laut.de-Kritik
Humor-Zeitreise nach 2011.
Review von Yannik GölzDer Winter 2020 suckt so übel, dass die ganze Musikwelt nostalgisch geworden ist. Ganz groß sind natürlich die Siebziger, aber manche hätten Pop gerne wieder wie 2009, Disco wieder wie in den 80ern, Hip Hop wie in den 90ern. Was kriegen die Deutschrapfans? Lange gar nichts – und dann K.I.Z. wie 2011. Ein neues Mixtape zum Album nächsten Mai erscheint quasi aus dem Nichts, und für einen kurzen Moment klingt die Welt der Berliner U-Bahnen, als hätte sie sich in den letzten zehn Jahren keinen Meter gedreht.
Die Kannibalen in Zivil sind mit Schock-Rap und bitterschwarzen Punchlines zurück, fünf Jahre Album-Abstinenz und zehn Jahre zaghafte Pop-Annäherung fühlen sich wie weggeblasen an. Auch, wenn DJ Craft nicht mehr Teil der Gruppe ist, bleibt "Das Geheimnis der Unbeglichenen Bordellrechnung" dem ursprünglichen Erfolgsrezept der Crew militant treu. Man freut sich über den Throwback und fragt sich, ob man die fehlende Entwicklung überhaupt vermissen will.
Über die Spieldauer wechseln klassische Representer mit unterhaltsamen Gimmick-Nummern, zum Beispiel dem tempo-steigernden Intro über die Eishockey-Einlaufmelodie oder den aberwitzigen Interludes "Fledermausmane" und "Autobahntunnelfischmenschen". Die Fähigkeit, absurde Szenarien zu zeichnen und mit jeder neuen Line in noch schrecklicheres Terrain vorzurücken, ging Nico, Tarek und Maxim nicht verloren.
Ambitioniertes Erzählen gibt es trotzdem nicht, vielmehr exzessiven Bar-Wildwuchs über extrem wechselhafte Beats. Die Produktion stammt fast durchgehend von den Drunken Masters, und musikalisch macht das K.I.Z.sche TKKG-Abenteuer immer dann am meisten Spaß, wenn auf einen klassischen Beat mit etwas mehr handwerklichem Hunger gespittet wird. "Heliumballon" zeigt die Crew auf einem untypisch atmosphärischen Instrumental, "Schluss mit Faxen" lobpreist den frühen Savas auf drei Verses bretternder 2000er-Nostalgie. "Fick Deinen Arsch Während Du Brennst" - gottlob, der Name sei Programm - schließt mit einem Bang. Exzessiv und überdreht schließt das Trio mit einem bretternden Beat und starken Performances ab.
Die Formel geiler Beat + drei Parts klingt so einfach, weil sie funktioniert. Die K.I.Z.-Jungs bleiben nachhaltig eine der wenigen Crews, die konsistent auf Knopfdruck witzig sein können. Die rohe Menge an fantastisch dummen Onelinern auf dieser Platte macht ihnen so schnell keiner nach, und einfach weil's so schön ist, hier ein paar Auszüge: "Sie sagt: 'Los, leck mir jetzt das ABC' / Aber leider bin ich Analphabet" ("Katze"), "Autotune bei dir ist wie Aspirin bei Krebs / Kann seit Jahren nicht mehr schlafen, weil ich weiß, dass du noch lebst" ("Schluss Mit Faxen"), "Ich bin mit deiner Frau im selben Yogakurs / Und versau' euch die Beziehung wie 'ne Totgeburt" ("Heliumballon") oder besonders selbstreflektiert: "Parts schreiben, danach in die Hook Henning May rein – Lifehack"("Lifehack").
Man spürt: Die Gruppe ist weiterhin kein Botschafter des guten Geschmacks. Vielleicht hat man in Erinnerung an die Legionen an K.I.Z.-Wannabes auch kurze Gruselerscheinungen an Deutschrap-Tage, in denen "ironisch schwarzhumoriger Rap" nur daraus bestand, möglichst ekelige Geschmacksverirrungen ohne Pointe aneinander zu reihen. Gegen je mehr Minderheiten, desto besser. Aber wie beim Ästhetik-verwandten South Park muss man zwei essentielle Fragen stellen, um zu sehen, ob es funktioniert. Erstens: Tritt das eher nach unten als nach oben? Und zweitens, aber eigentlich am wichtigsten: Ist es witzig?
Mit dem schwarzen Humor ist es da ja oft wie mit Splatter im Horrorfilm. Eine gute Pointe schlägt doppelt so hart ein, wenn sie sich ein bisschen verboten anfühlt, genau wie ein bisschen Ekel den guten Grusel gleich doppelt so sehr unter die Haut gehen lässt. Aber genauso wenig wie fliegende Gedärme atmosphärische Spannung erzeugen, macht zusammenhangslose Nennung von Hitler, Juden und Vergewaltigungen einen Rapper ironisch und subversiv - oder gar witzig. Im Gegensatz zu den Favorites, Trailerparks und 257ern der Welt bleiben K.I.Z. im grünen Bereich. Trotzdem ist "Das Geheimnis Der Unbeglichenen Bordellrechnung" nicht ohne Makel.
Besonders Nico fällt vermehrt mit Trashtalk heraus, der vorrangig magenverstimmend und eher zweitrangig unterhaltsam ist. Generell merkt man auf zwischendurch auftretenden Biersäufer-Hymnen, dass die Formel altert. "Nutz Die Chance" und "Lecken Im Puff" verfallen in standesgerechtes Grölen, bleiben aber genau wie Vorab-Single "Berghainschlange" zu sehr daran, sich selbst zu zitieren. Man schläft mit der eigenen Mutter und mordet und vergewaltigt Frauen, als wolle man sagen: "Guckt mal Kinder, hier ist alles wie immer"
Aber wenn dann zwischendurch die Kreativität herunterfährt und das unkoordinierte Geballer in den Vordergrund tritt, nimmt der Spaßfaktor ab. Nirgends merkt man das mehr, als bei den wirklich schlechten und nicht unerheblich peinlichen Verses von Mehnersmoos auf dem etwas belastenden "Lifehack". Die guten Lines müssen sich gegen Blödsinn wie "Schwanz in den Arsch wie beim Arschficken / Wir sind frei, wir sind wild wie die Naziband" über Wasser halten. Das ist nicht zu hart, zu weit oder zu schockierend. Das ist halt einfach nicht so witzig, wie es zu sein glaubt.
Ein bisschen genial ist es aber alles in allem trotzdem, eine derartige Ehrenrunde vor dem eigentlichen Album herauszubringen. "Und Das Geheimnis Der Unbeglichenen Bordellrechnung" ist K.I.Z so klassisch, dass sie ein ziemlich sauer gewordenes Genre des Deutschrap-Spektrums mit schierer Qualität statt mit Entwicklung neues Leben einhauchen. Die Tracklist ist kurzweilig und kreativ, die Highlights treffen ins Schwarze und auch die Schwachpunkte vergibt man leicht mit Blick darauf, wie viel Spaß die Crew mit dem Tape zu haben schien. Wer diese Nische mag, der bekommt hier genau, was er braucht.
22 Kommentare mit 25 Antworten
Alter, ist der Albumtitel Fremdscham.
Danke. Konnt aber auch schon früher mit denen nix anfangen, das war so Staiger Humor mit zu viel Hybris und zu untighten Raps.
Wenn KIZ dann 2011 auch noch witzig gewesen wären...
urlaub fürs gehirn hatte seine momente, doch doch
Economy Version Digga
Ich werde mal reinhören. Klingt dem Text nach wie Urlaub fürs Gehirn 2, was nicht so gut wäre. Denn das beste an Urlaub fürs Gehirn war die fake Raubkopieversion (übrigens die erste VÖ von Juju).
Besser als erwartet, unterält gut, ist aber auch kein großer Wurf. 3/5 würde ich sagen.
+h
löst bei mir 2 Dinge aus:
1. Gedanke an den Ausspruch: Einsamkeit ist, wenn es niemanden mehr gibt, der Dir sagt "Ich verstehe Dich nicht".
2. Schulterzucken.
Geiles Album, so mag ich KIZ!
"Fans bleiben mir treu, auch wenn ich sie enttäusch', als wäre ich Judengott"...böse!
Sowas ist doch total konstruiert, das Wort Judengott zb gibt es in diesem Wortlaut doch gar nicht. Da wird der Sinn für den Witz gebogen. Find ich eher wack.
Okay, es hieß "der Judengott"
"Da wird der Sinn für den Witz gebogen"
Man könnte meinen, es wäre Hip Hop.
da wird der witz für die aufmerksamkeit gebogen.
man könnte meinen, es wäre SirPsychööö.
Versteh ich nicht. Warum soll es "Judengott" nicht geben? Wenn man nicht gerade für Songtexte Silben pressen muss, würde man vllt eher "Gott der Juden" sagen, aber das ist ja trotzdem ein vollkommen normales Kompositionswort.
Trotzdem ist es konstruiert und unlustig mMn, aber Humor ist gerade 2020/21 Nuhr Nebensache.
Zumindest klingt es aber einfach blöd, so wie es Christengott auch würde
Hihi... "Kompositionswort" ist ja selbst ein Kompositionswort. War das ein beabsichtigter, ironischer Unterton, Herr Glorp? Wenn ja, nicht gerade ungenial :
Als ob.
Kompositionswort? Sowas wie allegro?
Machen wir es kurz. Nach diesem Reviewtext darf am Ende niemals eine Bewertung von 4/5 stehen. Da muss eine 1/5 oder maximal 2/5 stehen. Das ist inkonsequent, beziehungsweise selbstinszeniert. Hier fehlt offensichtlich entweder der Mut, oder man selbst will der Band die man selbst mag keine schlechte Review reinwürgen. In jedem Fall finde ich es fragwürdig.