hier indes nehmen sie sich dermaßen zurück. Die klanglich notwendigen Freiräume für die klassischen Instrumente werden weder platt gewalzt, noch mit langweiligen Durchschnittsoperettas hingerichtet. Ein absoluter Hochgenuss. Sogar Gniedelkönig Steve Morse wächst hier über sich hinaus, wie man es von herkömmlichen Deep Purple Gigs nicht gewohnt ist.
Somit bietet Lord keinen lahmen Neuaufguss. Sowohl alt gediente Purplefreunde als auch Ersthörer sollten auf ihre Kosten kommen. Das "Concerto" besteht aus drei Sätzen. Obwohl Lord hie und da punktuell ein paar Noten und Instrumente als Farbtupfer einfügte: Geist und Ausstrahlung des Originals bleiben erhalten. Keine Verwässerung. Das für Rockverhältnisse eher ungewöhnliche Concerto Grosso Konzept - kleine Instrumentengruppe steht größerer gegenüber - bleibt erhalten. Ohne ein wenig Barock geht es bei JL ohnehin selten.
Mit zunächst gemäßigtem Tempo beginnt das "Moderato - Allegro". Trotz eingestreuter Kapriolen sowie atemraubender Komplexität verliert das Stück nie seinen - auch für Klassiknovizen - animierenden Zauber. Der nervig überfrachtende Sanssouci-Faktor von Zweitgenerationsbands der Marke Therion bleibt außen vor. Rockband und Orchester kämpfen getrennt und parallel um die Lufthoheit über das Grundthema.
Im etwas gemächlicheren "Andante" verschmelzen beide Pole zaghaft miteinander. Dickinsons recht kurze Vokal-Litanei bringt nach zwei Dritteln den Knoten zum Platzen. Im finalen Satz "Vivace - Presto" vereinigen sich beide Fronten in wild kopulierender Leidenschaft. Songdienliche Soli beiderseits inbegriffen. Alles poliert von Jon Lords ebenso charismatischen wie wegweisenden Hammondlicks. Letztere treten trotz Verzichts auf jegliches rockistische Mackergepose so gut zu Tage, wie selten zuvor.
Damit hat der große Visionär seinen lebenslang gehegten Traum - die totale Zusammenführung - eindrucksvoll realisiert, bevor er den aussichtslosen Kampf gegen den Krebs verlor. Ein absolut würdiger Epitaph, dessen musikhistorische Strahlkraft das popkulturelle Brimborium seit 1969 weit überdauern wird. Einen besseren Abgang kann man als Künstler kaum hinlegen.
3 Kommentare
Grandioses Werk. Jon Lord war einer der Größten. Unfassbar schöne Musik.
Die Gesangsparts fügen sich wirklich super ein, vor allem Dickinsons (wenn auch kurzer) Part im Andante im Zusammenspiel lässt einem die Gänsehautschauer nur so über den Körper jagen. Danke auch für den Kommentar über die Operettentrullas. Ich finde keine der Nightwishsängerinnen (nein, auch und ganz besonders nicht Tarja) kann einem Bruce Dickinson stimmlich das Wasser reichen.
R.I.P. Jon Lord.
Für mich das Album des Jahres! Unbeschreiblich!